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Reichsbürger Skurril und gefährlich

In Bayern hat ein "Reichsbürger" auf einen Polizisten geschossen, in Halle steht der bekannteste Vertreter der Szene vor Gericht.

Von Jörn Wegner 21.10.2016, 01:01

Halle l Im August liefert sich ein „Reichsbürger“ in Reuden bei Zerbst eine Schießerei mit der Polizei, am Mittwoch erschießt ein „Reichsbürger“ in Bayern einen Polizisten. Erst am Donnerstag rastet ein weiterer Anhänger der Reichsideologie im Rathaus von Salzwedel aus, weil ihm Hausverbot erteilt wurde.

Ebenfalls am Donnerstag hat nun am Landgericht Halle der Prozess gegen die vielleicht schillerndste Figur der Reichsbürgerszene begonnen. Peter Fitzek, der selbsternannte König von Deutschland, strebt ein Deutschland in den Grenzen von 1937 an und umgibt sich auch mal mit Neonazis. Vor Gericht muss sich der Wittenberger allerdings wegen schwerer Untreue verantworten. Mit seiner „Königlichen Reichsbank“ soll er Einlagen in Höhe von 1,3 Millionen Euro für private Zwecke eingesetzt haben. Fitzek, der gelernte Koch und Videothekenbetreiber, hatte ohne Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienst- leistungsaufsicht eine Bank gegründet.

Den zahlreichen Medienvertretern zeigte sich Fitzek gewohnt offen und trug die Uniform seines Fantasiestaates. Dass der 51-Jährige nicht die grelle Karnevalsfigur ist, als die er in Boulevarmedien oft dargestellt wurde, zeigt die Fußfessel, mit der er in den Saal geführt wurde. Seit dem 8. Juni sitzt Fitzek in Untersuchungshaft. In der Vergangenheit wurde er bereits mehrfach verurteilt, unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung.

Ist Sachsen-Anhalt ein Zentrum der Reichsbürgerbewegung? Johannes Baldauf von der Amadeu-Antonio-Stiftung beschäftigt sich intensiv mit der Szene. Sachsen-Anhalt sei kein Schwerpunktland, sagt er. Ein Zentrum der „Reichsbürger“ sei nicht zu bestimmen, das Problem ein bundesweites. „Trotzdem finden sich kuriose Fälle immer wieder in den neuen Bundesländern“, sagt Baldauf. Gemeint sind Peter Fitzek, das mittlerweile aufgelöste „Deutsche Polizeihilfswerk“ aus Sachsen, das einst Gerichtsvollzieher in Privatgefängnissen inhaftierte, oder die Schießerei auf dem Grundstück von Adrian Ursache in Reuden.

Vom Schusswechsel in Georgensgmünd zeigt sich Baldauf nicht überrascht. „Das war eine Frage der Zeit.“ Tatsächlich zeigte der Schütze Wolfgang P. seine Absichten und Gesinnung sehr öffentlich. Seine für alle einsehbare Facebook-Seite gibt einen deutlichen Einblick in sein Denken. Beinahe im Stundentakt postete der Mann über Monate Links zu Verschwörungstheorien und extrem rechten Seiten. In der Lokalzeitung schaltete er eine Anzeige, in der er der Bundesrepublik die Legitimation absprach, unterzeichnet mit Fingerabdruck. Seinen Personalausweis gab P. zurück, immer wieder hatte er mit Ämtern und Behörden zu tun, die versucht hatten, ausstehende Gebühren zu kassieren. Ähnlich war es bei der Schießerei zwischen Adrian Ursache und der Polizei im August.

Auch der ehemalige Mister Germany hatte im Vorfeld des Schusswechsels Polizei und Behörden öffentlich scharf bedroht. Schießereien gehörten bislang nicht zum Repertoire der „Reichsbürger“ in Sachsen-Anhalt. Stattdessen gibt sich die Szene eher kurios: In der Altmark betreiben Reichsideologen eine Fantasiegemeinde samt Verwaltung, Gemeinderat und Bürgerbüro. Sogar außenpolitische Beziehungen werden unterhalten. „Unsere Gesandtschaft genießt diplomatische Rechte“, heißt es auf der Webseite der „Samtgemeinde Alte Marck“. Während in der Altmark schon Staat gespielt wird, beschäftigt ich eine Gruppe in Gardelegen noch mit der Abwehr von Gerichtsvollziehern und Rundfunkgebühren.

Trotzdem fallen „Reichsbürger“ nicht nur mit Skurrilitären auf. Im Zusammenhang mit Rechtsverstößen von „Reichsbürgern“ registrieren die Behörden Sachsen-Anhalts vor allem Verweigerungen von Steuer- und Gebührenzahlungen. Ähnlich wie im Fall von Wolfgang P. wurden in Sachsen-Anhalt in den vergangenen Jahren 85 Fälle von zurückgegebenen Personalausweisen registriert. Hinzu kommen Waffenfunde: Für 2014 nennt das Innenministerium zwei halbautomatische und zwei Schreckschusswaffen, 2016 waren es ein Schlagstock, ein verbotenes Würgeholz und eine weitere Schreckschusspistole.

Wenn „Reichsbürger“ gewalttätig werden, dann meistens im direkten Kontakt mit dem Staat, erklärt Baldauf, wenn etwas vollstreckt werden soll. Er glaubt daher auch nicht an ein wachsendes Gewaltpotenzial der Szene.

Insofern unterscheiden sich „Reichsbürger“ von Neonazis und anderen extrem Rechten dadurch, dass sie das staatliche System nicht angreifen und von Grund auf verändern wollen. Vielmehr existiert das „Konstrukt BRD“ für sie gar nicht. Aktiv werden sie erst, wenn die Behörden dieses „Pseudostaats“ in die behauptete Souveränität der „Reichsbürger“ eingreifen.

Mit dem Umstand, dass „Reichsbürger“ letztlich nicht aktiv den Staat angreifen, hat auch der sachsen-anhaltische Verfassungsschutz zu kämpfen. Im jüngsten Bericht tauchen die „Reichsbürger“ nur an einer Stelle auf, als Teilnehmer einer rechtsextremen Kundgebung in Bitterfeld. Das Problem: „Reichsbürger“ und die vom Verfassungsschutz beobachteten Rechtsextremen bilden kaum personelle Schnittmengen. Strukturelle Verbindungen zum Rechtsextremismus gebe es gar nicht, heißt es in einer Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage der Linken im Landtag.

Von einer gesteigerten Gewaltbereitschaft geht Johannes Baldauf nicht aus. „Reichsbürger“ würden weiterhin vor allem Verwaltungen und Gerichte lahmlegen. Mit seitenlangen pseudojuristischen Schreiben, Drohungen und Besuchen in Amtsstuben bringen sie oft Behörden an die Grenze der Belastbarkeit (Volksstimme berichtete). „Nicht auf Diskussionen einlassen“, ist der Hinweis von Baldauf an Behördenmitarbeiter. „Es muss zudem klar sein, dass es oft einen rechtsextremen und antisemitischen Hintergrund hat. Da wird nicht diskutiert.“

Im Fall Fitzek wurden derweil Gerichtstermine bis Februar geplant. Noch am ersten Verhandlungstag brach Fitzek in Tränen aus. Er wolle doch nur Gutes tun. Außerdem sei ihm das Geld regelrecht aufgedrängt worden.