1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Haseloff: „Es bleibt mühsam“

Ost-West-Angleichung Haseloff: „Es bleibt mühsam“

Im Osten werden zum Teil immer noch deutlich geringere Löhne gezahlt als im Westen. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) im Interview.

17.07.2017, 23:01

Volksstimme: Herr Ministerpräsident, auch 27 Jahre nach der Wiedervereinigung hinkt der Osten dem Westen wirtschaftlich hinterher. Wie kann diese Lücke geschlossen werden?

Reiner Haseloff: Jeder, der nicht völlig vergessen hat, wie wir in der DDR gelebt haben, ist mit der Entwicklung der vergangenen 27 Jahre zufrieden. Die Bilanz ist trotz noch bestehender Probleme positiv. Was viele ausblenden, ist der Fakt, dass sich die alten Bundesländer und Europa auch weiter entwickeln und wachsen. Deshalb bleibt die Ost-West-Angleichung ein mühsamer Prozess. Die Lücke wäre nur zu schließen, wenn wir im Osten auf Dauer ein höheres Wachstum hätten als der Westen.

Das ist unrealistisch.

Ja. Die alten Länder waren 1990 schon hochentwickelt, wir dagegen kamen aus einer ziemlich maroden Grundstruktur. Wir hatten große Wettbewerbsnachteile. Die fehlende Wirtschaftskraft ist in drei Jahrzehnten nicht aufholbar. Schon in der Bibel steht: Die Sünden der Väter gehen bis in die dritte und vierte Generation.

Eine vollständige Angleichung gibt es Ihrer Meinung nach also erst in 100 Jahren?

Zunächst einmal: Seit 1990 hat es natürlich schon große Fortschritte gegeben. Und es gibt Hilfen wie den Länderfinanzausgleich und verschiedene Förderprogramme des Bundes. Doch trotz all dieser Instrumente wird die alte DDR-Grenze womöglich auch noch am Ende dieses Jahrhunderts abgebildet sein. Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gibt es aber auch im alten Bundesgebiet. Entscheidend ist, dass wir Verbesserungen für die Menschen erreichen. Bei der Rentenangleichung sind wir schon gut vorangekommen. Eine vollständige Angleichung wird bis spätestens 2025 erreicht sein. Auch wenn ich mir diese schon für 2019 gewünscht hätte. Und nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit sind wir bei der Lohnentwicklung in Sachsen-Anhalt mit einem durchschnittlichen Brutto in Höhe von rund 2350 Euro im Osten hinter Brandenburg an zweiter Stelle. Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern liegen knapp hinter uns. Wir sind kein Niedriglohnland mehr! In manchen Branchen ist die Lohnangleichung an den Westen erreicht. Weil das noch nicht überall so ist, müssen wir uns fortentwickeln. Unsere Unternehmen müssen bei den Löhnen kontinuierlich etwas draufpacken.

Zum Durchschnittsverdienst im Westen fehlen immer noch mehr als 800 Euro.

Das ist richtig. Aber solche Statistiken buchen ja die Lebenserhaltungskosten nicht mit ein. Die muss man auch betrachten.

Was würde sich dadurch mit Blick auf Sachsen-Anhalt ändern?

Wenn man beispielsweise die Mietkosten vergleicht, fällt auf: Die sind in Sachsen-Anhalt im deutschlandweiten Vergleich sehr niedrig. Eine Verkäuferin oder ein Student müssen im Westen also deutlich mehr Geld aufwenden, um den gleichen Standard zu haben wie hier bei uns. Und unsere Wohnungen in Magdeburg oder Halle sind ja nicht schlechter als die in Braunschweig oder Hannover. Viele der Rückkehrer, die nach Sachsen-Anhalt kommen, bestätigen diese Vollkostenrechnung. Bei der Ost-West-Angleichung empfiehlt sich ein differenzierter Blick.

Dennoch werden viele Menschen im Osten langsam ungeduldig.

Das Wachstum könnte an einigen Stellen sicher größer sein. Aber da muss man auch die Rahmenbedingungen sehen. Viele Firmenchefs sagen mir immer wieder, sie würden sich ja gerne eine zusätzliche Anlage kaufen oder ins Jahr 2018 geschobene Aufträge vorziehen, wenn sie die Fachkräfte dafür hätten, die das abarbeiten. Das Thema Fachkräfte wird für unsere weitere Entwicklung mitentscheidend sein.

Für gute Fachkräfte braucht man gute Schüler. In Sachsen-Anhalt schafft jeder zehnte Jugendliche keinen Schulabschluss. Müsste die Landesregierung hier nicht energischer gegensteuern?

Das kann so nicht weitergehen. Ich bin da im Gespräch mit dem Bildungsministerium. Diese Prozentzahl kommt ja nicht flächendeckend im ganzen Land zustande. Wie bei der Arbeitslosigkeit gibt es Gegenden, zum Beispiel den Landkreis Mansfeld-Südharz, wo das Problem gravierender ist als in anderen Regionen. Ich werde mir deshalb genau die Schulen anschauen, die uns nach unten ziehen. Da will ich nachhaken: Liegt das an der Sozialstruktur? Liegt das an der Größe der Klassen? Liegt das am System?

SPD und Grüne wollen das System verändern und stellen die hohe Zahl an Förderschulen infrage.

Ich glaube nicht, dass wir das Problem dadurch lösen werden, dass wir die Zahl der Förderschulen reduzieren. Diese Schulen geben spezielle Hilfen, zum Beispiel für Schüler mit Lernproblemen, und viele Eltern wollen, dass ihre Kinder nicht überfordert werden und wir diese Schulform weiter anbieten. Das ist konzeptionell nicht einfach.

Und teuer. Wie wollen Sie sich da mit Ihren Koalitionspartnern einigen?

Dieses Problem ist nicht allein mit Geld zu lösen. Wenn es nur das Geld wäre, müsste jede Schülerin und jeder Schüler bei uns einen Abschluss schaffen! Wir haben in Sachsen-Anhalt mit die kleinsten Schulen in Deutschland, pro Kopf sehr hohe Ausgaben und eine gute Lehrer-Schüler-Relation. Das kann es also nicht sein. Wir werden da eine Lösung finden, das lässt mich nicht ruhen. An diesem Parameter will ich mich in dieser Legislaturperiode mit festmachen lassen.

In puncto Forschung und Innovationen muss der Osten ebenfalls aufholen. Wie?

Da benötigen wir einen langen Atem. Bayern hat von 1945 bis 1990 gebraucht, um ein Geberland im Finanzausgleich zu werden. Nur mit Investitionen in Forschung können wir den Rückstand zum Westen verringern. Deshalb habe ich mich innerhalb der Union dafür eingesetzt, dass im Bundestagswahlprogramm der CDU ein Infrastrukturprogramm verankert wird. Es soll nach der Wahl ein Sofortprogramm geben, mit dem der Strukturwandel über verschiedene Projekte begleitet wird. Wir kriegen die deutsche Einheitsgeschichte nur mit Hilfe vollendet.

Die CDU will bis 2025 Vollbeschäftigung erreichen. Ist das für das Land realistisch?

Vollbeschäftigung heißt, es bleibt dennoch ein Anteil von drei bis fünf Prozent, der auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance hat. Dafür werden wir auch in Zukunft soziale Angebote brauchen. Aber gerade vor dem Hintergrund der Demografie, wenn ich mir die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen in den vergangenen Jahren anschaue, ist das auch für Sachsen-Anhalt ein realistisches Ziel – wenn uns die weltwirtschaftliche Entwicklung keinen Strich durch die Rechnung macht.

Und für die anderen? Welche sozialpolitischen Impulse erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?

Wir brauchen eine Bürgerarbeit 2.0. Es war ein Fehler, dass die aktuelle Regierung das Programm 2014 nicht verlängert hat. Wir benötigen Unterstützung dabei, Langzeitarbeitslose in den Arbeitsmarkt zurückzuführen – nicht nur für ein Vierteljahr, sondern über drei und mehr Jahre. Und wir brauchen Vertrauen in den Standort Ost.

Wie meinen Sie das?

Mir geht die Bewertung der Lebensqualität und unserer Menschen hier im Osten gegen den Strich. Wir werden oft mit rein westdeutscher Brille betrachtet – vor allem auch von ausschließlich in Westdeutschland sitzenden überregionalen Medien. Das halte ich nicht nur für unzulässig, sondern auch für unwissenschaftlich.

Der Osten wird im Westen falsch dargestellt?

Er wird zumindest nicht fair dargestellt. Wenn bei uns etwas schiefgelaufen ist, kommen wir in die Tagesschau. Erfolge landen kaum in den Spätnachrichten von ARD und ZDF. Das muss sich ändern. „Vom Grau zum Wow“ – eine solche Schlagzeile über den Osten wie in dieser Woche in der „Zeit im Osten“ zu lesen, gibt es noch zu selten. Es finden sich immer noch zu viele Klischees. Ostdeutschland ist kein No-Go-Gebiet und hier wird auch nicht nur rechts gewählt! Die Menschen im Osten sind kein Volk von Arbeitslosen ohne Perspektive und ohne Mut inmitten von Industriebrachen. Mich ärgert diese oft einseitige Darstellung! Denn unsere zukünftige Entwicklung wird auch davon abhängen, dass uns Multiplikatoren – und dazu gehören die Medien – fair behandeln. Wir brauchen keine Sonderbehandlung. Aber wir verdienen die gleichen Raster wie das Saarland und Bayern.