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Religionen Vom Muslim zum Christ

Muslimische Flüchtlinge lassen sich in Sachsen-Anhalt taufen - trotz drohender Anfeindungen ihrer Landsleute.

14.06.2016, 23:01

Magdeburg l Mohammad wirkt entschlossen. Er ist sich ganz sicher. „Bekennst du, dass Jesus der Herr ist?“, fragt ihn die Pastoraltheologin Marina Franz. „Ja!“, antwortet Mohammad. „Bist du bereit, Jesus zu folgen, auch wenn es dir Nachteile bringt, wenn andere dich verspotten, du die Arbeit verlierst, ausgegrenzt wirst oder dein Leben bedroht wird?“ Mohammad zweifelt nicht. „Ja!“, ruft er. Mohammad nimmt beide Arme vor die Brust. Mit einem Ruck wird er einmal komplett unter Wasser getaucht und wieder nach oben geholt. Überglücklich steht er im kalten Adolf-Mittag-See in Magdeburg. Die Gemeinde am Ufer, etwa 100 Personen, jubelt. Mohammad ist nun ein getaufter Christ.

Vor wenigen Jahren wäre das undenkbar gewesen. In Mohammads Heimat Iran sind mehr als 99 Prozent der Bevölkerung Muslime. Auch der heute 24-Jährige ist in einer streng muslimischen Familie aufgewachsen. Doch mit 16 kommt er erstmals ins Grübeln.

Mohammad ist angehender Fußballprofi, Juniorenauswahlspieler, und wechselt zu einem Verein in der Großstadt Isfahan. Dort fordern die Trainer das Team vor den Spielen zum Gebet in der Moschee auf. Nur Vahan (Name geändert), Mohammads Zimmernachbar, geht nie mit. Irgendwann wird Mohammad stutzig. „Warum kommst du nicht mit?“, will er von Vahan wissen. Nach fünf Monaten erzählt Vahan, dass er Christ ist. Doch was das bedeutet, weiß Mohammad nicht.

Mohammad ist neugierig. Nach dem Training treffen sich die beiden regelmäßig im Park – im Wohnheim ist es zu gefährlich. Niemand soll von den Gesprächen wissen. Vahan schlägt einen Wettbewerb zwischen dem Propheten des Islam, Mohammed, und Jesus vor. Vahans Rechnung: Der Prophet des Islam sei nur ein Bote Gottes gewesen, Jesus dagegen Gottes Sohn. Außerdem habe Jesus Menschen geheilt, was vom Propheten des Islam nicht überliefert sei. Und zum Dritten habe der Bote Allahs zum Krieg gegen andere Völker aufgerufen – Jesus dagegen habe gesagt, man solle sogar seine Feinde lieben, erzählt Vahan ihm.

„3:0 für Jesus“, sagt Mohammad heute lachend. „Die Liebe macht den Unterschied. An diesem Abend habe ich angefangen, zu Jesus zu beten und die Bibel zu lesen.“ Für den jungen Iraner war das ein Schlüsselerlebnis. Der Koran ist in arabischer Sprache verfasst, Muslime sind dazu angehalten, auch auf arabisch zu beten. „Vahan hat mir erklärt, dass Gott Persisch versteht. Ich habe das erste Mal in meinem Leben in meiner Sprache gebetet“, sagt er. „Da habe ich mich Gott nahe gefühlt.“ Von da an glaubt er an den Gott der Bibel. „Der Koran ist nicht von Gott.“

Im Sommer 2015 wechselt der Torwart nach Teheran. Gleichzeitig beginnt er ein Studium. Um sich etwas dazu zu verdienen, arbeitet er parallel als Buchhalter für den Verein. Nach sechs Monaten ist der Club pleite. Sein Zimmernachbar, ein Polizist, beschuldigt ihn, Geld in die eigene Tasche gesteckt zu haben. Er wird verklagt. Sein Zimmer wird durchsucht. In seinem Schrank findet die Polizei eine Bibel. Sofort wird eine Suchaktion ausgelöst. Ein Freund warnt ihn per SMS davor, nach Hause zu kommen.

Männer und Frauen, die als Christen geboren werden, sind im Iran eine tolerierte Minderheit. Doch wer als Muslim konvertiert, muss mit der Todesstrafe rechnen. Laut der Organisation „Open doors“ gehört der Iran zu den zehn Ländern auf der Welt, in denen Christen am stärksten wegen ihres Glaubens verfolgt werden. In den letzten fünf Jahren seien fast alle christlichen Gemeinden geschlossen worden, die ihre Gottesdienste auf Persisch hielten. Die Leiter der Gemeinden seien verhaftet worden, berichtet die Organisation.

Mohammad flieht. Ohne noch einmal sein Zimmer zu betreten, fährt er zu seinem Bruder, der gut 100 Kilometer von Teheran entfernt lebt. Am nächsten Morgen ruft die Mutter an. Auch bei ihr sucht die Polizei nach dem jungen Fußballer. Mohammad muss weg. Wieder ist es sein Freund Vahan, der hilft. Er kontaktiert einen Schmuggler, der Mohammad in die Türkei bringt.

Der 24-Jährige wirkt traurig, wenn er heute über seine Flucht spricht. Er sagt in gutem Deutsch: „Ich habe nie Geld des Vereins für mich genommen. Sie haben mich verfolgt, weil ich Christ bin.“ Nachprüfbar ist seine Geschichte von Deutschland aus kaum. Doch die Dokumente (Ausweise, Bilder, Videos), die der Iraner auf seinem Handy zeigt, wirken glaubwürdig. Über die Balkan-Route ist Mohammad im November nach Deutschland gereist. Über die Zentralen Aufnahmestelle in Halberstadt kam er nach Magdeburg. Wenige Wochen später landete er in der Scala-Gemeinde, einer Freikirche.

Dort hat er einen Taufkurs besucht. Am Sonntag ist er mit drei Deutschen und seinen Freunden Feysal, Mazaher, Ahmad Faisal, Amir und Omid getauft worden – vier Iraner, zwei Afghanen. Ihre Geschichten von Verfolgung ähneln sich. Omid erzählt, dass ihn sein eigener Vater umbringen wollte, als er Omids Bibel im Haus der Familie gefunden hat. „In Deutschland gibt es Freiheit. Hier kann ich ohne Angst zu Jesus beten“, sagt Omid.

Marina Franz, die Pastorin der Scala-Gemeinde, hat die Flüchtlinge vor ihrer Taufe intensiv begleitet. Sie findet die Entscheidung der jungen Männer sehr mutig, sagt sie. Denn: Die Iraner und Afghanen haben zwar einen Asylantrag gestellt, ihre Verfolgung sei auch ein Asylgrund. Entschieden aber sind die Anträge noch nicht. „Sollten sie abgelehnt und in ihre Heimatländer abgeschoben werden, sind die Möglichkeiten zu helfen, rechtlich begrenzt“, sagt sie. „Dann droht ihnen die Todesstrafe.“ Dies habe sie den jungen Männern sehr genau erklärt, sagt Marina Franz. „Und trotzdem haben sie sich ganz bewusst für Jesus und die Taufe entschieden.“

Auch in Deutschland ist das Bekenntnis zum christlichen Glauben für sie nicht ungefährlich. Regelmäßig berichten Medien über Angriffe und Drohungen von Muslimen gegen Christen in Flüchtlingsheimen. Mohammad will bald in eine eigene Wohnung ziehen, sein Freundeskreis besteht inzwischen fast ausschließlich aus anderen Christen.

In einzelnen Gemeinden in Sachsen-Anhalt besuchen zunehmend mehr Flüchtlinge den Gottesdienst. Das bestätigt auch Johannes Fähndrich. Er ist Pastor der Christus-Gemeinde EFGM, einer anderen Magdeburger Freikirche. Dort sind seit 2012 mehr als 70 Iraner und Afghanen zur Gemeinde gestoßen. Im August wollen sich weitere 25 Männer und Frauen taufen lassen. „Viele von ihnen haben erlebt, dass ihre Gebete erhört worden sind, als sie zu Jesus gebetet haben. Manche hatten Träume von Jesus. Andere haben eine Bibel auf Persisch bekommen. Die Gründe, warum die Muslime konvertieren, sind sehr unterschiedlich. Die meisten aber empfanden den Islam als Unterdrückung“, sagt er. In Deutschland würden sich dann viele bewusst taufen lassen.

Doch dieser Schritt wird oft auch angezweifelt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das über Asylanträge entscheidet, kann die Taufe in Deutschland als „selbst geschaffenen Nachfluchtgrund“ einstufen und diese hinterfragen. Wie ernsthaft sind die Taufbegehren? Soll damit die Chance auf Asyl erhöht werden?

Der Kirchenpräsident der Evangelischen Landeskirche Anhalts, Joachim Liebig, weist diese Bedenken zurück. „Wenn Muslime mit dem Wunsch zu uns kommen, sich taufen zu lassen, dann vereinbaren wir Taufgespräche und kommen dem Wunsch nach. Der Gedanke, wir würden Menschen aus taktischen Erwägungen heraus taufen, ist absurd“, sagt er. In seiner Landeskirche sind kürzlich zwölf Iraner in Köthen getauft worden. Auch Friedemann Kahl, Sprecher der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, bekräftigt: „Die Taufhandlung erfolgt weder aus politischen Gründen noch kann sie aus solchen verweigert werden.“

Pastor Johannes Fähndrich sieht das ähnlich. Es gebe zwar „eine gewisse Versuchung für eine Pro-forma-Taufe“, sagt er. „Aber die Vorbereitung auf die Taufe dauert bei uns ungefähr ein Jahr. Wir integrieren die Flüchtlinge in die Gemeinde und prüfen sehr genau, ob sie ihre Entscheidung wirklich bewusst treffen. Christ zu werden ist eine ganz persönliche Entwicklung und bei dieser Entwicklung begleiten wir die Menschen“, sagt der Pastor. Seine Beobachtung ist, dass sich die Flüchtlinge nach ihrer Taufe „befreit“ fühlen und in den Asylkünften erzählen würden, dass Jesus ihr Retter sei. Sie laden andere zum christlichen Glauben ein. „Für unsere Gemeinde ist das ein herausfordernder Prozess. Inzwischen ist ein Drittel der Gottesdienstbesucher Perser. Das verändert uns“, sagt Fähndrich.

Mohammad möchte nach seiner Taufe nicht länger den Namen des islamischen Propheten tragen. Er will von nun an Nathan heißen – Gott hat gegeben, bedeutet das. Er ist dankbar, in Deutschland sein zu dürfen. „Aber“, sagt der junge Iraner, „ich vermisse meine Familie und meine Freunde.“

Nathan weiß, dass er vor einer unsicheren Zukunft steht. Den Traum vom Profifußball hat er noch nicht ganz aufgegeben, Oberliga oder Regionalliga möchte er bald spielen. Doch zunächst hängt alles davon ab, ob er Asyl bekommt. Dass ihm bei einer Abschiebung der Tod drohen würde, daran denkt er nicht. „Wichtig ist, dass ich Jesus gefunden habe, er ist Wahrheit. Jesus ist immer bei mir. Ich habe keine Angst.“