Grüne fordern Änderung der Magdeburger Abschiebepraxis / Trümper schützt Mitarbeiter Rausschmiss ohne Terminansage
Magdeburg l Der Streit um die dramatische Abschiebung einer armenischen Familie hat sich gestern zugespitzt. Der Grünen-Innenpolitiker Sören Herbst erhob schwere Vorwürfe gegen die Magdeburger Ausländerbehörde. "Was da ablief, war unverantwortlich und unverschämt", sagte er. Auch in der SPD-Fraktionsführung und bis hinauf in die höchste Regierungsbene war man entsetzt über das mangelnde Fingerspitzengefühl.
Die Behörde hatte ohne präzise Terminsetzung die sechsköpfige Familie vorigen Mittwoch früh um 6 Uhr aus ihrer Unterkunft zum Flughafen Berlin-Schönefeld bringen wollen. Erst nach einem Suizidversuch der Mutter wurde die Aktion abgebrochen. Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) nahm seine Behörde in Schutz, sieht aber Diskussionsbedarf. "Meine Mitarbeiter haben rechtlich nichts falsch gemacht. Allerdings muss man die Abschiebepraxis überprüfen."
Die Ausländerbehörde hatte dem Anwalt der Familie im November 2012 eine Abschiebung ab Dezember angekündigt. "Von der bisherigen Praxis, den Betroffenen den genauen Abschiebetermin vorzeitig bekannt zu geben, wurde Abstand genommen", schreibt die Behörde in ihrer Stellungnahme. "Die Erfahrungen der letzten Jahre hatten gezeigt, dass die Rückführung an einem Untertauchen der Person scheiterte." 2012 gab es 31 geplante Abschiebungen. 22 waren erfolglos - in neun Fällen davon waren die Betroffenen geflohen.
Müssen in Magdeburg abgelehnte Asylbewerber also wochenlang auf gepackten Koffern sitzen? "Diese Regelung muss wieder geändert werden", sagte der Grüne Landtagsabgeordnete und Stadtrat Sören Herbst. "Allen Leuten Fluchtgefahr zu unterstellen ist großer Quatsch. In anderen Landkreisen bekommen die Betroffenen 14 Tage vorher den genauen Tag der Abreise mitgeteilt." Trümper meinte jedoch: "Es gibt keinen Zwang, auf die Abschiebung durch die Behörde zu warten. Die Familie hätte zuvor freiwillig ausreisen können." Schon seit 2006 sei sie dazu verpflichtet gewesen, da ihr Asylantrag abgelehnt worden war.
Die Familie war mit drei Kindern 2005 nach Deutschland gekommen, ein weiteres Kind wurde hier geboren. Die Ausländerbehörde gab an, dass die Familie unter falscher Identität eingereist war. Zudem seien die Eltern hier wegen Diebstahls mehrfach straffällig geworden. Der Mann fünfmal, die Frau dreimal. Beide hätten sich nicht um Arbeit bemüht.
Oberbürgermeister Trümper sagte: "Das ganze, sich über Jahre hinziehende Verfahren ist nicht gut." Es gäbe Fälle, da seien die Familien bestens integriert und würden dennoch abgeschoben. Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) forderte eine Debatte über ein neues Asylrecht. "Wir brauchen ein Einbürgerungsgesetz." Abgelehnte Asylbewerber, die die deutsche Sprache erlernen und hier leben und arbeiten wollen, sollten eine Chance bekommen, sich einbürgern zu lassen.