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Musik im Dom Ein Südafrikaner in Magdeburg

Der Magdeburger Domchor wird 200 Jahre alt. 25 Jahre davon wirkt Barry Jordan als Domkantor und -organist. Er fand hier eine zweite Heimat.

Von Kathrin Singer 11.05.2019, 23:01

Magdeburg l Im Kindergottesdienst seiner Heimatstadt Port Elizabeth wird der junge Barry Jordan für den Kinderchor entdeckt. Der Elfjährige nervt seine Eltern fortan mit dem Wunsch, Klavierspielen zu lernen. Und er ist fasziniert von der Orgel. Schnell findet er heraus, wo der Schlüssel ist und wird prompt auf der Orgelbank erwischt. Das aber ist der Beginn einer langen Leidenschaft für die Musik. Bald hilft er wegen der auch in Südafrika rar gesäten Organisten im Gottesdienst aus und probiert sich ansonsten durch etliche Instrumente. „Mein Vater sagte oft: Was hast du denn jetzt wieder mitgebracht?“, erinnert sich Jordan und grinst. Hängen bleibt der Junge bei der Klarinette – Resultat einer Werbetour eines Klarinettenlehrers durch die Schulen.

Das Instrument rettet Jordan nach seinem Musikstudium in Kapstadt schließlich durch die Militärzeit, die er in Pretoria als Klarinettist im Orchester der südafrikanischen Polizei ableisten darf. Eine echte Nische, denn den Militärdienst zu verweigern, ist nicht so leicht möglich wie in Deutschland.

Vieles in seinem Leben bezeichnet Barry Jordan als Zufall. Über allem steht der Wunsch, Musiker zu werden. Kein Geringerer als der Komponist Morton Feldman, ein echter „Star“ der Musikszene, bei dem er ein Seminar belegt, ermutigt den jungen Komponisten Jordan, weiterzumachen. Noch im Militärdienst gewinnt Jordan ein Stipendium, das er zunächst nicht annehmen kann, weil der Dienst im Polizeiorchester vier Jahre dauert.

Jordan kehrt zurück nach Kapstadt, tritt den Dienst als Musiklehrer und Chorleiter in einem Mädchengymnasium an und spielt nebenbei Orgel in der Kathedrale.

Schließlich gewinnt er mit der Komposition eines großen Orgelwerks ein weiteres Stipendium der Uni Kapstadt und geht nach Wien. „Ich war dennoch bettelarm, eine Gulaschsuppe war ein Fest“. Später in Lübeck, wohin er seinem Orgellehrer Martin Haselböck folgt, entsprechen drei Gulaschsuppen einem Stehplatz in der Oper. Keine Frage, wofür sich Jordan entscheidet ...

Der Sprung nach Europa ist ein großer, dennoch haben ihn viele südafrikanische Musiker gewagt, sagt Jordan. „Kapstadt ist eine tolle Stadt, es gibt zwei Sinfoniekonzerte die Woche, viel Neue Musik und Kammermusik und natürlich auch viele Gastdirigenten und Solisten aus Europa.“ Trotzdem habe die Szene immer das Gefühl gehabt, sich in einem kleinen Kreis zu bewegen. „Im Studium in Wien haben wir dann gemerkt, dass wir gar nicht so ungebildet, sondern eigentlich ganz gut sind.“

Eigentlich will der junge Absolvent in seine Heimat zurückzukehren, doch dann kommt die Stellenausschreibung aus Magdeburg ...

Die Wende hatte der junge Organist in Lübeck erlebt. „Auf einmal war die Stadt voller Trabbis, und die Begrüßungsgeldschlange unendlich lang.“ Erfahrungen mit dem Osten hatte er vorher nicht. Die Orgelfahrten der Lübecker vor dem Mauerfall in den Osten zu begleiten, wäre mit einem südafrikanischen Pass eher undenkbar gewesen.

Doch nun Magdeburg, eine harte Woche Probedirigat mit Chor inclusive Konzert und Gottesdienst. Jordan bekommt die Stelle, zieht in eine zugige Altbauwohnung mit Kachelofen und einfach verglasten Fenstern. „Ich dachte, das wird nicht so schlimm, aber ich habe im ersten Winter so erbärmlich gefroren“, sagt er und lacht.

Das Leben im Osten sei dem in Südafrika nicht unähnlich, ist seine verblüffende Erkenntnis. Bei zwar entgegengesetzter politischer Ausrichtung sei die Struktur vergleichbar. Geheimdienste, Überwachung und Repressalien gegen Andersdenkende ähnelten einander. „Natürlich war ich als liberaler Weißer nicht ganz so gefährdet, aber dennoch musste man schon auch aufpassen, was man sagt“. Die Lebensqualität so kurz nach der Wende habe ihn aber schockiert. „Ich bin froh über die Erfahrung, aber nicht traurig, dass es zu Ende ist.“

Der junge Organist kommt mit den Magdeburgern gut klar, findet die Zusammensetzung des Domchores überraschend. „Da waren lauter Menschen im Chor, die man so in ähnlichen Chören im Westen nicht finden würde. Bunt gemischt, Studenten, Bauern, Heizungsinstallateure – eine ganz andere soziale Struktur eben.“ Der harte Kern bleibt, selbst Studenten, die längst auswärts studieren, sind ihrem Chor treu.

Heute versammelt der Domkantor, der mit Frau und Kindern in Magdeburg lebt, bis zu 250 sangesfreudige Magdeburger im Alter von 6 bis 65 Jahren in mehreren Chören am Dom, die auch regelmäßig gemeinsam auftreten. Für seine Qualität spricht der aktuelle „Ritterschlag“ für Chöre, die Zelter-Plakette, die dem Ensemble in diesem Jahr verliehen wird.

Im Vergleich zum Chorleben vor der Wende 1989, als bis zu dreimal die Woche geprobt wurde und in dem das Singen in der Gemeinde auch einen politisch geschützten Raum bedeutete, überlagern zunehmend andere Interessen das gemeinsame Singen. Barry Jordan bedauert das, kann es aber nachvollziehen. „Die Leute sind einfach müde, haben viele Verpflichtungen, arbeiten lang.“ Aber er beobachtet auch den Trend, dass die aktive Freizeitgestaltung in Gemeinschaft eher zurückgeht und zieht den Vergleich zum Sport: „Sie sehen heute mehr Leute allein joggen als im Verein Fußball spielen. Fußball schaut man sich dann im Fernsehen an.“ So ähnlich sei es beim Chorsingen. Es wird konsumiert, aber wenig selbst aktiv praktiziert. Dennoch hofft Jordan auf eine Zukunft des Chorgesangs, denn „Singen ist etwas Urmenschliches. Dass es untergeht, ist für mich kaum vorstellbar.“

Auch dass das Orgelspiel in der Kirche von anderen Formen abgelöst werden könnte, mag der Organist nicht glauben. „Noch wollen sie, dass jemand Orgel spielt, damit sie singen können“, sagt Jordan und ist überzeugt, dass ein altes Lutherlied die bessere Wahl ist vor „altmodischem schlechtem Pop der 60er Jahre“, der ins Kirchenrepertoire Eingang gefunden hat. Alles Liedgut sei auf die Gemeinde, deren Gesang und die Orgel abgestimmt, und „auch wenn in den reinen Orgelkonzerten vielleicht nur 30 Leute sitzen, haben sie etwas gehört, was ihr Leben bereichert.“

Dass der Beruf des unentbehrlichen, aber unsichtbaren Organisten zuweilen ein recht einsamer ist, stört den nachdenklichen Jordan weniger. „Ich bin kein Mensch, der sehr viele Menschen braucht“, sagt er leise. Außerdem habe er das Orgelspiel im Gottesdienst nie als Pflicht empfunden. „Wenn der Gottesdienst aus einem Guss ist und ich Improvisationen einfließen lassen kann, bin ich froh, dass ich das darf.“

Die Domorgel ist dabei eines seiner „Babies“. 2008 wurde die Sanierung abgeschlossen, die Jordan von der Geldakquise bis zur Umsetzung „bei jeder einzelnen Pfeife“ begleitet hat. Jordan vergleicht das Instrument mit einem „Kind, das nichts falsch machen kann“ und das man einfach nicht verlasse. „Wenn ich sie höre, bin ich vollkommen zufrieden.“