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Modellflieger Selbst gebaut fliegt doch am besten

Klaus Rählert aus Stendal entdeckte vor 42 Jahren seine Leidenschaft für den Modellflugsport - und kommt davon nicht mehr los.

Von Donald Lyko 19.05.2019, 01:01

Stendal l Sonntagnachmittag in Stendal. Ein junger Mann und seine Ehefrau bummeln durch die Innenstadt, kommen am alteingesessenen Fachgeschäft Puchert in der Breiten Straße vorbei, schauen sich die Auslagen im Schaufenster an – und plötzlich ist beim Gatten die Neugier geweckt. „Da stand ein Modellbaukasten, der hat 55 Mark gekostet“, erinnert sich Klaus Rählert an den Moment, mit dem seine Begeisterung für den Modellflugsport begonnen hat. Damals war er 25 Jahre alt. Auch jetzt, 42 Jahre später, ist die Leidenschaft für das Hobby noch ungebrochen groß.

Mit einem Doppeldecker-Modell, Spannweite 55 Zentimeter, ging es los. Denn das war in jenem Modellbaukasten. „Fast noch wichtiger aber war die Broschüre darin“, sagt Klaus Rählert, bot sie doch wertvolle Informationen für den Einsteiger. Wie baut man eine Rippe? Wie geht man mit Balsaholz um? Wie wird ein Modell ausgewogen? Antworten fand er in dem Arbeitsheft. „Vieles andere habe ich mir in den Jahren selbst angeeignet.“ Da habe er sogar freiwillig in Büchern gelesen, erzählt der 67-Jährige mit einem Schmunzeln. Gelesen hat er aber auch in der Modellbau-Zeitschrift, die es in der DDR gab und die viele praktische Tipps zu bieten hatte.

Dass der erste Flug seines ersten Modells nur etwa zehn Sekunden gedauert hat, war eher Ansporn für den gelernten Fernmeldemonteur. Der suchte recht schnell Kontakt zu anderen Flugmodellbauern, schloss sich 1982 dem Verein in Gardelegen an. Sieben Jahre später, im Sommer 1989, las er in der Zeitung, dass Tangerhütter Modellflugsportler anlässlich des 40. Jahrestages der DDR im Oktober auf den Agrarflugplatz Bölsdorf einladen, um sich zu präsentieren. Der Stendaler fuhr hin – und blieb. Denn schon 1990 wurde der Modellflugclub „Albatros“ Stendal/Tangerhütte gegründet, Klaus Rählert gehörte zu den Gründungsmitgliedern. In dem aktuell 36 Mitglieder starken Verein ist der 67-Jährige Schatzmeister und zweiter Vorsitzender.

Jeden Sonnabend ab 11 Uhr treffen sich die Vereinsmitglieder auf dem Bölsdorfer Platz, lassen ihre Modelle über dem Platz kreisen, trainieren für Wettkämpfe oder philosophieren über Gott und die Welt, vor allem aber über ihr Hobby. Das betreiben die einen, weil sie Spaß am Fliegen der Modelle haben, andere wegen des Modellbaus. Für Klaus Rählert macht es die Mischung aus beidem. Dennoch hat sich etwas verändert. „Früher habe ich Modelle gebaut, um etwas zum Fliegen zu haben. Heute bauen wir aus Spaß am Bauen“, sagt der Stendaler. Mit dem „wir“ meint er den Vereinsvorsitzenden Frank Kunde, dessen Sohn und Vereinspressewart Marc Kunde und sich selbst. Das Trio verbindet nicht nur Vereinskameradschaft, sondern Freundschaft. Und die Fähigkeit, ganz uneitel gemeinsam seine jeweiligen Stärken in die Projekte einzubringen. „Klaus ist der absolute Tragflächenprofi“, attestiert Frank Kunde seinem Modellbau-Partner.

Zu dritt haben sie das Modell einer russischen Suchoi Su-35 gebaut. Nachempfunden, nicht maßstabsgetreu: zwei Meter Spannweite, 2,35 Meter Rumpflänge, bemalt wie das Original in einer Kunstflugstaffel, Startgewicht 18 Kilogramm. Einige Teile, vor allem für die Technik, gibt es für Modellbauer schon fertig zu kaufen, aber den Großteil fertigen sie selbst an. Der Rumpf ist aus Glasfaser, getränkt mit Epoxidharz, die Tragflächen aus Styropor, beplankt mit Balsaholz, beklebt mit farbiger Bügelfolie. Interessant auch ein Blick ins Innere: Dort gibt es zum Beispiel Colaflaschen als Tanks für die etwa drei Liter Heizöl („Kerosin ist schwerer zu beschaffen“), mit denen das Modell bis zu zehn Minuten in der Luft bleiben kann. Und das im Klang beeindruckend, denn wegen des Turbinenantriebs donnert das Modell mit rund 300 Stundenkilometern über den Platz. Der ist zwischen Feldern gelegen, derzeit läuft ringsum die Spargelernte. Das Miteinander stimme, sagt Vereinsvorsitzender Frank Kunde: „Wir freuen uns über das gute Verhältnis zum Spargelbauer Garlipp.“

Auch wenn die Su-35 gerade das bevorzugte Modell von Klaus Rählert ist, kommen auch andere zum Einsatz – bei Vorführungen oder im Wettkampf. Denn der 67-Jährige nimmt als Kunstflieger derzeit an der Modellflug-Landesmeisterschaft teil, die am 11. Mai mit dem ersten Teilwettkampf in Burg begonnen hat. Es folgen drei weitere Veranstaltungen, die zweite am kommenden Sonnabend auf seinem Heimatplatz.

Auch nach Jahrzehnten Erfahrung gilt für Klaus Rählert: Üben, üben, üben. Denn Kunstflugübungen wie Loopings, Turns und Lange Rolle müssen sauber geflogen werden. Aufs Siegertreppchen hat er es zwar noch nicht geschafft, aber der Stendaler hält es da wie mit seinem ersten Modellflug-Versuch: Es ist eher Ansporn.

elche Rolle spielt denn das Wetter beim Modellfliegen? „Regnen sollte es nicht, allein wegen der Elektronik“, sagt Klaus Rählert. Und richtiger Sturm sei natürlich auch nicht gut. Ansonsten machen die erfahrenen Modellflieger schon das Beste aus der Situation. „Ideal ist Windstille, aber für den Start und die Landung ist etwas Wind schon wichtig“, erklärt der Fachmann, der in den vergangenen gut vier Jahrzehnten geschätzt „wenigstens 30 Modellflugzeuge“ gebaut hat, „es können aber auch mehr sein“. Sogar ein Wasserflugzeug war darunter, das er auf dem Stendaler Stadtsee starten ließ.

Anfangs waren die Modelle klein und wurden aus der Hand gestartet. „Dann wollte ich aber welche bauen, die vom Boden abheben“, sagt er. Heute müssen zwei Personen anfassen, um es anzuheben. „Wenn das Modell fertig ist und dann fliegt, ist das für uns das Größte.“

Der Vereinsplatz am Ortsrand des Tangermünder Ortsteils Bölsdorf bietet dafür ideale Voraussetzungen, unter anderem eine 100 Meter lange befestigte Startbahn.

Neben dem Training haben die Mitglieder des MFC „Albatros“ derzeit alle Hände voll mit der Vorbereitung des Jahreshöhepunktes zu tun. Denn zum Himmelfahrtstag wird es wieder voll werden auf dem Platz. Der Flugtag zieht überregional an. Einige der Teilnehmer reisen mit dem Wohnmobil an, verbringen eine Woche in der Altmark. Sie und auch die vielen Gäste werden an diesem Tag neben dem Vereinsgebäude den Dieter-Melzer-Platz finden. „Damit erinnern wir an den ehemaligen, schon verstorbenen Bölsdorfer Bürgermeister Dieter Melzer, der sehr großen Anteil an der Entwicklung unseres Vereins hatte“, erklärt Frank Kunde. Auf ähnliche Weise werde der verstorbenen Kameraden gedacht. Dieses Bewahren ist dem Vorstand ebenso wichtig wie die Arbeit mit allen Generationen. Darum gibt es nicht nur eine Jugend-, sondern auch eine aktive Seniorengruppe.

Nur ein Grund, warum Klaus Rählert gern ein „Albatros“ ist, warum er seit 29 Jahren dem Verein die Treue hält, warum er fast an jedem Sonnabend von Stendal nach Bölsdorf fährt, sein Modellflugzeug nach dem Transport zusammensetzt und den Miniflieger souverän dem Himmel ein Stück näher kommen lässt.

Und das alles wegen des Modellbaukastens im Schaufenster eines Stendaler Geschäftes.