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Ost-Produkt Kult-Quark: Bückware war einmal

1979 lag Leckermäulchen erstmals in den Kühlregalen der DDR. Mit der Wende wäre das Ost-Produkt fast ausgestorben.

Von Massimo Rogacki 14.12.2019, 00:01

Weißenfels l Das Frischli-Milchwerk in Weißenfels. Vor der Fabrik wachsen mehrere bis zu 25 Meter hohe Milchtanks in die Höhe. Im Inneren der Fabrik rauschen 24.000 Leckermäulchen-Becher pro Stunde über die Bänder. Das gewisse Etwas erhält die Quarkspeise, indem sie mit Stickstoff aufgeschäumt wird. "Luftig, cremig, dieser Schmelz auf der Zunge, das ist schon ein besonderer Geschmack", findet Marketing-Chef Curd Kießler.

Ziemlich köstlich fanden auch die Menschen in der DDR das Quarkdessert. In den ostdeutschen Kühlregalen landete Leckermäulchen erstmalig vor 40 Jahren – im Dezember 1979. Einige Jahre der Entwicklungsarbeit waren der Markteinführung vorangegangen. Der aufgeschlagene Vanillequark wurde durch das Molkerei-Kombinat Merseburg hergestellt, dann zeitgleich in 18 Molkereibetrieben der DDR. Der Standort Weißenfels war einer der Vorreiter.

Leckermäulchen ist heute noch immer das Aushängeschild der Fabrik im Burgenlandkreis. Auf 6500 Quadratmetern werden H-Milch, Naturquark und Sahne hergestellt. 140 Beschäftigte arbeiten hier in drei Schichten. Bis zu 160 Millionen Liter im Jahr verarbeitet die Fabrik, sagt Werkleiter Henner Schumann. Jährlich rund 40 Millionen Packungen der Quarkspeise gehen vom Band.

In der Fabrik werden gerade die Becher aus der Folienbahn ausgestanzt. Sie sausen über acht nebeneinanderliegende Bahnen. Henner Schumann nimmt an der Abfüllanlage eine Probe. Die wandert im Anschluss ins Labor.

Dort warten die Laborantinnen Franziska Gludau und Stefanie Hahn. Mit Schnelltestgeräten können sie die Inhaltsstoffe kontrollieren. Neben der mikrobiologischen Untersuchung werden die Proben auch sensorisch untersucht. Heißt: Löffel rein, kosten. Frischli erwirtschaftet mit der Fabrik im Jahr einen Umsatz von 90 Millionen Euro. Dafür wurde kräftig investiert. In den vergangenen fünf Jahren 7,5 Millionen Euro. Die Produktion wurde ausgebaut, neue Anlagen angeschafft. Zwei Millionen Euro sollen in den kommenden zwei Jahren folgen.

Wie alles begann, weiß am besten Dieter Gorzki. In Weißenfels war der 69-Jährige bis 2015 Werkleiter. Vorher tüftelte er am Institut für Milchwirtschaft in Oranienburg mit anderen Experten an den Möglichkeiten, das Quarkcreme-Dessert in die Massenproduktion zu bringen.

Problem: Die geeignete Technik war in der DDR nicht verfügbar. Blieb nur Improvisieren. Herausforderung: Einen haltbaren, lockeren Quark herstellen. Wie aber könnte man Hunderte Kilogramm Sahne auf einen Schlag luftig schlagen? Lösung: Eine Aufschäum­anlage für Schlagsahne. Daran nahmen sich die Entwickler ein Vorbild. Konstruiert wurde zudem ein sogenannter Schneckenförderer. Langes Rohr, im Inneren eine rotierende Schnecke. Die, schräg nach oben aufgestellt, mischte Quark und Sahne. Heraus kam der Leckermäulchen-Quark.

Der trat mit künstlichen Aromen und Zucker versehen seinen Siegeszug in den Verkaufsstellen der DDR an. Produziert wurde an 18 verschiedenen Orten. Haltbar war der Quark anfangs nur fünf Tage, verkauft werden konnte er nur in einem Radius von rund 100 Kilometern um die Werke, erinnert sich Gorzki. Die 200-Gramm-Packung kostete eine DDR-Mark. Das Produkt war trotz des stolzen Preises der absolute Renner, was dazu führte, dass Leckermäulchen zeitweise zur Bückware avancierte. Heißt: Nicht überall zu bekommen war. Zehn Jahre wurde produziert, dann kam die Wende.

Die Frischli-Milchwerke in Weißenfels gingen im Juni 1990 aus dem Betrieb des DDR-Molkereikombinats hervor. Leckermäulchen starb, auch weil die Konsumenten in diesen Jahren Westprodukten den Vorzug gaben.

Gorzki aber glaubte immer an das Leckermäulchen. Einen Neustart gab es bei der Grünen Woche 1995. Schnell stellte sich heraus: Leckermäulchen zieht noch immer. Mit der beginnenden Ostalgie-Welle bog die Marke wieder in die Erfolgsspur ein. Die Absatzzahlen im Westen sind mit etwa einem Drittel der Gesamtmenge inzwischen eine feste Größe. Der Nostalgie-Faktor sei bei vielen Käufern aus der ehemaligen DDR natürlich besonders hoch, sagt Curd Kießler.

Heute gibt es das Leckermäulchen – als Quark, als Zitronencreme oder Joghurtcreme frei von Laktose. Insgesamt existieren mehr als 20 Varianten, darunter Stracciatella, Käsekuchen oder Maracuja-Pfirsich. Es gibt laktosefreie und zuckerreduzierte Varianten. Die Ur-Sorten Vanille und Zitrone sind natürlich erhalten geblieben. Vanille ist bis heute die am meisten verkaufte Geschmachsrichtung.

Verändert hat sich über die Jahre auch das Produktdesign. Herausforderung: Die Marke modernisieren, Wiedererkennungseffekt erhalten, beschreibt es Curd Kießler.

Geblieben ist das kess lächelnde Mädchen mit der verschmitzt im Mundwinkel sitzenden Zunge. Der krebsrote Teint ist Vergangenheit. Nachgebessert wurde auch beim unterdessen weniger fransigen Pony und bei den seitlich abstehenden Zöpfen. Die Frisur sieht nun nicht mehr nach Steckdosen-Kontakt aus, die Haare sind heller geworden. Das Leckermäulchen-Mädchen ist in den vergangenen 40 Jahren gereift, wiedererkannt wird es allemal.