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Sachsen-Anhalt Die Rechnung kommt zum Schluss

Landkreise und Kommunen warnen vor einerFinanz-Delle nach Corona. Derzeit gleicht der Staat die Defizite noch aus. Wie aber geht es weiter?

01.02.2021, 23:01

Magdeburg l „Diese Pandemie hat uns in ohnehin schwierigen Zeiten erwischt“, sagt Heinz-Lothar Theel in den grauen Tagen dieses zweitens Lockdowns am Telefon. Theel ist Geschäftsführer des Landkreistages in Sachsen-Anhalt. Einer Institution, die Geldsorgen ihrer Mitglieder nur zu gut kennt.

Die heutigen 11 Flächen-Kreise wurden einst mit dem Ziel gebildet, in größeren Einheiten effektiver, also kostengünstiger zu arbeiten. Erreicht wurde das Ziel indes häufig nicht. Heute sind die Kreise Sachsen-Anhalts trotz ihrer Größe – der Kreis Stendal etwa ist fast so groß wie das Saarland – vergleichsweise hoch verschuldet:

Mit 187,45 Euro je Einwohner markierte das Land Ende 2019 den vorletzten Platz im bundesweiten Vergleich. Nur Rheinland-Pfalz schnitt mit 405,24 Euro nochmals deutlich schlechter ab.

Zuletzt mussten der Landkreis Mansfeld-Südharz oder der Salzlandkreis auch noch Millionen-Verluste wegen erfolgreicher Klagen von Kommunen gegen zu hohe Kreisumlagen einstecken.

Im Corona-Jahr halfen Bund und Land zwar mit höheren Zuschüssen für Sozialausgaben. „Wir schauen aber mit Sorge auf 2021“, erklärt Theel. Kreiseigene Einrichtungen wie Nahverkehr, Volkshochschulen oder Musikschulen verzeichneten coronabedingt sinkende Einnahmen, verursachen aber weiterhin Kosten. Gleichzeitig ist unklar, wie sich die Steuereinnahmen der Städte und Gemeinden entwickeln, die die Kreishaushalte mit ihren Umlagen maßgeblich finanzieren.

Theel weiß, dass Kreise und Kommunen dabei im selben Boot sitzen. Zu kurz ist das Tischtuch allerdings auch in der Wahrnehmung vieler Kommunen – und das nicht erst seit Corona.

● Da ist etwa Salzwedel: Die 25 000-Einwohner-Stadt im Nord-Westwinkel des Landes hatte sich bereits vor der Pandemie mit schmerzhaften Einschnitten seit 2016 mühsam aus der Krise arbeiten müssen.

„Damals hatten wir einen Kassenkreditrahmen von 12 Millionen Euro“, sagt Bürgermeisterin Sabine Blümel. Der Kassenkredit, eine Art kommunaler Dispo, war damit ausgereizt. Blümel, zuvor Finanzbeamtin, verkaufte nicht nur den seit Jahrhunderten in kommunaler Hand befindlichen Stadtwald. Sie begann alle Verträge der Stadt seit 1991 aufzuarbeiten, krempelte die Verwaltung um, verschlankte Strukturen.

„Wir haben mit den Ministerien in Magdeburg gesprochen, dass das Land nicht am Mittellandkanal endet.“ Im Stadtrat vertrat Blümel die Losung: „Erst muss ich die Miete zahlen, dann kommt der Urlaub.“

Heute, nach den schmerzhaften Einschnitten, liegt Salzwedels Dispo noch immer bei rund 6 Millionen Euro. Doch jetzt kommt Corona hinzu: „Das Wirtschaften unter den Bedingungen vor der Pandemie funktionierte, aber schon das war ein Kraftakt“, sagt Blümel.

Wie es in der Krise weitergeht, weiß auch die Bürgermeisterin nicht: „2020 ging es uns nicht schlecht“, sagt sie. Das Land glich Gewerbesteuer-Ausfälle aus. Hinzu kamen 445 000 Euro an Landeszuweisungen. Die Einnahmeeinbrüche aber werden weitergehen. Für 2021 steht ein Minus von bis zu 3,8 Millionen Euro im Plan. Die Gewerbesteuereinnahmen werden wohl von 9 auf 6,9 Millionen Euro einbrechen. „Die Rechnung kommt zum Schluss“, sagt Blümel. Und: „Wir wissen nicht, wie lange das Land in der Lage ist, Ausfälle auszugleichen.“

● Tatsächlich hat Sachsen-Anhalt gemeinsam mit dem Bund seinen knapp 220 Kommunen schon im vergangenen Jahr mit zusätzlichem Geld in Rekordhöhe geholfen. Nach Angaben des Finanzministeriums sind mehr als 216 Millionen Euro geflossen – zusätzlich zu 1,628 Milliarden Euro, die Städte und Gemeinden sowieso als Zuweisungen aus dem Finanzausgleichsgesetz (FAG) erhalten.

81 Millionen Euro kamen dabei allein für den Ausgleich weggebrochener Gewerbesteuer-Einnahmen vom Land. Der Bund packte noch einmal 81 Millionen Euro obendrauf. Es entstand eine Gesamtsumme von 162 Millionen Euro.

Viele der Hilfen aus einem Gesetz zur finanziellen Entlastung der Kommunen werden zwar auch 2021 fortgesetzt. So beteiligt sich der Bund dauerhaft mit einem höheren Anteil (75 Prozent) an den Unterkunftskosten für Hartz-IV-Bezieher.

Doch reicht das? Das Ministerium teilte mit, man werde die Finanzlage der Kommunen 2021 genau beobachten. Sollte deren Zahlungsfähigkeit in Gefahr geraten, hält sich das Land offen, Zuweisungen an die Gemeinden – wie schon 2020 – vorzuziehen. Damals bekamen die Kommunen die Mittel statt im Dezember schon im Mai.

● Fest steht aber auch: Das erste Corona-Jahr hat ein immenses Loch auch in den Landeshaushalt gerissen. Um 777 Millionen Euro geringer als geplant fielen die Einnahmen aus, ließ Finanzminister Michael Richter (CDU) Mitte Januar wissen. Hinzu kommt: Da Sachsen-Anhalt bislang noch vergleichsweise glimpflich durch die Krise gekommen ist, steht es im Bundesvergleich so gut da, dass es nun sogar Geld abgeben muss. Noch einmal 60 Millionen Euro gehen so verloren, berichtete zuletzt die Deutsche Presse-Agentur.

● Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper ist vor diesem Hintergrund nicht unzufrieden mit der Zwischenbilanz der Landeshilfen: „Wir haben mit Blick auf das vergangene Jahr keinen Grund zu schimpfen“, sagt der SPD-Politiker bei einem Besuch im Magdeburger Rathaus.

Beim Blick in die Zukunft wird aber auch Trümper – der im Sommer sein Amt niederlegen will – pessimistischer: „Zu 2021 gibt es für den Gewerbesteuer-Ausgleich noch keine Aussagen, aber die brauchen wir.“ Die Landeshaupstadt rechnet aktuell erst 2024 damit, das Gewerbesteuer-Einnahmeniveau von 2019 zu erreichen – und das auch nur unter der Voraussetzung, dass die Corona-Pandemie bald endet. Für 2021 steht derzeit ein vorläufiges Minus von 30 Millionen Euro im Haushaltsentwurf, ergänzt Trümper. Nicht nur Corona hat die Einnahmen dabei gemindert. In der Landeshauptstadt trägt auch die Krise der Windradanlagen-Bauer ihren Anteil bei.

Allgemein gilt: Gemeinden mit bislang relativ hohen Steuereinnahmen, wie Magdeburg, trifft die Krise potenziell härter, sagt Jürgen Leindecker, Geschäftsführer beim Städte- und Gemeindebund im Land.

Im Vergleich zu anderen Bundesländern stehen Sachsen-Anhalts Gemeinden dennoch zumindest in einem Punkt gut da: Das Finanzausgleichsgesetz beschert ihnen hierzulande seit 2016 jährlich verlässliche Landes-Zuweisungen – bundesweit keine Selbstverständlichkeit.

Nach den Landtagswahlen im Sommer könnte das FAG reformiert werden. Mehrere Parteien kündigten bereits an, sich dann für eine Stärkung der kommunalen Finanzen einsetzen zu wollen.

Aber wie soll das klappen, wenn die Einnahmen sowohl auf Landes- als auch auf kommunaler Ebene vorerst weiter schrumpfen?

Gemeindebund-Geschäftsführer Leindecker sagt, in einer solchen Phase müsse man eben auch die Kosten im Blick behalten. Vor diesem Hintergrund hält er manches jüngere „Geschenk der Landespolitik“– wie er sagt – dann auch für fragwürdig. Darunter beispielsweise die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge für Anlieger in den Städten und Gemeinden.

Schon vor der Pandemie habe das Finanzausgleichsgesetz den Bedarf der Kommunen nicht gedeckt, ergänzt Leindecker. Auf 300 Millionen Euro beziffert der Geschäftsführer die Lücke. Die Maßnahmen der Städte und Gemeinden, gegenzusteuern, seien begrenzt. So sei es rechtlich nicht möglich, etwa Wasser- oder Müllgebühren anzuheben und diese Einnahmen dann zu anderen Zwecken zu verwenden.

Preiserhöhungen bei Einrichtungen wie Schwimmbädern oder Theatern seien ebenfalls nur begrenzt möglich, da sonst irgendwann die Besucher ausblieben.

Was also tun? „Das Tischtuch ist zu kurz“, sagt Leindecker. „Da hat es keinen Sinn immer weiter hin- und herzuzerren.“ Am Ende werde mehr Geld von oben kommen müssen. Wenn auch Land und Bund aber sinkende Einnahmen verzeichnen, bleiben wohl nur mehr öffentliche Schulden als Ausweg.

Da passt es ins Bild, dass Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) erst vor Tagen eine Aussetzung der Schuldenobergrenze ins Spiel brachte. Die aber hat seine Partei ins Grundgesetz geschrieben. Braun wurde dann auch umgehend ausgebremst.