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Reformation Die Formel aus dem Kloster Berge

Die Reformation griff nach Luthers Predigt im Magdeburger Dom 1525 schnell auf das Umland über. Klöster verharrten noch im alten Glauben.

Von Manfred Zander 28.05.2017, 01:01

Magdeburg l Martin Luthers Predigt in der Magdeburger Johanniskirche hatte am 26. Juni 1524 den Stein ins Rollen gebracht. Als er zum Liegen kam, war die alte Kaiserstadt als erste deutsche Großstadt zum neuen Glauben übergetreten. Tatsächlich aber gab es eine geteilte Glaubenslandschaft in Magdeburg.

Während in den sechs altstädtischen Gemeindekirchen die neue Lehre verkündet wurde, verharrten die Klöster und das Domkapitel auf dem alten Glauben. Dabei war im Dom – bereits vor Martin Luther – gegen Missstände in der katholischen Kirche gepredigt worden. Beispielsweise durch Doktor Heinrich Tacke. Noch auf dem Baseler Konzil war er namens des Magdeburger Domkapitels gegen Hussiten zu Felde gezogen. 1452 wetterte er im Dom gegen die Verehrung des Wilsnacker Wunderblutes und den Aberglauben in der Kirche. Ähnlich hatte der 1516 verstorbene Domprediger Doktor Johan Schering die Lehren und das Leben in den Klöstern angegriffen.

Zwistigkeiten gehörten nach 1524 zum Glaubensalltag. 1867 beschrieb Domkustos Brandt anhand von Akten das Gerangel um die Glaubensvorherrschaft: „Die Erbitterung zwischen Stadt und Domkapitel steigerte sich durch die nicht ohne Heftigkeit gehaltenen Predigten und Gegenpredigten immer mehr.“

Auch mit Hilfe der jungen Buchdruckerkunst wurde die Auseinandersetzung befördert. „Widder die lügen prediger des hohen Thumbs zu Magdeburg“, betitelte der von Luther nach Magdeburg entsandte Nikolaus von Amsdorf eines seiner Traktate gegen das altgläubige Domkapitel.

Am 15. August 1524 kam es erstmals zu Gewalt. An diesem Tag machte sich „die Aufregung des gemeinen Volkes im Dom während des katholischen Gottesdienstes, den die Magdeburger Götzendienst und eine Sünde wider den heiligen Geist nannten, durch groben Unfug Luft“, schrieb Brandt. Die Domgeistlichen seien misshandelt und die Heiligenbilder von den Altären geworfen worden. „Solche Auftritte wiederholten sich in den folgenden Jahren so oft im Dom, daß 1546 der Magistrat der Altstadt den Dom schließen ließ.“

Schlimmer erging es dem Kloster Berge. Das lag außerhalb der Magdeburger Stadtmauern, etwa einen halbstündigen Fußmarsch vom Sudenburger Tor entfernt. Manchmal diente das Benediktinerkloster deshalb auch reisender Geistlichkeit als Herberge, im Juni 1517 beispielsweise einer der schillerndsten Persönlichkeiten der Lutherzeit, dem Dominikaner Johann Tetzel. Der war damals auf dem Weg, um einigen betuchten Elbestädtern einen Platz im Paradies zu verkaufen. Bei dieser – oder bei einer früheren – Reise vergaß er einen der für das Ablassgeld bestimmten Kästen. Er ist noch heute im Dom zu besichtigen. Tetzels Ablasshandel war übrigens auch Anlass des lutherschen Thesenanschlags im Oktober 1517.

1546 war dies bereits Geschichte. „Das Verhältnis der Magdeburger Bürger zu den Benediktinern vor den Toren ihrer Stadt (war) durchweg unbelastet gewesen“, schreibt der Braunschweiger Historiker Dr. Christof Römer in der Schriftenreihe „Magdeburg und die Reformation. Eine Stadt folgt Martin Luther“. Allerdings habe es bereits 1524 Unruhestifter gegeben, die in Magdeburg gegen Geistlichkeit und Klöster hetzten.

Unter dem Vorwand, die Stadt vor einer Belagerung durch kaiserliche Truppen zu schützen, beschlagnahmte 1546 der Magdeburger Rat das Kloster Berge.

Am 1. Juli stürmten 200 Magdeburger die Anlage. Die Klosterkirche und alle anderen Gebäude wurden in den kommenden Wochen abgerissen. Im Weißen Buch listeten die Überfallenen später die Verluste auf: Sieben Glocken, das neue Uhrwerk, die Orgel, die Chorstühle und die Kirchenschätze.

Die Furcht der Magdeburger vor einem Angriff kaiserlicher Truppen war nicht unbegründet. 1550 sollte Moritz von Sachsen die Stadt tatsächlich gewaltsam zum alten Glauben bekehren.

Unter den Belagerern waren auch etliche den Belagerten vertraute Gesichter adliger Sprösslinge aus dem Umland. Diese folgten allerding nicht in jedem Fall ihrem eigenem antilutherischen Antrieb, sondern eher wohl ihrer Vasallenpflicht gegenüber dem Erzbischof. Glaubensmäßig standen sie damit auf der falschen Seite.

Zu allem Überfluss holte sich die 392 Mann starke erzbischöfliche Heerschar noch blutige Nasen. Am 19. Dezember 1550 wurde sie in ihrem Lager bei Ottersleben überfallen und jämmerlich verdroschen. 32 Adlige wurden unterm Jubel des Gegners gefangengenommen und nach Magdeburg geschleppt.

Ein anderer Landadliger, Joachim I. von Alvensleben, gehört zu den eindrucksvollsten Gestalten jener Zeit. Manche nennen ihn gar den Reformator aus der Börde. Dies scheint übertrieben. Dennoch trug er viel zum Erfolg der Reformation im Erzbistum Magdeburg bei.

Nach dem Studium an den Universitäten Wittenberg, Padua und Paris wurde Joachim Berater von Erzbischof Albrecht. Das Amt hatte ihm Onkel Busso von Alvensleben verschafft, ein Luther-Gegner und Bischof von Havelberg. Nach Albrechts Vertreibung bekannte sich Joachim I. zum neuen Glauben, umgab sich mit lutherischen Ratgebern und setzte in den drei Kirchen des ererbten Amtes Alvensleben protestantische Pfarrer ein. Im Schloss Erxleben ließ er die erste evangelische Kirche errichten, machte die Schlossbibliothek zu einer der bedeutendsten privaten Büchersammlungen und griff mit „Joachim von Alvenslebens Glaubensbekenntnis“ in den Streit über die lutherische Lehre ein.

Die Auseinandersetzungen unter den Erben Luthers wurden fast auf den Tag genau vor 440 Jahren geschlichtet. Den Weg ebnete die sogenannte Konkordienformel. Sie bestimmte, was in der neuen Kirche künftig in Glaubensfragen rechtens ist. Durch ihre Unterschrift anerkannten 9000 lutherische Theologen die Formel als bindend. Sie wird auch als Bergisches Buch bezeichnet, weil die friedensstiftende Formel vom 19. bis zum 29. Mai 1577 durch sechs Theologen im Kloster Berge erarbeitet wurde.

Das Kloster war zum Teil wieder aufgebaut worden und unter seinem letzten Abt, Peter Ullner, 1565 zum Protestantismus übergetreten.

Auch das Magdeburger Domkapitel hisste nun die weiße Fahne. Am 30. November 1567 berief es Siegfried Sack, Schulrektor und Prediger der Katharinenkirche, als ersten evangelischen Domprediger und Syndicus Christoph Wickmann als Diakon ins Amt ein. Domkustos Brandt würdigte 300 Jahre später das Geschehene: „Der Tag der Einführung selbst, der erste Advent des Jahres 1567, wurde in der ganzen Stadt als ein Festtag gefeiert. Vornehme und Geringe hatten sich bei ihnen in ihren Wohnungen (von Sack und Klee, d. Verf.) und auf dem Breiten Wege eingefunden, um die würdigen Männer an den Ort ihres neuen Wirkunsgskreises zu begleiten.“ Noch am gleichen Tag hielt Sack die erste evangelische Predigt im Dom.