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Nierenleiden Dialyse muss nicht zwingend sein

Mehr als 2700 Sachsen-Anhalter müssen zur Dialyse. Eine Früherkennung der Niereninsuffizienz kann helfen, diese Zahl zu reduzieren.

Von Steffen Honig 19.01.2017, 00:01

Köthen l Was heißt hier Arztpraxis? Die Gemeinschaftseinrichtung, die Dr. Ellen Triebel und Jörg-Detlev Lippert in Köthen betreiben, ähnelt eher einem Krankenhaus. Für die Dialyse, die bei den Nephrologen ambulant vorgenommen wird, ist viel Platz nötig. Die stundenlange Behandlung erfolgt parallel, die Wartezeiten für die Patienten sonst astronomisch. Die Dialysegeräte dafür stehen in zwei großen Räumen mit je zehn Geräten und kleineren Zimmern. Ein mittelständischer Betrieb: Bei den Ärzten sind rund 30 Mitarbeiter angestellt.

Jörg-Detlev Lippert ist ein freundlicher Mann. Er hat für jeden seiner Patienten ein gutes Wort übrig, beruhigt, drückt Hände oder klopft auf die Schulter.

Dialyse – das ist ein hartes medizinisches Brot. Weil dahinter bedrückende menschliche Schicksale stehen. Wer mit einer Niereninsuffizienz zu tun hat, die der entgiftenden Blutwäsche bedarf, muss sein Leben komplett auf die Krankheit einstellen. Sonst drohen tödliche Komplikationen.

Facharzt Lippert erklärt: „Nierenerkankungen entstehen durch ein beschädigtes Immunsystem, Keime, Viruserkankungen oder erbliche Vorbelastung.“ Das Tückische: Bis es richtig gefährlich werde, könnten Jahrzehnte vergehen. Zudem, sagt der Spezialist, seien die Nieren „ein alterndes Organ“, dessen Leistung vom 50. Lebensjahr an nachlasse. „Die Leber kann sich regenerieren, bei den Nieren ist das nicht möglich,“ sagt Lippert, der gleichzeitig Vorsitzender der Dialysekommission des Landes ist.

Also ist Früherkennung umso wichtiger. Davon hat Ramona Richter profitiert. Die 50-Jährige ist seit dem Jahr 2000 bei den Köthener Ärzten in Behandlung. Medikamente und regelmäßige Konsultationen konnten ihre Nierenwerte bisher unterhalb der Dialyse-Schwelle halten. Die Niereninsuffizienz ist – in die Stadien I bis V eingeteilt. Erst bei der höchsten Stufe V ist Dialyse angezeigt.

Frau Richter, die in Aken lebt, kommt zwei Mal im Jahr zur Untersuchung nach Köthen. Die frühere Stellwerksmeisterin, die zur Altenpflegehelferin umgelernt hat, ist mit der Behandlung sehr zufrieden. „Ich habe nur gute Erfahrungen gemacht“, sagt die alleinerziehende Mutter mit Bestimmtheit.

Offen ist, wie sich die Krankheit bei ihr weiterentwickelt und ob auch sie eines Tages viel öfter kommen muss – zur Blutreinigung. Nicht jeder Betroffene bleibt von Dialyse verschont. Doch zeigt ein von der AOK Sachsen-Anhalt aufgelegtes Programm, dass bei frühzeitiger Erkennung der chronischen Niereninsuffizienz gute Chancen bestehen, Dialyse auf Dauer zu verhindern. „Das Programm richtet sich an Patienten mit den Risikofaktoren Diabetes, Bluthochdruck, oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Der Hausarzt kontrolliert bei ihnen regelmäßig den Urin und überweist sie bei positivem Befund an einem Nephrologen“, erklärt AOK-Experte Andreas Goldmann. Nach seinen Angaben konnten allein 2015 in über 2500 Fällen eine Niereninsuffizienz bereits im Frühstadium erkannt werden.

Nephrologe Richter sieht in dem Programm einen gleich mehrfachen Gewinn: für Kranke, Ärzte und Krankenkassen. Die Behandlungskosten für einen Dialyse-Patienten gibt er mit jährlich 35  000 bis 40  000 Euro an. Ein Gerät für die Blutwäsche schlage mit rund 20  000 Euro zu Buche.

Machen noch andere Kassen in Sachsen-Anhalt bei dem Vorsorgeprogramm mit? Richter erläutert, dass am Anfang die DAK dabeigewesen wäre. Dann jedoch habe die Führungsspitze der Krankenkasse gewechselt und die Beteiligung sei Einsparungen zum Opfer gefallen.

Wer auf die Dialyse angewiesen ist, den sieht der Facharzt häufig – drei Mal wöchentlich für eine Behandlungszeit von vier bis fünf Stunden. Eine zeitraubende Angelegenheit, auf die das gesamte Leben eingestellt werden muss. „Manche Patienten liegen bis zu sechs Stunden am Dialyse-Gerät“, sagt Lippert. Es gelte beim Austauschverfahren das Prinzip: Je länger, desto besser. „Waschen und Schleudern“ nennt der Arzt den Vorgang in Anlehnung an die Haushaltsarbeit salopp.

Noch anstrengender ist die Bauchfelldialyse. Dabei dient das Bauchfell als Membram für den Austausch. Vier Mal am Tag laufen zwei Liter Wasser und Dialyte in den Körper ein, die gleiche Menge Flüssigkeit wird wieder herausgezogen. Rund 4,5 Prozent aller Patienten werden so behandelt, in der Regel als Vorbereitung für eine Nierentransplantation. Die Organe stammen häufig von verwandten Spendern. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier half beispielsweise so seiner Frau.

Viele auf Dialyse angewiesene Menschen müssen durch den zeitaufwendigen Behandlungsrhythmus ihren Beruf aufgeben. Und es gebe aber auch Patienten, die Angst hätten, wieder komplett gesund zu werden, berichtet der Facharzt. Sie fürchteten, den Anforderungen des Arbeitslebens nicht mehr gerecht zu werden.

Immer mehr alte, wenige junge Menschen in Sachsen-anhalt – das schlägt sich auch in der Dialyse-Praxis nieder. „Der Faktor Alter kommt zunehmend ins Spiel“, sagt der Köthener Spezialist. Auch betagte Menschen können durch die Dialyse ihr Leben um etliche Jahre verlängern. Eine Patientin, so Lippert, begann mit 78 Lenzen die Dialyse. Sie wurde 93 Jahre alt.