1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Die Geschichte einer Supernase

Parfüm Die Geschichte einer Supernase

Der Beruf des Parfümeurs ist ein seltener. Der gelernte Apotheker Sven Pritzkoleit aus Barby kam über einen Umweg dahin.

Von Emily Engels 18.03.2018, 00:01

Barby l „Parfüms sind Spürhunde des Gedächtnisses.“ Dieses Zitat des französischen Schriftstellers Daniel Boulanger könnte nicht treffender sein. Wenn Sven Pritzkoleit aus Barby im Salzlandkreis von seiner Kindheit in der DDR erzählt, dann spricht er nicht von Farben oder Geräuschen, sondern von Gerüchen. Davon, wie der Garten seiner Großmutter geduftet hat, in dem sie Mangold angepflanzt hat und Himbeeren erntete. Oder davon, dass er seine Mutter mit „Magie Noire“ von Lancôme in Verbindung bringt – einer der wenigen internationalen Düfte, die es in der DDR zu kaufen gab. „Ansonsten hat es oft einfach sehr nach Mensch gerochen - zum Beispiel, wenn man in einen Bus gestiegen ist. Die Desodorierung stand damals nicht im Vordergrund“, sagt Sven Pritzkoleit und lächelt bei dem Gedanken daran.

Und dann war da die Apotheke seiner Eltern. „Ein Mix aus Kamille, Fenchel, Schafgarbe, Pfefferminze und Baldrian“, sagt der Parfümeur. Die Fähigkeit, Düfte so klar benennen zu können, ist gewissermaßen genetisch bedingt. Es geht um die olfaktorische Wahrnehmung, die Kunst, komplexe Gerüche besonders gut identifizieren zu können. Die ist bei Sven Pritzkoleit besonders ausgeprägt.

Doch bis aus dem Apotheker-Kind der international gefragte Parfümeur wird, ist es noch ein langer Weg. Sven Pritzkoleit sagt: „Damals, mit 16 Jahren, hätte ich nie die Idee gehabt, Parfümeur zu werden. Ich hätte es regelrecht abwegig gefunden.“ Der Barbyer ging zunächst den geradlinigen Weg, den des geringsten Widerstands. Er studierte Pharmazie und arbeitete 18 Jahre lang in der Apotheke seiner Eltern.

Doch neben dem wissenschaftlichen Sven Pritzkoleit gab es auch den, der sich für Kunst, Literatur und eben Düfte interessiert. Den wirklichen Impuls, tiefer in die Welt der Düfte einzutauchen, gab ihm eine schicksalhafte Begegnung – nicht mit einem Menschen, sondern mit dem düster-grotesken Roman „Das Parfüm“ von Patrick Süskind. Pritzkoleit: „Ich habe den Roman völlig berauscht in einem Zug durchgelesen und dann immer wieder von vorne begonnen, er hat mich gefesselt.“ Heute kann er diese Faszination in Worte fassen: „Der Roman ist so geschickt komponiert wie ein gutes Parfüm.“

Während des Gesprächs sprüht er immer wieder seine eigenen Duftkreationen auf Teststreifen, es riecht nach Veilchen und Waldmoos und – das erkennt nur Sven Pritzkoleits erfahrene Nase – einem Hauch von frischem Leder. Der Parfümeur fragt den Riechenden dann gerne, woran die Gerüche ihn erinnern, welche Assoziationen sie in ihm hervorrufen.

In seinem Labor stehen zahlreiche Fläschchen, in denen die Duftstoffe von Beeren, Blüten und dem rosafarbenen Pfefferkorn festgehalten sind und aus denen Sven Pritzkoleit gepaart mit Molekülen wie Excitel (Moschus), Hedione (Jasmin) und Javanol (Sandelholz) Düfte zaubert.

Die Inspirationen dafür sind vielfältig: ein Gefühl, eine Erinnerung oder auch ein Foto oder Kunstwerk. Sven Pritzkoleit zeigt einen Brief vom Juni 2007. Unterschrieben wurde er von Philip Kraft, der Duftmoleküle für einen großen Schweizer Betrieb herstellt.

Dort stehen Dinge geschrieben wie „die Feige geht ins Staubige, sie müsste saftiger sein“ oder „das Rumartige im Angeruch mag ich weniger“. Es handelt sich um Verbesserungsvorschläge als Antwort auf die Duftproben, die Sven Pritzkoleit dem Duftexperten zugeschickt hat.

Vor allem der eine Satz macht dem Apotheker Mut. Denn da steht: „Insgesamt sind Ihre Versuche ohne klassische Parfümeursausbildung beachtlich, Sie haben großes Talent.“ Für Sven Pritzkoleit eine Bestätigung. Denn während andere Parfümeure auf Parfüm-Akademien das Fach lernen, ist der Barbyer Autodidakt. Bis er den Schritt gewagt hat, seinen Apothekerberuf für seine Leidenschaft aufzugeben, beschäftigte er sich 20 Jahre lang mit Riechstoffen, entwickelte über 200 Duftformeln.

Es ist kein Wunder, dass Sven Pritzkoleit an das Schicksal glaubt. Denn dass er sich nun seit 2016 mit ganzer Hingabe und als Profession mit dem Parfüm beschäftigt, hat wieder etwas damit zu tun.

Die Apotheke, in der er arbeitete, musste schließen, seit knapp zwei Jahren sind seine Produkte – insgesamt 15 Düfte – nun unter dem Namen SP-Parfums auf dem Markt. Er verkauft über seinen Online Shop, doch die Produkte sind auch in den USA, Kanada und England und Deutschland in exklusiven Parfümläden erhältlich. Sein Parfüm „Liquorice Vetiver“ wurde sogar als Finalist für den „Art and Olfaction Award 2017“ – eine Art Oscar für Parfümeure – nominiert.

Trotz des großen internationalen Erfolges bleibt Sven Pritzkoleit seiner Heimat treu, er arbeitet noch in Barby, von dort aus gehen die Düfte dann in die ganze Welt.

Wie viel hat er mit Jean-Baptiste Grenouille. der bizarren Hauptfigur aus „Das Parfüm“, zu tun? Dem Mann, der mit einem unheimlich guten Geruchssinn geboren wird, das beste Parfüm der Welt herstellen möchte und dafür über Leichen geht? Auf den ersten Blick erschreckend viel. Auch Sven Pritzkoleit hat den Anspruch, dass jeder Duft perfekter ist, als der vorherige. Und auch er kommt in einem Buch vor: Seinem eigenen, er hat die Autobiografie „Duftspuren“ geschrieben.

Einen großen Unterschied gibt es dann doch: Sven Pritzkoleit tut keiner Fliege etwas zuleide. Denn die „animalischen“ Duftnoten in seinen Parfüms werden allesamt synthetisch hergestellt.