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Personalmangel Justiz und Polizei im Streit um Stellen

Die Personalnot bei Sachsen-Anhalts Richtern und Staatsanwälten spitzt sich zu. Der Richterbund kritisiert den Fokus auf die Polizei.

Von Bernd Kaufholz 27.02.2019, 00:01

Magdeburg l Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) spricht von „dramatischer Ausgangslage“ in der Justiz und dringt auf Gegensteuern mit 50 Richter-Einstellungen bis 2030.

Alles schön und gut, entgegnet Christian Hoppe, Vorsitzender des Bundes der Richter und Staatsanwälte Sachsen-Anhalts, nicht besonders hoffnungsfroh, aber die Theorie sei das eine, die Umsetzung das andere.

Er habe erhebliche Bauchschmerzen, sagt Hoppe, der mit 42 Jahren der jüngste Richter in Sachsen-Anhalt ist. Keding müsse sich im Kabinett stärker gegen das Kultus- und Innenressort stemmen. „Der Richterbund kann das Gejammer: 'Wir brauchen mehr Lehrer und mehr Polizisten' nicht mehr hören.“ Was nutze eine höhere Zahl von Polizisten, die zwar mehr Fälle aufklären, wo die Anklagen dann aufgrund Personalmangels im „Flaschenhals Justiz“ steckenblieben. Und für die Polizei ist das auch unbefriedigend.

Hoppe nennt die Situation „hochbrisant“. Die Personaldecke sei bereits jetzt sehr dünn. Und der Blick in die juristische Zukunft alles andere als ermutigend. Was daran liege, dass bis zum Jahr 2030 mehr als die Hälfte der Richter und Staatsanwälte in den Ruhestand gehen.

„Beim Oberlandesgericht sowie den vier Land- und 25 Amtsgerichten sind gegenwärtig 377 Vollstellen besetzt. 2030 wären es ohne Neueinstellungen nur noch 134. Mit anderen Worten: Jeder Richter müsste das Zweieinhalbfache an Fällen bewältigen.“ Die Zeit bis zum Verfahren stiege weiter an. Bereits heute dauern Sozialverfahren rund zwei Jahre. Das anspruchsvolle, aber alternativlose Ziel ist, bis 2030 wenigstens 223 Vollstellen zu besetzen. Bei den Staatsanwälten sieht die Situation noch schlechter aus. Da stehen 151 Vollstellen heute 33 in 15 Jahren gegenüber. Geplant ist 141 Staatsanwälte einzustellen.

Der Personal-Konkurrenzkampf zwischen den Bundesländern sei heftig, weiß Hoppe. Sachsen-Anhalt habe reagiert, indem die Anforderungen für potenzielle Bewerber gesenkt wurden. Anstatt üblicher 18 Punkte aus beiden Staatsexamen wirbt das Ministerium mit einer Mindestpunktzahl von 16,5. Wie ein Hilfeschrei klingt zudem der Passus, dass auch Bewerber mit Berufserfahrungen aus anderen juristischen Berufen gern gesehen sind.

Hoppe listet Punkte auf, die umgesetzt werden müssen, um nicht spätestens in 15 Jahren die weiße Fahne hissen zu müssen. Knackpunkt ist aus seiner Sicht, dass die Besoldungshöhe wieder in Bundeshand gelegt wird. „Mit der Reform vor einigen Jahren wurde den reichen Bundesländern wie Hessen und Bayern in die Karten gespielt. Sie können mit höherer Einstiegsbesoldung die Besten binden. Sachsen-Anhalt hinkt hinterher.“

Ein Vorstoß im Bundesrat, mit ebenfalls betroffenen Ländern, habe Sinn. Telearbeitsplätze mit gesicherten Datenverbindungen, damit auch von zu Hause gearbeitet werden kann, könne die Landes-Justiz ebenfalls attraktiver machen. Zudem sollte Partnern der Bewerber eine berufliche Perspektive angeboten werden.

Bereits jetzt wird zwischen Straf- und Zivilgerichten hin und her gezerrt. Richter springen für Richter ein. Mit dem Ergebnis, dass der Aktenberg beim „Aushelfer“ wächst. Das führt zu längerer Verfahrensdauer, was Tätern Rabatt einbringt. Dass demnächst Angeklagte aus der Untersuchungshaft entlassen werden, weil aufgrund fehlender Richter Prozesse nicht beginnen können, ist nur noch eine Frage der Zeit.

Kommentar "Umfeld und Bezahlung müssen stimmen" zum Thema.