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Personalmangel Flüchtlingsklagen überlasten Gerichte

Verwaltungsrichter schlagen Alarm, weil sie von einer Klagewelle von Flüchtlingen überrollt werden. Die fordern dringend mehr Personal.

14.08.2017, 10:06

Magdeburg/Leipzig (dpa) l Wegen der immer weiter steigenden Zahl von Asylverfahren sind die Verwaltungsgerichte in Deutschland am Limit. "Man kann sagen: Die Lage ist dramatisch. Es knarzt jetzt an allen Ecken und Enden", sagte der Vorsitzende des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter, Robert Seegmüller, der Deutschen Presse-Agentur. In diesem Jahr werde sich die Zahl der Verfahren auf rund 200.000 verdoppeln. Bereits im vergangenen Jahr hatte es bei den Klagen von Flüchtlingen eine Verdopplung gegeben: Von 50.000 (2015) auf 100.000 (2016).

Immer mehr Flüchtlinge klagen gegen ablehnende Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) – oder auf den vollen Flüchtlingsstatus. Zwar sei die Zahl der knapp 2000 Richter in den vergangenen anderthalb Jahren signifikant erhöht worden. "Die Gerichte finden aber gar nicht so viele geeignete Bewerber wie wir bräuchten", sagte Seegmüller, der Richter am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ist. "Die Situation momentan ist einfach sehr, sehr belastend."

In Sachsen-Anhalt hat sich die Zahl der Asylverfahren in den zurückliegenden Jahren versechsfacht – von 788 im Jahr 2012 auf 4839 (2016). Tendenz: weiter rasant steigend: Im ersten Halbjahr 2017 wurden bereits 3990 Eingänge verbucht.

Sachsen-Anhalt Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) sagte am Montag der Volksstimme: „Angesichts der weiter steigenden Zahl von Asylverfahren halte ich es für dringend geboten, die an ihren Belastungsgrenzen arbeitenden Verwaltungsgerichte durch zusätzliches Personal zu entlasten. Wir haben in diesem Jahr im Vergleich zu 2016 schon fast eine Verdopplung der Eingänge bei den Asylverfahren. Solche Spitzen lassen sich nur durch Personalverstärkung auffangen.“ Das Ministerium werde noch in diesem Jahr bis zu zwölf neue Richter – derzeit sind es 60 – an den Verwaltungsgerichten einstellen, sagte sie. „Die Ausschreibungen sind schon draußen, erste Bewerbungsgespräche laufen.“ Dazu komme auch noch Unterstützung für den mittleren Dienst.

„Unsere Verwaltungsgerichte tun alles in ihrer Kraft stehende, die Verfahren effizient zu entscheiden“, sagte Keding. „Dabei müssen wir sie unterstützen. Hinzu kommt, dass auch die klagenden Asylbewerber möglichst schnell Klarheit über ihren Status bekommen sollten.“ Die durchschnittliche Verfahrensdauer betrug in den ersten sechs Monaten dieses Jahres acht Monate – 2016 waren es noch 9,4 Monate gewesen.

Woanders sieht es nicht besser aus. Beispiel Rheinland-Pfalz: Dort hat sich die Zahl der Asylverfahren in den ersten sieben Monaten dieses Jahres sogar fast verdreifacht: von 3350 in 2016 auf 9500.

An manchen Gerichten gibt es laut Seegmüller allmählich auch ein Raumproblem. Zudem sei "nicht-richterliches Personal" unzureichend vorhanden. Kurzfristig helfe derzeit nur: "Möglichst viel Personal einstellen, genügend Räume und finanzielle Ressourcen zur Verfügung stellen und so gut wie möglich versuchen, das Thema abzuarbeiten."

Aber: Um die Situation zu entschärfen, müsse man auch prüfen, wie man "gleichförmige tatsächliche und rechtliche Fragen" schneller beispielsweise durch das Bundesverwaltungsgericht entscheiden lassen könne, sagte der Richter. "Da muss der Gesetzgeber mal nachdenken, ob es nicht eine Möglichkeit gibt, im Wege eines gesonderten Vorlageverfahrens oder mit anderen neuen prozessualen Instrumenten einfach schnellere Entscheidungen gleichartiger Tat- und Rechtsfragen zu ermöglichen."

Es gebe Fragen, "die man einmal durch ein oberstes Gericht im Prinzip entscheiden könnte, und dann wäre das geklärt", sagte Seegmüller. "So entscheiden das 15 Oberverwaltungsgerichte und 51 Verwaltungsgerichte dieselben tatsächlichen und rechtlichen Fragen nebeneinander und das macht viel unnötige Arbeit."