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Meisterschaft Röhren, bis der Hirsch kommt

17 „Hirschrufer“ ermitteln den deutschen Meister. Der Ostharz, für den einige Jahre ein Wernigeröder Forstwirt teilnahm, ist nicht dabei.

Von Bernd Kaufholz 31.01.2019, 00:01

Stankt Andreasberg l Hans-Günter Schärf greift zum Ochsenhorn. Er setzt es an die Lippen und macht den „alten, suchenden Hirsch“. Eine der Disziplinen bei Meisterschaften. Der ehemalige deutsche Meister aus Sankt Andreasberg im Harz, der achtmal als „geweihloser Hirsch“ auf die Bühne gerufen und auch bei Europameisterschaften geröhrt hat, ist einer der wenigen Hobby-Hirsch-Schrei-Imitatoren, die nicht Jäger sind. Ob er sich während seiner zehn Jahre als Bürgermeister des Harzortes bei Ratssitzungen damit Respekt verschaffen wollte, ist allerdings nicht überliefert.

Er sei viel mit dem Vater im Wald nahe dem Ortsteil Silberhütte herumgelaufen, erinnert er sich an die Anfänge als Brunftschrei-Imitator. „Da habe ich zum ersten Mal die Rufe während der Paarungszeit im Herbst gehört“, erzählt er. „Ich habe mir dann eine Gießkanne geschnappt und versucht, die Töne nachzumachen.“

Später habe er bei der Veranstaltung „Pferd und Jagd“ in Hannover zugeschaut. „Ich habe gedacht: Das kannst du auch und habe in der Kneipe zuerst mit einem Weizenbierglas geübt.“ Was er übrigens heute immer noch das eine oder andere Mal tue.

Mit dem Bierglas hat er bei seiner ersten Teilnahme am Hirschruferwettbewerb auf Anhieb den 4. Platz belegt.

Das Hirschrufen ist mehr als nur Jux und Dollerei, beschwören diejenigen, die auf der Bühne den Zwölfender machen. Die Kunst, Hirsche zu rufen, sei „anspruchsvolles, jagdliches Handwerk und gehöre als hohe Schule der Lock- und Rufjagd zu einer jahrhundertalten Tradition“, ist für sie keine Frage. Das Ziel bestehe darin, während der Brunftzeit des Rotwildes von September bis Anfang Oktober dem Platzhirsch, also einem männlichen Tier, das seinen Einstand (Aufenthaltsort) gegen Artgenossen verteidigt, vorzugaukeln, dass sich in seiner Nähe ein Nebenbuhler auf Hirschkuhjagd befindet.

Hirschrufer Schärf: „So soll erreicht werden, dass der Hirsch aus seiner Deckung tritt. Nur so kann der Jäger beurteilen, ob das Tier den anspruchsvollen Abschussrichtlinien bezüglich des Alters und der Entwicklung der Trophäe (Geweih) entspricht und er ihn erlegen darf.“

Schärf hat da so seine Erfahrungen gemacht. „Ich habe mal dahinten am Waldrand an einem Baum gelehnt“, zeigt er, „und die Stimme eines alten, suchenden Hirsches nachgeahmt.“ Kurz darauf habe es hinter ihm geraschelt und ein riesiges Tier sei aus dem Wald getreten. „Ich habe mich ganz dicht an einen Baum gepresst. Der testosterongesteuerte Hirsch ist mir so nahe gekommen, dass mir der Hirsch-Sabber um die Ohren geflogen ist.“

Schärf reiht die Gerätschaften auf, mit denen er die Hirschlaute imitiert. Zuerst eine einfache Papprolle. Das Hirschröhren ertönt. Ein Blick aus dem Fenster des Bergwerksmuseums, in dem die akustische Hirschjagd stattfindet Richtung Waldrand: keine Gefahr.

Dann ein selbstgebauter „Röhrling“, der verdammt nach einem Stück Abflussrohr aussieht. „Stimmt!“, so der 57-Jährige. „Ist auch eins.“ Derselbe Schrei, aber selbst für den Laien in der „Vertonung“ anders.

Als Drittes der grüne „Faulhaber“, benannt nach der Wiener Firma, die das Dreierteleskop herstellt. Der suchende Hirsch findet keinen Widerhall. Im Januar interessiert keinen Hirsch das Getröte. „Im Herbst ist das anders. Die Hirsche sind während der Brunft wie besoffen“, schmunzelt Schärf. „Da kann man schon mal ein bisschen mit den Tönen danebenliegen. Das merkt das Tier im Vermehrungstaumel nicht.“

Das Ochsenhorn, das nächste Instrument, sei etwas für Profis, sagt der Meister aller Hirsche. „Manche Rufer schaben ihre Hörner noch extra aus, um einen besseren Klang zu erreichen.“

Schärfs Favorit ist ein braunes Rohr aus gepressten Sägespänen. „Das liegt mir am besten“, sagt er. Damit macht er noch den alten Hirsch. Die Töne sind leiser und der Nichtjäger hat auch ein Bild dazu: „Da liegt der alte Herr in einem Schlammloch und teilt der Welt mit: Ich bin zwar noch da, aber lasst mich in Ruhe!“

Morgen steht Schärf nicht auf der Bühne. Aber dabei sein wird er trotzdem. Warum er den Wettbewerb links liegen lässt? „Die Bewertung hat sich immer mehr verschoben. Es kann nicht sein, dass der eine einen Punkt gibt, der andere sechs Punkte.“ 2018 habe es da fast einen Eklat gegeben. „Da bis heute nichts geändert wurde, muss ich mir das nicht mehr antun“, röhrt er – aber nicht wie ein abgebrunfter Hirsch.