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Rassismus Wenn ein Flüchtling zuschauen muss

Brutale Fouls durch einen Spieler von Grana? Trotz fehlender Beweise muss ein Fußballer der Kreisliga im Burgenlandkreis pausieren.

29.09.2019, 23:01

Grana l Momodou Jawara sitzt an diesem Samstagnachmittag auf der Zuschauerbank. In den nächsten 90 Minuten rennt er bei jedem Tor von Blau-Weiß Grana an den Spielfeldrand und umarmt seine Teamkollegen. Die gewinnen ihr Heimspiel am Ende 6:2 gegen Profen. „Für Momo“, haben sie geschrien. Aus Solidarität. Weil „Momo“ nicht mitspielen darf. Das ist das Ergebnis einer Krisensitzung, an der alle Vereine, der Fußballverband Sachsen-Anhalt (FSA) und der Kreisfachverband Fuball Burgenlandkreis (KFV) wenige Tage zuvor teilgenommen hatten.

Hintergrund: Vereine wollten nicht mehr gegen Grana antreten, solange der Afrikaner noch im Kader steht. Weil der, laut Vereinsvertreter, in der Vergangenheit mindestens vier schwere Verletzungen durch vorsätzliche Foulspiele zu verantworten hatte. Beweise gab es keine. Bis heute nicht. Dafür aber viele rassistische Anfeindungen im Netz gegen Jawara. Bis heute. Auch FSA-Geschäftsführer Christian Reinhardt hatte gegenüber der Volksstimme erklärt: "Meine Befürchtung ist, dass die Situation politisiert wird."

Beim Krisentreffen sollten nun Lösungen gefunden werden. Die präsentierte der FSA dann auch in einer Pressemitteilung. Acht Maßnahmen, darunter ein geplantes Treffen der Kapitäne „zum Thema FairPlay und Umgang miteinander“, Fortbildungsangebote für Trainer zu „FairPlay und Gewaltpräventation“ und für Schiedsrichter zum Thema „Besondere Vorkommnisse (Diskriminierung)“. Viele FairPlay-Maßnahmen – aber kein Satz zum Thema Rassismus. Reinhardt sprach dennoch von einem „Zwischenerfolg“, jedoch sei diese Situation auch für den FSA und den KFV Neuland. „Wir wissen, dass wir jetzt liefern müssen.“ Die wichtigste aller Maßnahmen, nämlich dass Jawara erst einmal drei Spiele pausieren wird, wurde erst gar nicht öffentlich gemacht. Auch Granas Vorsitzender, Björn Koch, hatte sich auf Bitten des FSA bereit erklärt, diese Information erst einmal für sich zu behalten.

Bis heute. An diesem Samstagnachmittag wirkt Koch mit dieser Entscheidung, mit dem Treffen und mit sich selbst unzufrieden. „Ich war machtlos, das war einer gegen alle bei dem Treffen“, sagt er. „Es ging nur um die angeblichen Foulspiele und nicht darum, dass unsere Spieler rassistisch beleidigt werden oder dass es keine Beweise für die Anschuldigungen gibt.“ Koch schüttelt den Kopf, wirkt hilflos. „Ich schäme mich“, sagt er. „Ich hätte mehr sagen müssen, man benutzt uns hier als Spielball.“ Deutliche Worte.

Nur zwei Stunden nach dem Treffen hatte der Verein eine E-Mail vom Kreisfachverband erhalten. Inhalt: Ein im April bereits abgeschlossenes Sportgerichtsverfahren gegen Jawara wird nun wieder aufgenommen. Im Spiel gegen Tröglitz soll der 29-Jährige nach Abpfiff die Fassung verloren und nachgetreten haben. Aufgrund von Medienberichten lägen neue Beweise vor. „Das ist unfassbar, wahrscheinlich will man bewirken, dass Momo nicht nur die drei Spiele pausiert, sondern anschließend noch gesperrt wird“, sagt Granas Kapitän Johannes Heger.

„Es ist unverständlich, dass nicht längst verhandelt wurde“, gibt auch Helge Tiede vom Landessportbund zu. Er leitet das Projekt „Mut und Toleranz im Sport“ und war auch in Grana, um „Momo“ zu erklären, dass er drei Wochen pausieren soll. „Er hat es als Strafe angesehen“, sagt Tiede. „Ich habe versucht, ihm deutlich zu machen, dass das eine Schutzmaßnahme für ihn und den Verein ist.“ Doch schützen FSA und KFV hier wirklich Jawara oder haben auch sie sich dem Druck der Vereine gebeugt? „Diese Maßnahme ist kein Kompromiss, das ist klar“, sagt Tiede. „Aber was sollte der Verband machen? Alle Vereine sind bei ihrem Standpunkt geblieben, viele haben sogar eine lebenslange Sperre gefordert.“ In einer ersten Reaktion hatten Jawaras Teamkollegen erklärt, dass sie nicht ohne „Momo“ spielen würden. „Ich kann die Jungs verstehen, das ist eine Gemeinschaft, aber es muss weitergehen“, sagt Koch.

Und Jawara? Er sitzt mit seiner Freundin am Spielfeldrand. „Es ist schwer, nur zuzugucken.“ Ein anderer Verein wäre eine Option. Nur theoretisch. „Grana oder nichts“, sagt er und lächelt.

Der Kommentar "Eine verpasste Chance" zum Thema.