1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. „Saupreißn“ sind völlig narrisch

Oktoberfest  „Saupreißn“ sind völlig narrisch

Nicht nur in München heißt es: „Hoch die Krüge!“ Auch in Sachsen-Anhalt tönt es ab Freitagabend in vielen Orten „O’zapft is“.

Von Matthias Fricke 23.09.2016, 01:01

Magdeburg l „Ein Prosit, ein Prosit der Gemütlichkeit“, schallt es aus Tausenden Kehlen und wie auf Befehl krachen die schweren Maß-Krüge über den langen Holztischen zusammen. Die bayerische Kapelle spielt dazu zünftige Schunkelmusik zum Mitsingen.

Was sich anhört wie eine Szene im Münchner Oktoberfestzelt, spielt sich mehr als 500 Kilometer nördlich der Hauptstadt des Schunkel-Marathons jenseits des Weißwurst-Äquators ab. Die „Saupreißn“ sind inzwischen völlig narrisch geworden – mitten in Sachsen-Anhalt.

Zu den Pionieren der ersten Stunde des Oktoberfest-Kultes gehören die beiden Mückenwirte Tino Bredau und Uli Bittner. „Vor zwölf Jahren haben wir mit 300 Leuten bei uns angefangen. Nur vereinzelt waren da auch Gäste mit Trachten dabei. Dann wurden es immer mehr“, sagt der Magdeburger Wirt, der inzwischen an mehreren Tagen bis zu 20.000 Gäste im Wiesn-Zelt begrüßt. Auch dieses Jahr dürften Bredau und Bittner wieder einen neuen Rekord aufstellen. Von neun geplanten Veranstaltungen sind sieben bereits ausverkauft. „Innerhalb von zwei Wochen waren die Karten für die Sonnabend-Veranstaltungen weg“, so Bittner.

Angesichts dieser großen Nachfragen geben sich inzwischen auch Sachsen-Anhalts Politiker die Krüge auf den Oktoberfesten in die Hand und machen sich gerne auch mal zum Seppel. In Magdeburg wird am heutigen Freitagabend Oberbürgermeister Lutz Trümper zum Hammer greifen, um den Hahn ins Holzfass zu schlagen. Beim „Lümmelgaudi“ im Magdeburger Stadtteil Lemsdorf kündigt sich Verkehrsminister Thomas Webel (CDU) an. Es gibt kaum ein Oktoberfest im Land, das nicht durch einen Bürgermeister oder Landrat persönlich eröffnet wird.

Wenn Antonia aus Tirol (Hey was geht ab!) oder Mickie Krause (Zieh dich aus kleine Maus) live auf der Bühne stehen, dann erinnert die Stimmung an eine Mischung von traditionellem Oktoberfest und Ballermann-Stimmung. Nur, dass das Publikum anders als auf Mallorca nicht unbedingt das übermäßige Trinken in den Vordergrund stellt. „Wir haben in den ganzen Jahren noch keine großen Auseinandersetzungen gehabt“, sagt Bittner stolz. Sein Produktionsleiter Daniel Natho fügt hinzu: „Sicherheit spielt bei uns eine große Rolle. In diesem Jahr sind erstmals auch keine großen Taschen und Rucksäcke erlaubt. Die Leute sollen sich wohlfühlen.“ Inzwischen sind die „preißischen“ Oktoberfestwirte so professionell geworden, dass sie auch überregional zusammenarbeiten. So teilen sich die Magdeburger Mückenwirte mit dem Wernigeröder „Wiesn-Gaudi“ teure Stars wie Mickie Krause.

Während der Entertainer am Sonnabend zuerst an der Elbe einheizt, wird er noch am gleichen Abend in den Harz fahren, um dort das Publikum von Michael Wiecker zu begeistern. Er organisiert seine Wernigeröder Wiesn im größten Festzelt des Landes seit etwa elf Jahren und begann ebenfalls wie die Magdeburger Wirte mit kleinem Publikum. Wiecker: „Inzwischen hat hier auch jedes Dorf sein eigenes Oktoberfest. Und 99,9 Prozent der Leute kommen in Dirndl und Lederhose.“

Dementsprechend rankt sich um den bayerischen Kult inzwischen auch eine kleine Industrie. Einer der Nutznießer ist zum Beispiel Gordon Gol, Inhaber eines speziellen Geschäftes für Oktoberfest-Kleidung in Magdeburg.

Er mietet seit vier Jahren nur für die Zeit zwischen 19. August bis 15. Oktober einen Laden in der Magdeburger Innenstadt und verkauft dort Dirndl und Lederhosen. „Die Kunden kommen aus einem großen Einzugsgebiet, sogar aus Braunschweig, Halle und Wolfsburg“, sagt er. Zudem würden immer mehr Kunden auf eine höhere Qualität achten und auch höherwertige Ware kaufen. Ein Dirndl kostet im Schnitt zwischen 150 und 400 Euro. Die Herren müssten für eine Lederhose zwischen 180 und 350 Euro hinblättern. Auch für 600 Euro seien Exemplare erhältlich.

Das Geschäft boomt auch für das Friseurhandwerk. In Wernigerode zum Beispiel werden für die Frauen die Zöpfe bis in die Nacht gedreht.

„Die Nachfrage ist vor allem nach Zöpfen und Hochsteckfrisuren groß. Wir sitzen daran teilweise bis 22 oder 23 Uhr“, sagt Friseurmeisterin Stefanie Schallmey aus Wernigerode. Die Kosten für einen professionell geflochtenen Zopf fürs „fesche Madel“ belaufen sich immerhin zwischen 15 und 25 Euro. Und dennoch ist die Nachfrage hoch. Die 28-Jährige: „Es traut sich ja kaum noch einer ohne Tracht mehr zum Oktoberfest zu gehen. Da würde man sich auch völlig fehl am Platz fühlen.“

Ähnlich sieht es auch der Mitorganisator und Erfinder der Schlappen-Gaudi in Burg im Jerichower Land und der Lümmel-Gaudi in Magdeburg Jens-Uwe Jahns.

Er sieht vor allem die Verbindung zwischen Oktoberfest-Stimmung und lokalen Traditionen als Erfolgsrezept an. „Die Lemsdorfer Lümmel-Gaudi ist schon ein Jahr im Voraus ausgebucht“, bestätigt Astrid Pierau vom Lemsdorfer Heimatverein. Bei diesem speziellen Oktoberfest werden auch Bilder des Stadtteils gezeigt. Und neben der bayerischen Weißwurst gibt es „Lemsdorfer Lümmel“. Dieser soll nach einem Originalrezept von 1924 Magdeburgs meistverkaufte Rostbratwurst sein.

Einen ähnlichen lokalen Anstrich bietet auch das Oktoberfest in Burg im Jerichower Land. Dort wird seit 2013 zur „Schlappengaudi“ am 1. und 2. Oktober in das große Festzelt am Rolandplatz eingeladen.

Weil es in der Stadt eine lange Tradition der Schuhproduktion gab, wurde das Fest eine „Schlappen-Gaudi“. Die zünftige Sause in Burg hat sogar eine eigene Hymne, die von den Einwohnern inzwischen genauso textsicher beherrscht wird, wie das „Magdeburg Lied“ im Mückenwirt-Zelt. Die Burger haben zudem eine Stadtwette mit dem Bürgermeister abgeschlossen. Am 3. Oktober sollen zur „Zwergengaudi“ auf dem Rolandplatz mindestens 404 Kinder eine Polonaise tanzen. „Wir kommen damit garantiert in das Guinnessbuch der Rekorde, weil es noch keinen Eintrag gibt“, sagt Jahns. Und ergänzt: „Was mich immer wieder fasziniert ist, dass alle Generationen auf den Bänken feiern, ohne dass es eine Saufveranstaltung ist.“

Der Kult breitet sich indes immer weiter aus. In Haldensleben gibt es erst das zweite Mal die „Haldensleber Wiesn“. In Köthen, ausgerechnet der Faschingshochburg in Sachsen-Anhalt, feiert das Oktoberfest am 7. bis 9. Oktober auf dem Marktplatz sogar seine Premiere mit dem Stargast Jürgen Drews.