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Mitteldeutschland Vereint durch Knast und ICE

Die mitteldeutschen Bundesländer forcieren ihre Kooperation. Von einer Fusion will aber niemand etwas wissen.

Von Steffen Honig 31.03.2018, 01:01

Sachsens neuer Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) fremdelt noch ein wenig mit dem Amt. Zu seiner 100-Tage-Bilanz gefragt, erklärt er: „Ich bin froh, dass ich überhaupt so weit gekommen bin.“ Der dahinter steckende Sarkasmus erklärt sich auch aus frustrierenden Erfahrungen mit den Großkonzernen Siemens und Bombardier, die nur schwer von Schließungsplänen in Sachsen abzubringen sind.

Wenn es aber um die Zusammenarbeit mit den Nachbarn Thüringen und Sachsen-Anhalt geht, sprüht der Sachse am Gründonnerstag beim Forum Mitteldeutschland in Leipzig vor Optimismus. Mit einem Bau kann Kretschmer sofort aufwarten: Einem gemeinsamen thüringisch-sächsischen Gefängnis an der Landesgrenze. Vereint im Knastwesen – das schafft Heiterkeit.

An Wortgewalt ist ihm Ministerpräsidenten-Kollege Bodo Ramelow aus Thüringen aber überlegen. Wer sich mit im ins Podium begibt, muss damit rechnen, an die Wand geredet zu werden. Zumal wenn mit dem sachsen-anhaltischen Regierungschef Reiner Haseloff ein bekannt diskussionsfreudiger Gast wegen Krankheit absagen muss. Sein Vertreter ist Finanzminister André Schröder (CDU).

„Diesel weg, Braunkohle weg“ – so stehe es in Parteitagsbeschlüssen, sagt Ramelow. „Aber wer nicht gleichzeitig beschließt, was mit den Menschen werden soll, muss sich nicht wundern, wenn die Menschen komisch werden.“ Der Regierungschef aus Erfurt beschwört das Potenzial der mitteldeutschen Länderallianz: „Wir müssen den Teil einfordern, den wir nur gemeinsam durchsetzen können.“ Und gibt dabei ganz den Landesvater: Erst kommt Thüringen, dann die Kirche und irgendwann vielleicht seine Partei, die Linke. Ramelow ist sein eigener Heimatminister.

Inklusive Selbstkritik – anhand der Superbilanz der neuen ICE-Strecke von Berlin nach München. Ramelow räumt ein, im Gegensatz zum früheren CDU-Regierungschef Bernhard Vogel zunächst von diesem Projekt nicht überzeugt gewesen zu sein. Umso mehr freuen ihn nun 1,2 Millionen Passagiere in 100 Tagen – das Doppelte wie bisher. Ramelow nennt die Strecke nun sehr gern die „Vogelfluglinie“. Um sie herum müsse die gesamte Verkehrsinfrastrukur Mitteldeutschlands zu einem leistungsfähigen Netz ausgebaut werden. „Wir halten zusammen“, erklärt Ramelow, was auch seine Nachbarn aus Sachsen und Sachsen-Anhalt mehrfach unterstreichen.

Auch mit nur einer Ministerin aus dem Osten sieht Kretschmer diesen in der neuen Bundesregierung gut vertreten: „In keinem Koalitionsvertrag, den ich kenne, ist mehr Ostdeutschland drin als in diesem.“

Das Jahr 2040 gibt Kretschmer als Zielmarke im Aufholprozess des Ostens aus. Bis dahin sollen Strukturprobleme gelöst und die Digitalisierung entscheidend vorgebracht sein.

Ein Siemens-Vertreter stichelt: Wenn die drei Länder in den nächsten Jahren so eng wie beschrieben kooperieren wollten, würde dann nicht 2040 eine Staatskanzlei reichen? Das Podium reagiert mit gereizter Ablehnung: Eine Länderfusion sei weder durchsetzbar noch gewünscht, heißt es durch die Bank von den Politikern.

Dass die ostdeutschen Länder schwer zu tun haben, die wirtschaftliche Lücke zum Westen zu schließen, führt der Linken-Politiker auch darauf zurück, dass die Konzernzentralen dort beheimatet seien und sich Wertschöpfung sowie Forschung immer am Stammsitz konzentrieren würden. Als Beispiel führt er das Motorenwerk in Kölleda an, welches die Antriebe für jedes dritte Daimler-Mobil liefere. Die Gewinne würden aber in Baden-Württemberg versteuert.

Da kann der sachsen-anhaltische Finanzminister einhaken und festhalten, dass ohne die Gelenkwellen aus Haldensleben auch kaum ein Auto fahren würde. Sachsen-Anhalt werde allein 2018 150 Millionen Euro für Forschung ausgeben. „Oder wer weiß schon“, fragt Schröder, „dass der Grundstoff für Coco-Chanel-Parfüm aus Bitterfeld kommt?“