1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Heimat-Debatte in Sachsen-Anhalts Landtag

Regierungserklärung Heimat-Debatte in Sachsen-Anhalts Landtag

Mit seiner Regierungserklärung löste Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht im Landtag eine Heimat-Debatte aus.

Von Jens Schmidt 31.08.2018, 01:01

Magdeburg l Vom Polizeirevier bis zur Dorfschule: Was braucht es, damit sich Sachsen-Anhalter zu Hause fühlen, damit die Mitte der Gesellschaft nicht ausein-anderbricht? Innenminister Stahlknecht wollte diese Debatte. Er bekam sie am Donnerstag im Landtag. Die Meinungen gingen weit auseinander.

Holger Stahlknecht hat noch einiges vor in der Politik. Er will im November der nächste CDU-Landeschef werden. Und wenn alles glatt läuft für seine Partei und ihn, dann hat er größte Chancen, 2021 ganz an die Spitze zu rücken. Als Ministerpräsident muss man auch die staatstragenden Themen können. Und so wählte der Innenminister für seine Regierungserklärung ein Thema, das weit über die Ressortgrenzen eines Innenministers geht. Es schadet ja nicht, schon mal zu üben. „Sachsen-Anhalt: unsere Heimat, starker Staat, gelebter Zusammenhalt.“ Schwere Kost.

Vor dem Hintergrund der Tumulte und Proteste in Chemnitz gibt der gelernte Staatsanwalt zunächst ein Plädoyer für den starken Staat ab. Bei Delikten ermittle die Polizei, und die Justiz urteile objektiv - sagt der Minister. „Unsere Polizei ist weder auf dem rechten noch auf dem linken Auge blind.“ So entstünde Vertrauen. „Wir brauchen keine Selbstjustiz und Pogromstimmung.“ Stahlknecht forderte die Gemäßigten auf, die Balance zu wahren. „Es muss ein Ruck durch die gesellschaftliche Mitte gehen.“

Viele AfD-Abgeordnete hält es nun nicht mehr auf den Sitzen. Und sie bombardieren Stahlknecht mit Fragen. Es geht um einen Imam, der Antisemitismus verbreitet, aber seit einem Jahr immer noch da ist. Es geht um kiffende Polizeischüler, Messerdelikte und Unternehmer, die keine Anzeigen mehr stellen, weil die Polizei eh überfordert sei. Parlamentarischer Geschäftsführer Robert Farle sagt: „Die Leute messen Politiker an Taten und nicht an Worten. Was wollen Sie tun?“

Die große Heimatdebatte gerät nun ins Dickicht von Details, Zahlen und Verordnungen. Stahlknecht redet über den Zahnstatus und das Röntgen von Asylbewerbern mit zweifelhaften Altersangaben, über die Schwierigkeit von Abschiebungen und vorhandene gesetzliche Grenzen. „Selbst einen Gefährder können Sie nicht abschieben in ein Land, das als nicht sicher eingestuft ist.“

SPD-Innenpolitiker Rüdiger Erben springt Stahlknecht bei. Wenn auch die „gefühlte Sicherheit“ mancherorts angeknackst ist: „Die Kriminalitätsrate ist gesunken, die Aufklärungsquote ist gestiegen.“

Doch Heimat besteht ja nicht nur aus Polizerevieren. Es geht um Vereine, Feuerwehr, Landarzt, um Gemeinde und Ortschaftsrat, ums Mitmachen. Schon zwei Mal wurden in Sachsen-Anhalt Kreise zusammengelegt und ab 2010 auch Dörfer zu Großgemeinden zwangsfusioniert.

Stahlknecht weiß, dass sich kleine Orte an den Rand gedrängt sehen und unter Machtlosigkeit leiden. Er verspricht: „Es wird keine weitere Kommunalreform in diesem Land geben. Noch größere Kreise und Gemeinden gefährden die Demokratie.“ Eine Kostenersparnis, wie einst erwartet, habe es ohnehin nicht gegeben. „Die Leute müssen teilhaben und mitgestalten können.“ Großkommunen führten letztlich zu einem Rückzug von Demokraten aus der Fläche.

Um nicht bei der nächsten „Strukturdebatte“ Schiffbruch zu erleiden, warnt SPD-Fraktionsvize Erben denn auch eindringlich davor, übereilt aus der Braunkohle auszusteigen. Im Burgenlandkreis, seiner Heimat, nehmen die Leute die aktuelle Diskussion über den beabsichtigten „Strukturwandel“ als Bedrohung wahr.

Die Erinnerungen aus den 90er Jahren, als vieles zusammenbrach, seien noch wach. Daher müssten erst die neuen Unternehmen und Arbeitsplätze da sein, ehe die alten allmählich verschwinden können, mahnt Erben.

Die Linke stellt klar, dass sie mit Stahlknechts Heimatbegriff nichts anfangen kann. Unter einem starken Staat versteht sie: Solidarität, gute Bildung für alle, faire Vermögensverteilung, kurze Schulwege, freie Entfaltung von Kunst und Kultur ohne Rentabilitätsdruck. „Die Vorstellungen des Innenministers taugen nicht als Leitbild für einen starken Staat“, sagt Henriette Quade.

Das Loch, das viele empfinden, soll mit Lebensperspektiven gefüllt werden, nicht mit Gefühlen. Und zu Stahlknecht: „Nichts weist Sie als guten Innenminister aus - als guten Ministerpräsidenten erst recht nicht.“

Die Grünen verspürten offenbar wenig Lust, sich bei der Heimat-Debatte zu verausgaben. Fraktionschefin Cornelia Lüddemann ist schon nach wenigen Minuten fertig. Der Begriff Heimat sei ohnehin nicht objektivierbar, meint sie. „Jeder versteht individuell etwas anderes darunter."