1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Ungeklärter "Spatzen-Fall" belastet

Mordermittler Ungeklärter "Spatzen-Fall" belastet

Magdeburgs bekanntester Mordermittler ist seit Mittwoch im Ruhestand. Die Volksstimme nahm ihn ins "Kreuzverhör".

Von Bernd Kaufholz 02.11.2017, 00:01

Welcher Tatortkommissar gefällt Ihnen besser. Hauptkommissar Schimanski oder Frank Thiel?
Harald Meier:
Die sind ja vom Typ her völlig unterschiedlich. Natürlich schlägt mein Herz, schon wegen meiner Jugendzeit, für Schimanski. Wobei Rechtsmediziner Prof. Boerne und Thiel im Münster-Tatort das schon gut rüberbringen, so dass draußen jeder etwas damit anfangen kann. Die neuen Tatortkommissare halten sich an die Rechtsmedizin und die Staatsanwaltschaft. So ist auch das eigentliche Leben.

Wie sieht denn die Realität aus?
Im Klären von Tötungsdelikten sind wir immer noch gut. Natürlich ist unsere Arbeit inzwischen viel schwerer geworden. Wir finden zum Beispiel kaum noch Menschen, die sich als Zeugen melden. Früher gab es viel mehr, die sich spontan angeboten haben und helfen wollten.

Woran liegt es denn, dass sich kaum noch Zeugen melden?
Bei dieser verrückten Entwicklung muss man heute ja befürchten, dass man als Zeuge „Besuch“ zu Hause bekommt. Das schreckt natürlich zunehmend ab. Es sind leider auch viele Menschen zu gleichgültig geworden. Bei Facebook oder in anderen sozialen Netzwerken wird gerne großartig lamentiert. Es ist aber ein Unterschied, sich vor Gericht den Fragen der Rechtsanwälte zu stellen. Da geht es dann auch mal etwas ruppiger zu. Der Angeklagte bekommt am Ende Bewährung und der Zeuge hat unter Umständen Angst um sein Leben. Zum Glück sehen trotzdem noch viele die Notwendigkeit und fassen sich ein Herz, damit gerade schwere Delikte aufgeklärt werden können.

Was hat sich bei Mord und Totschlag in den letzten 30 Jahren geändert?
Bei der Bandbreite ist eigentlich alles so geblieben. Wir hatten schon damals Menschen, die für fünf Mark getötet haben oder die Oma umbrachten, weil sie den Griff in den Sparstrumpf bemerkt hat. Neu sind für uns natürlich die ausländischen Tatbeteiligten. Wir sind deshalb auch vielseitiger geworden, müssen mit Sprachbarrieren umgehen und viel über Mentalitäten lernen. Dass das bei immer weniger Personal eine hohe Belastung ist, dürfte sich von selbst verstehen.

Wie hat sich die Personallage denn verändert?
Zum Beispiel bei Fällen von Kinderpornografie, Sexualdelikten und versuchten Tötungsdelikten. Da haben wir für den ganzen Bereich Magdeburg, den Salzlandkreis und vom Harz bis südlich von Stendal nicht einmal mehr eine Handvoll Kollegen im Fachkommissariat, die das machen, was früher 20 getan haben. Da fällt die Motivation natürlich schwer. Zumal die Beförderungen ausfielen und sich nach jeder Strukturveränderung die Kollegen neu bewähren mussten. Dass sie immer noch ihre Aufgaben so erfolgreich erfüllen, liegt am ungebrochenen Aufklärungswillen sowie der sehr großen Einsatzbereitschaft der Kollegen des Fachkommissariats, an der Unterstützung unserer Familien und der guten Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft. Der geht es ja personell ähnlich.

Es sollen ja neue Polizisten eingestellt werden ...
Ich glaube nicht, dass die am Ende auch bei uns ankommen. Natürlich sind einige von ihnen auch für die Kriminalpolizei vorgesehen. Andererseits muss man aber auch sehen, wie viele Kriminalisten in den nächsten Jahren auch pensioniert werden. Das sind Hunderte Beamte mit einem hohen Erfahrungsschatz, der für immer verloren geht. Man lässt hier bis 2020 ganz bewusst eine Kluft, weil man die alten Kollegen nicht behalten will. Lieber lässt man dafür die Ermittlungen liegen. Es soll inzwischen nur noch Spurensicherung gemacht werden, wo es sich lohnt. Doch wer entscheidet so etwas? Eigentlich ist das Strafvereitelung im Amt. Die Politik hat uns im Stich gelassen.

Was hat sich denn bei den Mordermittlungen in den letzten 30 Jahren verändert?
Wir sind schon immer wissenschaftlich an die Fälle herangegangen. Aber allein für die Aktenhaltung gab es fünf bis sechs Leute. Die habe ich heute nicht einmal, um zu ermitteln. Wenn es gut läuft, bekomme ich am ersten Tag zwei bis drei Mann. Früher waren Anfang der 1990er Jahre noch 15 bis 20 Kriminalisten am Tatort und haben beim sogenannten ersten Angriff gearbeitet. Die Tatortgruppe ist, wenn man sie überhaupt anfordern kann, nur noch mit zwei Mann besetzt. Das waren früher vier. Hinzu kamen die Bereitschaft und die Beamten aus den Revieren.

Damals gab es mehr Leute, heute dafür aber bessere Technik ...
Naja, das hält sich auch in Grenzen. Während ich immer mit demselben Computer über mehrere Jahre gearbeitet habe, hat meine Frau in einer Klempnerei inzwischen schon Rechner der dritten Generation. Sicher, wir haben schon gute Technik in der Tatortgruppe. Die hat auch wirklich viel drauf. Sie muss eben nur Zeit haben und kommen.

Wie viele Fälle gab es, die in Ihrer Zeit wegen fehlender Spuren geplatzt sind?
Es gab in der gesamten Zeit nur zwei Tötungsfälle, in denen die Beschuldigten später vom Gericht freigesprochen wurden.

Und wie viele konnten Sie klären?
Die Polizeidirektion Nord hat etwa zehn bis 20 Tötungsdelikte im Jahr zu bearbeiten. Im Schnitt liegen wir bei 15, da hat sich auch nichts geändert. Nach der Wende waren es kurzzeitig mal über 30. Da hatten wir aber noch große Unterstützung. Da gab es noch eine eigene Geschäftsstelle und Schreibkräfte. Das gibt es heute alles nicht mehr. Das macht heute nur noch ein Kriminalist. Der Unterschied zu früher ist nur, dass auch die Tötungsversuche dabei sind. Die haben wir früher gar nicht bearbeitet.

Welcher Fall ist Ihnen am meisten an die Nieren gegangen?
Theoretisch darf einem guten Ermittler gar kein Fall an die Nieren gehen. Es gab natürlich Verfahren, bei den ich geschluckt habe. Das waren vor allem Sachen, an denen Kinder beteiligt waren. Damit hat man zu kämpfen, das geht einem sehr nahe. Es sind aber auch Fälle, die einem nahe gehen, weil man trotz großer Anstrengungen einfach nicht vorwärts kommt. Man will den Angehörigen aber Antworten geben. Ansonsten gilt für uns aber immer der Grundsatz, dass wir uns objektiv auf die Sache konzentrieren müssen. Eines muss ich sagen, mir ist es immer gelungen, die Arbeit nicht mit nach Hause zu nehmen.

Gab es auch Ermittlungen, auf die Sie gerne zurückblicken?
Ja sicher. Der Taxifahrer-Mord von Olvenstedt zum Beispiel. Das waren komplizierte Ermittlungen, etwa ein Dreivierteljahr lang. Die Taxifahrer waren sehr beunruhigt, sind sogar in einem Autokorso um den Hasselbachplatz gefahren. Dadurch hatten wir auch entsprechenden Druck. Es stellte sich heraus, der Mörder war ein Dieb, von dem nie Fingerabdrücke genommen wurden. Dadurch fiel er durch unser Raster. Das zeigt im Übrigen auch die wichtige Rolle der Kriminaltechnik. Jedenfalls waren wir froh, als wir den Mann dann endlich hatten.

An wie vielen Verfahren waren Sie beteiligt?
Hochgerechnet dürften es so 450 Fälle sein. Allerdings sind Ermittlungen immer Teamarbeit. Etwas mehr als 150 Vernehmungen dürfte ich selbst geführt haben. Später, 1994, wurde ich ja Leiter des 2. Fachkommissariats. Neben den Tötungsdelikten waren wir dann auch für Strafaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Brände und Katastrophen zuständig. Das war auch eine aufregende Zeit, die einem viel abverlangte und unsere Truppe zusammenschweißt hat. Wir haben sogar nach Feierabend gemeinsam unsere Büroräume renoviert, weil wir dort den Großteil unseres Lebens verbrachten.

Es gibt sicher auch Verfahren, die nie abgeschlossen werden konnten. Welche ärgern Sie besonders?
Den „Spatzen-Fall“ hätte ich schon gerne gelöst, bevor ich in Rente gehe. Das war immer mein Ziel. Es gab etliche Verdächtige, aber wir konnten keinem etwas nachweisen. Es gehören inzwischen auch noch ein paar andere Fälle dazu, die wir gerne noch klären würden. Ich würde dennoch sagen, dass wir angesichts der Masse an geklärten Fällen nicht schlecht waren. Leider wird die Zeit wegen des fehlenden Personals immer knapper. Somit können wir uns nicht wie früher nochmal mit den alten ungeklärten Fällen beschäftigen.

Was machen Sie jetzt im Ruhestand?
Ich werde gärtnern und wieder Zeit für mich haben. Außerdem will ich endlich mal wieder Bücher lesen.

Kriminalromane?
Warum nicht.

Die wichtigsten Fälle von Kriminalrat Harald Meier können Sie hier nachlesen.