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Weiter Streit im Hildebrandt-Prozess "... nicht an der Brille lutschen"

Von Oliver Schlicht 12.07.2012, 05:18

Alle Befangenheitsanträge gegen die Richterin im Hildebrandt-Prozess wurden abgelehnt. Ihr Mann, der Chef der Steuerfahndung, habe in den Ermittlungen "keine Aufsicht" gehabt, so die Begründung.

Magdeburg l Die Vorsitzende Richterin Konstanze Nolte kann das Verfahren am Magdeburger Amtsgericht gegen den Ex-SCM-Manager Bernd-Uwe Hildebrandt fortsetzen. Die Dienstag gestellten Befangenheitsanträge wurden vom Gericht abgelehnt, wie die Richterin gestern im Verfahren knapp und ohne öffentliche Begründung mitteilte.

Hintergrund der Anträge war unter anderem: Richterin Nolte ist mit dem Vorsteher des Magdeburger Finanzamtes, Frank Nolte, verheiratet, der wiederum auch die Steuerfahndung leitet. Dem Angeklagten Hildebrandt wird Steuerhinterziehung vorgeworfen. Die Steuerfahndung des Finanzamtes ermittelt in dem Fall.

Richterin Nolte erhielt den Vorsitz des Verfahrens wie üblich nach dem Zufallsprinzip, so das Gericht auf Nachfrage. Die Entscheidung, welcher Richter welches Verfahren führt, geschehe nach allgemeinen Kriterien wie Endziffern oder Buchstaben des Verfahrensschlüssels.

Eine Gefahr der Befangenheit von Richterin Nolte sieht das Amtsgericht nicht, heißt es in der Begründung der Ablehnung des Befangenheitsantrages, der der Volksstimme vorliegt. Die Steuerfahnder seien lediglich Ermittlungspersonen im Auftrag der Staatsanwaltschaft gewesen. "Eine über die Dienstaufsicht hinaus gehende Aufsicht des Ehemanns der abgelehnten Richterin ist damit nicht ersichtlich", heißt es.

Damit ist gemeint: Die Abteilung "Steuerfahndung" des Finanzamtes war im vorliegenden Fall an die Staatsanwaltschaft als Ermittlungsbehörde "ausgeliehen". In der Regel ermittelt sie im Auftrag des Finanzamtes. Frank Nolte - der Ehemann der Richterin und Finanzamtsvorsteher - war also nicht Ermittlungsleiter, auch wenn er formell die Dienstaufsicht über die Steuerfahndung hat.

Hatte er wirklich nur die Dienstaufsicht? Es gibt einen in den Akten des Verfahrens belegten Schriftwechsel aus dem Jahr 2009 zwischen dem Staatsanwalt, Horst Nopens, und Frank Nolte, der anderes zu belegen scheint. Anlass des Schreibens war: Eine Steuerfahnderin hatte sich bei ihrem Chef Nolte beschwert, weil Staatsanwalt Nopens "am Telefon unangemessen laut" geworden sei und den ihm zugearbeiteten Fahndungsbericht im Fall Hildebrandt als "Mist" bezeichnet habe. Frank Nolte verlangt in dem Schreiben an Nopens eine "förmliche Entschuldigung", um eine "gemeinsame Arbeitsebene mit meiner Steuerfahndung" wiederzufinden.

Dieser scheinbar lapidare Schriftwechsel ist der einzige Hinweis auf die Person Frank Nolte in den Prozessunterlagen. Er wird derzeit gleich in zweifacher Hinsicht als Beweis angeführt.

Das Amtsgericht und auch die Staatsanwaltschaft sehen ihn als Beleg, das allen Prozessbeteiligten bekannt sein musste, dass - wegen der Namensgleichheit - die Richterin mit dem Finanzamtsvorsteher verheiratet ist. Dass ihr Mann "beim Finanzamt" tätig ist, hatte sie bei anderer Gelegenheit unstrittig erwähnt. Die Verteidigung wiederum sieht mit dem Schriftwechsel bewiesen, dass Frank Nolte auch inhaltlich in die Ermittlungsarbeit der Steuerfahndung einbezogen war.

Der Prozess selbst dauerte gestern nur etwa 15 Minuten. Zeit genug, dass Verteidiger H.-Peter Günther und Richterin Konstanze Nolte wieder in Streit gerieten. "Schmeckt die Brille", fragte der Verteidiger provozierend, weil Nolte den Bügel ihrer Lesebrille im Mundwinkel hatte. Die verbat sich diese Bemerkung. Günther konterte: "Und ich verbitte mir, dass sie süffisant an ihrer Brille lutschen, wenn sie mir in die Augen blicken."

Der Prozess wird Montag fortgesetzt. Die Verteidigung hat für diesen Tag einen neuen Befangenheitsantrag gegen die Richterin angekündigt. Seite 5