1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Mehr Besucher als Kircheneintritte

Reformation Mehr Besucher als Kircheneintritte

Evangelische Kirchen in Sachsen-Anhalt richten Tauf-Zeremonien auch mit ungewöhnlichen Tauchbecken aus, die jedoch immer seltener werden.

05.02.2019, 12:35

Eisleben (dpa) l In der St. Petri-Pauli-Kirche, nur einen Steinwurf von Martin Luthers (1483-1546) Geburtshaus in Eisleben entfernt, schreiten Menschen bewusst und sacht in die Tiefe: Denn inmitten der Taufkirche des Reformators befindet sich ein großer Brunnen. Viel Licht, Kerzen und entspannte Musik erklingt in dem hohen Raum. In der etwa 70 Zentimeter tiefen Wanne lassen sich Menschen taufen. Das ungewöhnliche Taufbecken ist in den Boden der Kirche eingearbeitet. Wellenförmige Muster prägen das sorgsam verlegte Gestein, lassen somit den Blick in den hellen Raum gleiten.

Die spätgotische Hallenkirche ist das Zentrum Taufe der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Das Wasser in dem Brunnen, der einem runden Pool ähnelt, ist immer in Bewegung, so wie das Leben, so die Idee der Schöpfer, erzählt Pfarrer Heiner Urmoneit. Er leitet das Taufzentrum, das es seit 2012 in der wiedereröffneten und von Berliner Architekten gestalteten Kirche gibt. Sie erhielten dafür einen Preis.

Seither wurden dort 118 Menschen getauft, vom Baby bis zum Erwachsenen. 2018 gab es in der Kirche insgesamt 14 Taufen, wie der Pfarrer erzählt. Neun erfolgten im Brunnen, die anderen auf klassische Weise, indem der Kopf mit Wasser benetzt wird. Dies geschieht über dem Taufstein, der an Luthers – klassische – eigene Taufe erinnert. "Für 2019 gibt es bisher eine Anmeldung", sagt der Theologe über die Zeremonie.

Infografik: Die großen Kirchen verlieren Mitglieder | Statista Mehr Infografiken finden Sie bei Statista

Nach Angaben der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD/Hannover) werden nach den bisher vorliegenden Zahlen die meisten Taufen vor dem ersten Lebensjahr vollzogen. Dennoch entschlossen sich im Jahr 2012 bundesweit rund 18.500 Menschen nach dem vollendeten 14. Lebensjahr dazu, wie ein Sprecher mitteilte. Neuere Zahlen liegen nicht vor. Damit entscheiden sich diese jungen Menschen – im Gegensatz zu einem Neugeborenen – bewusst zum Glauben. Taufen im Wasser gehören indes zum Ritual verschiedener Konfessionen.

Meist seien es Babys, die nach der Geburt getauft werden, weiß ein Sprecher der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, die rund 700.000 Mitglieder zählt, über die heutige Praxis zu berichten. 2017 wurden 5424 Taufen in der EKM registriert, aber auch 5811 Kirchenaustritte. Die EKM ging vor zehn Jahren aus der Fusion der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen hervor.

Spätestens seit dem Reformationsjubiläum 2017 habe es sich herum gesprochen, dass in Luthers Geburtsstadt die Taufe mit einer heute unter Christen eher seltenen Zeremonie gefeiert wird, sagt Pfarrer Urmoneit. Die Täuflinge – Babys und Kleinkinder mit ihren Eltern, Heranwachsende und Erwachsene – steigen dabei in voller Garderobe in das rund 70 Zentimeter tiefe Becken hinab, spüren das warme Wasser am Körper. Sie nehmen teils weite Wege auf sich, um an diesen Ort zu kommen, wo Luther schon kurz nach seiner Geburt am 11. November 1483 - klassisch – getauft wurde. In seinen Schriften habe er seine Taufe als Geschenk Gottes gewürdigt.

"Früher waren Taufen indes nicht solche Events wie jetzt", sagt Urmoneit. Taufen wurden damals im kleinem Kreis der Familie gefeiert. Heute seien damit Zeremonien, auch an ungewöhnlichen Orten wie an Flüssen, und teils große Feiern angesagt. "Das nimmt zu", schildert der Theologe seine Erfahrungen. Zudem werden auch Begegnungen und Projekte wie mit Schülern organisiert. Diese übernachten in der Kirche in Eisleben unter dem Motto "Nachts atmen die Steine", um die besondere Atmosphäre in dem Zentrum Taufe – und des Rituals zu spüren.

Allerdings besuchen weit mehr Menschen die Kirche als sich hier taufen zu lassen. Rund 27.000 Menschen haben sich die Kirche 2018 angesehen, darunter Touristen und Pilger, die auf Luthers Spuren unterwegs waren. "Für manche Besucher ist es die Reise ihres Lebens", weiß der Chef der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, Stefan Rhein, aus Gesprächen mit Christen wie aus den USA zu berichten. "Gläubige sparen sich extra das Geld dafür zusammen, sie wollen zu ihren Wurzeln."

Sachsen-Anhalt gilt als Ursprungsland der Reformation, angesichts des Thesenanschlags von Luther am 31. Oktober 1517 an die Tür der Wittenberger Schlosskirche. "Weltweit gibt es mehr als 80 Millionen Lutheraner, sie verknüpfen ihre geistig-geistliche Identität mit Luthers Leben und Werk", sagt Rhein. Die Originalschauplätze der Reformation zählen heute zum Unesco-Welterbe wie die Kirchen und früheren Wirkungsstätten des Theologen, die heute auch Museen sind.