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Prozessbeginn Das Messer an meinem Hals

Jessica K. wird in einem Magdeburger Supermarkt niedergestochen. Eine Not-OP rettet ihr das Leben. Nun beginnt der Prozess vor Gericht.

06.02.2019, 23:01

Magdeburg l Es ist ein sonniger Tag, dieser 18. September 2018. Jessica K. verlässt in ihrer Mittagspause das Büro, um im Supermarkt am Olvenstedter Platz Stifte zu kaufen. Eine kleine Besorgung an einem gewöhnlichen Dienstag. Alltag. „Als ich im Supermarkt vor dem Regal stand, habe ich aus dem Augenwinkel meinen Ex-Freund gesehen“, erinnert sich K., „ich habe mich erschrocken, weil er so ungepflegt aussah, das kannte ich nicht von ihm. Dann hat er den Laden wieder verlassen“. Aber er kommt wieder.

Ronny M. geht auf die 23-Jährige zu - und sticht zu. Das Messer in seiner Hand trifft vier Venen am Hals seiner Ex-Freundin. Sylvia Chrzonowski steht gerade in der Obstabteilung, als sie einen Schrei hört, „aber ich habe gedacht, es ist ein Rentner, der sich über etwas aufgeregt“. Dann sieht die Altenpflegerin jedoch, wie ein Ladendektiv die junge Frau stützt, ihre Hand am Hals, Blut läuft. Chrzonowski reagiert schnell. „Ich habe den Ladendetektiv gebeten, ihre Beine hochzulegen, damit sie nicht ohnmächtig wird“, erinnert sich Chrzonowski, „aber da war es schon fast zu spät, weil sie zu Schwanken begann“. Die 35-Jährige legt einen Druckverband an, spricht mit K., will sie wachhalten. Es gelingt. „Sie hatte viel Blut verloren“, sagt Chrzonowski. Mit einem Blutdruckmessgerät von der Apotheke nebenan überwacht sie die Vitalwerte bis der Rettungswagen eintrifft. K. wird ins Olvenstedter Klinikum eingeliefert, notoperiert.

Währenddessen kreist ein Hubschrauber auf der Suche nach M. über Magdeburg. Er wird in der Nähe seiner Wohnung entdeckt und in Polizeigewahrsam genommen. Gegen ihn wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft Magdeburg Haftbefehl wegen des Verdachts des versuchten Mordes in Tateinheit mit Gefährlicher Körperverletzung erlassen. Im Ermittlungsverfahren bestreitet der Angeklagte, die Tat begangen zu haben.

Mehr als vier Monate sind seitdem vergangen. „Ab und zu treffe ich mich mal mit einer Freundin, ansonsten gehe ich nicht vor die Tür“, sagt K., „ich habe immer noch Angst, die Wohnung zu verlassen“. Wenn der Magdeburgerin auf der Straße große Männer begegnen, bekommt sie Angst, Schweißausbrüche, Herzrasen, „einfach, weil mein Ex-Freund auch groß war“. Im Oktober, wenige Wochen nach dem Angriff, hatte sie eine Therape im Olvenstedter Klinikum begonnen, „aber die hat mir nicht weitergeholfen“, sagt K., „ich schreibe lieber alles, was mich beschäftigt, auf. Das ist eine Art Tagebuch, das hilft mir tatsächlich“. Heute hofft sie auf Antworten. Vor der Schwurgerichtskammer am Landgericht Magdeburg beginnt der Prozess gegen ihren Ex-Freund wegen versuchten Mordes.

Was hat Ronny M. zu dieser Tat bewegt? Strafverteidiger Horst Köhler wollte sich aufgrund des laufenden Verfahrens nicht zum Fall äußern.

18 Monate waren K. und der Mann, der am Donnerstag auf der Anklagebank sitzt, ein Paar. Mit einer Dating-App fing 2017 alles an. „Er war einfühlsam und hat viel für mich gemacht“, erinnert sich die Magdeburgerin an die Anfangszeit. Sechs Monate bevor sich beide kennenlernten, machte M. einen Alkoholentzug, blieb auch während der Beziehung trocken.

Doch je länger die Beziehung dauerte, desto größer wurden die Probleme. „Mit der Zeit wurde er immer aggressiver“, sagt K., ehe sie schnell nachschiebt: „Er hat mich aber nie geschlagen.“ Hätte sie jedoch mal eine andere Meinung geäußert, sei seine Körpersprache aggressiv geworden. „Einmal im Streit stand er vor mir und wollte zuschlagen, da meinte ich ‚mach doch, mehr kannst du eh nicht‘.“ M. schlug nicht zu.

Seine Eifersucht aber nahm krankhafte Züge an. Der 37-Jährige begann die Kleidung und Taschen seiner Freundin zu durchsuchen, vermutete eine zweite, geheime SIM-Karte. „Er dachte, ich treffe mich heimlich mit anderen Männern. Totaler Quatsch“, sagt K., die ihren Ex-Freund als Narzissten bezeichnet. Die letzten sechs Monate in der Beziehung lebten beide aneinander vorbei, sahen sich nur noch selten. K. zog einen Schlussstrich, trennte sich vier Wochen vor der Messerattacke von ihm. „Am Anfang kamen viele Nachrichten von ihm. Er erklärte mir, was für eine schlechte Person ich bin und dass ich alles nur durch ihn erreicht habe.“

Die junge Frau glaubt, ihr Ex-Freund habe ihr an jenem 18. September aufgelauert. „Seine Schwester wohnt in der Nähe, aber er war vorher nicht bei ihr, von daher kann er nur auf mich gewartet haben“, sagt K. Rund zwei Wochen vor der Messerattacke hätte M. sie schon einmal vor dem Büro abgefangen. „Er wollte mich zur Rede stellen und wieder mit mir zusammenkommen.“ K. sagte, er solle verschwinden. Aber er kam wieder.

Und verletzte nicht nur K. lebensgefährlich, sondern zersörte binnen weniger Sekunden auch das, was K. ihre Zukunftsplanung nannte. Sie verlor ihren Job, konnte nicht mehr zur Abendschule und muss nun ein Jahr für ihren Realschulabschluss nachholen. „Jetzt muss ich wieder von vorn anfangen“, sagt K..

Aber erst nachdem sie Antworten erhalten hat. „Ich hoffe, dass mein Ex-Freund sagt, warum er es getan hat“, sagt K., „das beschäftigt mich am meisten. Ich glaube, erst dann kann ich damit abschließen“.