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Prozess Ehefrau soll Mann beim Sterben geholfen haben

In Stendal startet der Prozess gegen eine Frau, die ihrem Mann angeblich einen Cocktail von Medikamenten und Insulin verabreicht hat.

08.10.2020, 23:01

Stendal l Roland S. wollte sterben. So soll er es immer wieder gesagt haben. Wegen der Schmerzen. Das ging schon in den 90er Jahren los, damals mit dem Rücken: Bandscheibenvorfall. Die Schmerzen wurden chronisch, Herzprobleme kamen dazu, Diabetes, Arthrose, außerdem Depressionen. Vor drei Jahren wurde es so schlimm, dass er nicht mehr wollte. Wiederholt soll er seine Frau um Hilfe gebeten haben. Beim Suizid.

Dann kommt der Tag im August 2019. Roland S. ist 72 Jahre alt und kann das Bett nicht mehr verlassen, der Ischiasnerv schmerzt. "Heute machen wir es", sagt er zu seiner Frau. "Ich will meine Tabletten und mein Insulin." Was Roland S. nicht will: ins Krankenhaus gehen. "Das wird nichts mehr", sagt er.

Es ist 23 Uhr. Seine Frau holt die Medikamente. Es sind 15 oder 16 Tabletten des Beruhigungsmittels Diazepam, die sie ihm in die Hand legt. Dazu trinkt er 40 Milliliter Prothazin, auch ein Beruhigungsmittel. Außerdem bekommt Roland S. noch zehn Pillen Hydromorphon, ein starkes Schmerzmittel. Und auf Verlangen sechs Ampullen Insulin, die ihm seine Frau spritzt. Wenige Stunden später ist er tot.

So soll es sich zugetragen haben laut Anklageschrift. Sie wird seiner Frau gut 14 Monate später in einem Saal des Landgerichts Stendal vorgelesen. Sieglinde S. sitzt auf der Anklagebank. Tötung auf Verlangen wird ihr vorgeworfen. Ihr drohen bis zu fünf Jahre Haft. Was sie zu ihrer Verteidigung vorbringt, bleibt beim Prozess- auftakt am Donnerstag hinter verschlossenen Türen. Die Angeklagte wurde auf Antrag der Verteidigung unter Ausschluss der Öffentlichkeit angehört.

Rolf Heinemann kennt Fälle wie diesen. Der Magdeburger Fachanwalt für Medizinrecht hat seit den 90er Jahren mehrere Mandanten wie Sieglinde S. vertreten. "Es ist immer eine Einzelfallbetrachtung", betont Heinemann. "Aktuell richtet sich die Strafbarkeit einer Sterbehilfe grundsätzlich danach, ob eine Hilfe zur (straflosen) Selbsttötung vorliegt oder eine aktive Tötungshandlung", sagt er. Eine aktive Sterbehilfe ist in Deutschland verboten. In einigen Nachbarstaaten wie der Schweiz oder den Niederlanden ist sie hingegen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Dass auch Deutschland politisch den Weg dafür frei macht, sieht Heinemann nicht. Das Vorgehen werde eher restriktiver, sagt er.

Der Prozess am Landgericht Stendal wird bis Ende dieses Monats fortgesetzt.