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Rosarium Ein Garten für die Königin

Warum in die Ferne schweifen? In der Sommerserie stellen wir Ausflugsziele in Sachsen-Anhalt vor. Heute: Das Rosarium.

Von Grit Warnat 20.08.2020, 01:01

Sangerhausen l Blühende Rosen sind begehrte Fotomotive. Aber wenn Tina I., die aktuelle Rosenkönigin, mit ihrem schönen Kleid, der Schärpe und der Krone durch das Europa-Rosarium läuft, halten Besucher ihre Smartphones automatisch in ihre Richtung. Kinder gesellen sich für ein Erinnerungsfoto zu ihr.

Das Königreich von Tina Schlegel, so ihr bürgerlicher Name, ist die größte Rosensammlung der Welt. Dass sich die 23-Jährige wohlfühlt in ihrem duftenden und blühenden Reich, sieht man ihr an. Die sympathische junge Frau strahlt an diesem Tag mit der Sonne um die Wette. Dass ihr Corona nun ein Jahr Amtsverlängerung beschert, freut sie. Denn für die Krankenschwester, die im eigentlichen Job in der Psychiatrie arbeitet, ist das Rosarium zum zweiten Zuhause geworden. Sie übernimmt jede Menge königliche Repräsentationsaufgaben. Auch an diesem Tag, als die Volksstimme sich angemeldet hat, um sich von Rosenberater und Gärtner Andreas Lachner alles rund ums Rosarium und die blühende Pracht erklären zu lassen.

Lachner, studierter Medien- und Politikwissenschaftler, der sich als Kind schon für den Garten begeisterte und privat häufig das Rosarium besuchte, ist wie ein Naturmensch gekleidet. Grün seine dezente Farbe. Er entpuppt sich als wandelndes Lexikon und als leidenschaftlicher Erzähler. Für ihn ist das Rosarium mehr als ein wunderschöner Park. „Es ist ein lebendes Museum“, sagt er. Alte und vom Aussterben bedrohte Arten sind hier zu finden, so wie es einst Peter Lambert aus Trier auf der Tagung des Vereins Deutscher Rosenfreunde angedacht hatte. Ein Vereinsrosarium sozusagen als ein Artenschutzprogamm. Bis heute verstehen sich die Mitarbeiter als Bewahrer dieser Vielfalt.

Seit der Antike werden Rosen geschätzt. Geadelt wurden sie mit dem Beinamen „Königin der Blumen“. Einen Boom erlebte ihre Zucht Mitte des 19. Jahrhunderts. Neue Sorten wurden entwickelt, es gab mehr Farben und eine Mehrfachblüte, zunehmend auch Krankheiten.

Zwei Rosenfreunden aus Sangerhausen, Albert Hoffmann und Ewald Gnau, ist es zu verdanken, dass ihre Stadt als Standort auserkoren wurde. Zudem gab es in ihrem Heimatort einen engagierten Verschönerungsverein. Und dann das Klima. Die Stadt liegt im Regenschatten des Harzes. Der lehmhaltige Boden hatte eine große Vielfalt an Wildrosen befördert. Sangerhausen punktete gegenüber Mitbewerberstädten wie Frankfurt am Main, Görlitz oder Königsberg.

1903 wurde das Rosarium eingeweiht. Anfangs war es 1,5 Hektar groß. Es wuchs und wuchs, nicht nur an Pflanzen, auch beim Gelände. Heute sind auf mehr als 13 Hektar 80  000 Rosenstöcke gepflanzt. 8500 Sorten und Arten werden gepflegt. Historische Rosen, Strauch- und Beetrosen, Kletterrosen, zu Pyramiden und Säulen gebunden, Miniaturrosen – und Besonderheiten. Andreas Lachner geht gezielt zu einem Beet. Da blüht sie, die sagenumwobene Schwarze Rose. 1934 steht auf dem Schildchen. Gezüchtet von einem Gärtner im Rosarium. „Sie ist nicht schwarz“, nimmt Lachner vorweg, als er den fragenden Blick sieht. „Sie war über Jahrzehnte die dunkelste Rose, die es gab.“ Er erzählt gern von den Raritäten in diesem Gartenreich, die es so manche Züchter allein wert sind, nach Sangerhausen zu reisen. Die ursprünglich aus den USA stammende Grüne Rose ist auch solch eine Attraktion, auf die der Laie aufmerksam gemacht werden muss, weil der in all dem Grün die Blüte kaum zu erkennen vermag.

Überhaupt ist es dieser Tage recht grün im Park. Das Rosenmeer, auch wenn ein Bereich im Rosarium so heißt, ist im heißen August vorbei. Im Juni, Juli, so sagt Lachner, sei die intensivste Blühzeit. 40 000 Besucher kamen allein im Juli – Rekord (15 000 waren es im Vergleichsmonat 2019).„Dann kann man ein ganzes Wochenende hier verbringen“, meint er. Alle Sinne seien gefordert. Riechen und schauen. Überbordend sei das auch für ihn, den Rosenliebhaber.

Helmut Kohl steht, das soll nicht makaber klingen, in bester Blüte. Große rote Blüten trägt im Moment die nach dem 2017 verstorbenen ehemaligen Bundeskanzler benannte Edelrose. Fachleute schätzen sie als kraftvoll und standfest.

Wer hier verewigt ist, gilt als Rosenfreund. Wie Konrad Adenauer, erster Bundeskanzler der Bundesrepublik, der leidenschaftlicher Gärtner war. Sein Faible galt den Rosen. Benannt sind die Pflanzen auch nach Uwe Seeler und Pelé, Heidi Klum und Lady Di.

Die „Deutsche Hoffnung“ hingegen sieht gar nicht gut aus. Abgemagert, wenig Blätter, keine Blüte. Lachner muss schmunzeln. Sie habe ja mit unserer Zeit nichts zu tun, meint er. Mit ihrem Hoffnungsnamen kam sie 1920 auf den Markt. Der verheerende Erste Weltkrieg war da gerade erst vorbei.

Kein Rundgang mit Lachner, ohne bei Madame Boll anzuhalten. Die Strauchrose von Züchter Boll aus dem Jahr 1859 hat rosafarbene, dicht gefüllte Blüten. Sie riechen wunderbar intensiv. Kein Wunder, dass sie 2019 zur Lieblingsrose der Besucher des Europa-Rosariums gekürt wurde.

Und Lachner? Und Tina I.? Haben sie eine Lieblingsrose? Sie können sich beide nicht festlegen. Man versteht das gut, wenn man das Rosarium mit dieser Menge an unterschiedlichsten hochstämmigen, kleinwachsenden, blühfreudigen, vollblütigen Rosen verlässt und verschiedenste Duftnuancen noch in der Nase hängen.

Die Sinne sind belebt. Wer geht, kann noch den Geschmackssinn aktivieren. Es gibt Rosentorte und Roseneis. Und beim nächsten Rosenkauf weiß man, dass Rosen Stacheln haben, weil Lachner sehr oft nach dem Unterschied zu Dornen gefragt wird und erklärt: „Stacheln sitzen auf. Dornen sind mit dem Gewebe verbunden.“ Und dann fügt er an: „Eigentlich müsste Dornröschen Stachelröschen heißen.“