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Prozessionsspiel Bibel-Revue in 23 Bildern

436 Mitwirkende spielen ein mittelalterliches Prozessionsspiel. Das Spektakel in Zerbst findet open air auf dem Markt statt.

Von Oliver Schlicht 09.09.2017, 01:01

Zerbst l Das schüttere Haar von Professor Hans-Rüdiger Schwab hat heute nicht nur der Wind zerzaust. Die Technik ist zum Haareraufen! „Der Ton geht nicht richtig. Und das heute“, schimpft der Kultur-Pädagoge aus Münster leise. Mehr traurig als böse. Schließlich ist Generalprobe. Der Mann lehrt an der katholischen Hochschule, er verfügt als Ex-Dramaturg am Schauspielhaus Zürich über Theatererfahrung. Persönliche Kontakte nach Zerbst hatten die Bande geknüpft.

Ein Jahr Vorbereitung, 436 Mitwirkende. Zerbst will ein Prozessionsspiel der Superlative stemmen. Gesamtkosten: 123.000 Euro – überwiegend finanziert aus Fördermitteln und mit Sponsoren. Sonnabend und Sonntag (jeweils 19 Uhr) bietet sich für Volkstheaterfreunde die einmalige Gelegenheit, dem Spektakel beizuwohnen. 2,5 Stunden. 1000 Plätze gibt es auf dem Markplatz.

Dann funktioniert ganz sicher auch der Ton. So wie auch nach 15 Minuten Unterbrechung am Donnerstag. Der Walfisch auf der Bühne reißt sein Maul auf. Professor Schwab tupft sich am Regiepult den Schweiß von der Stirn. Szene 7, Jona und der Wal, Auftritt 31 Kinder von der evangelischen Bartholomäischule. In den Kulissen nehmen schon Harfenspieler der Musikschule für die folgende König-David-Szene Aufstellung.

Ein Schnelldurchlauf durch den Werte-Kanon der Bibel in 23 Bildern. Kindertanz, Trommler, eine Demonstration für Familie und Gerechtigkeit – alles ist im hohen Maße abwechslungsreich. Ein Bühnenspiel folgt dem nächsten. Vereine, Schulen und Kirchengemeinden gestalten die Szenen. Es ist ein dem mittelalterlichen Original nachempfundener Reigen als Open-Air-Revue. Auf der Bühne zu sehen sind überwiegend pantomimische Sketche, die Schüler der Theatergruppe vom Gymnasium Francisceum wie ein antiker Chor mit erklärenden Texten begleiten. Darstellerisch wird das ganze Repertoire aufgeboten, was die Stadt Zerbst – zu ihr gehören 24 Ortschaften und 56 Ortsteile – an Volkskunst zu bieten hat.

Der Backofenverein aus Garitz und Kleinleitzkau widmen sich dem Brot als Lebensspender. Der Spielmannszug der Feuerwehr Lindau spielt Marschmusik am Hofe von König Salomo. Ihm zu Ehren gehört sogar eine Reiterstaffel mit zur Inzenierung. Die Reiter der „Silent Corner Westernreit- und Fahrgemeinschaft“ ziehen hoch zu Roß durch die Sitzreihen des Publikums. Das Programmheft gibt sogar Auskunft, wie die teilnehmenden Pferde heißen – Gino, Pepe und Rusty Roses seien hier stellvertretend genannt.

436 Mitwirkende – wo ziehen die sich alle um? In der Ruine der Kirche St. Nikolai gleich hinter dem Marktplatz wurden Zeltunterkünfte für alle mitwirkenden Gruppen errichtet. Dort wartet zum Beispiel das „Paradies“ auf seinen Auftritt. Es wird gestaltet von Mädchen und Jungen der Grundschule „An der Stadtmauer“. Sie hüpfen - kostümiert als Blümchen und allerlei Getier - aufgeregt durch St. Nikolai. Ihre Lehrerinnen stecken in braun-grünen Baumkostümen und sind kaum von ihren Schülern zu unterscheiden.

Und wer spielt Jesus? Rechtsanwalt Claus-Jürgen Dietrich. „Ich habe gesagt, ich bin Atheist. Aber es hieß, das spielt keine Rolle“, erzählt er schmunzelnd. Und die Rolle? „Die macht mir großen Spaß.“ Aber Wasser in Wein zu verwandeln sei ihm leider bisher noch nicht gelungen. Ehefrau Ulrike von Thaddem spielt auch mit – trotz Wahlkampf als Spitzenkandidatin für die Grünen in Zerbst. Am Nachmittag ist sie die grüne Hoffnung am Infostand und am Abend auf der Bühne spielt sie mit in der Szene "Tod".