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Schausteller Saisonanfang am Saisonende

Die Pandemie ließ die Beach-Jumper am Boden und Riesenräder stillstehen. Nicht alle Firmen werden überleben, befürchten Schausteller.

Von Bernd Kaufholz 05.09.2020, 01:01

Magdeburg l Beim ersten Hinsehen ist am Donnerstag auf dem Messeplatz im Magdeburger Rotehornpark alles beim Alten. Lkw bringen die Aufbauten für Karussells und „Fressbuden“. Die Arbeiten an einigen Fahrattraktionen sind schon fast beendet, auf anderen Flächen wird gerade abgeladen. Doch der erste Blick täuscht: „Nichts ist wie sonst“, winkt Olaf Haase vom Magdeburger Schaustellerverein ab. Rund ein Drittel weniger Geschäfte auf dem Platz, an jeder Ecke wird diskutiert, wie es weitergehen soll, und die Befürchtungen, dass es ein zweites Seuchenjahr gibt, ist allgegenwärtig“, sagt er. „Normalerweise ist hier fünfmal mehr Personal zugange. Heute kümmern sich nur die Unternehmer und ihre Familien ums Geschäft.“ Da sei der Umstand, dass die traditionelle Herbstmesse, die vom 11. September an bis zum 18. Oktober immer donnerstags bis sonntags stattfindet, kurzerhand in „Elbe-Fun-Park“ umgetauft wurde, weil Messen noch nicht zugelassen sind, das geringste Übel.

Und auch Ralf Hedt, Vorsitzender vom Verein selbstständiger Gewerbetreibender, Markt- & Messereisender, kann nur den Kopf schütteln. „Wenn meine Großeltern erzählt haben, dass sie in Quarantäne mussten, weil in einem Dorf, in dem sie ihr Geschäft bei der Kirmes aufgebaut hatten, die Maul-und-Klauen-Seuche ausgebrochen war, haben wir immer gesagt: So etwas kann uns nicht passieren.“

Am 30. Dezember haben bei den Schaustellern zum letzten Mal die Kassen geklingelt. Danach wurde es dunkelschwarz. „Eine ganze Saison ist den Bach runter“, sagt Haase. Und auch sein Kollege Hedt kennt die Sorgen der Schausteller. „Die Hilfen, die wir bekommen haben, waren alle zweckgebunden und durften nicht dazu genutzt werden, unseren Lebensunterhalt zu bestreiten. Aber woher soll denn dafür das Geld kommen?“

In Schleswig-Holstein unterstütze man die Schausteller, indem bis 95 Prozent der Kostendeckung übernommen werde. „Auch in Niedersachsen und Baden-Württemberg ist man da weiter. Die Länder zahlen monatlich etwa 1100 Euro, die auch zur Sicherung des Lebensunterhalts verwendet werden können.“ Hedt betont aber, dass sich „niemand auf Kosten des Staates ein tolles Leben machen“ wolle.

Viele, besonders jüngere Kollegen, hätten im Winter Kredite aufgenommen und investiert, um ab Ostern mit neuen Atraktionen auf die Märkte zu gehen. Für sie sei die Zukunft zur Zitterpartie geworden.

Auf dem Markt in Halle klacken die Luftgewehre am Schießwagen von Margitta Gärtner schon seit dem 1. September. „Schießbude hieß es zu DDR-Zeiten“, korrigiert die Schaustellerin und freut sich, dass sie bis zum 20. September von der Stadt die Möglichkeit bekommen hat, wenigstens ein kleines Loch im Budget zu stopfen.

Auch die Gärtners sind ein Familienunternehmen und bieten neben ihrem Schießstand Ballwerfen an. Für die Kleinen dreht sich ein Kinderkarussell und wer Hunger hat, kann sich an der Fahrbäckerei Schmalzkuchen kaufen.

„Meine Mutter hat 45 Jahre lang alle Höhen und Tiefen der Schaustellerei durchlebt“, so die 52-Jährige. „Nach dem Krieg hat sie sich mit Schiffsschaukeln über Wasser gehalten. Dass ich so etwas ähnliches auch mal erleben muss, daran hätte ich im Traum nicht gedacht.“

Der Wohnwagen war geputzt, alles war vorbereitet, um im März in die Saison zu starten“, denkt Gärtner zurück. „Wie seit fünf Jahren war als Auftakt das Frühlingsfest in Berlin vorgesehen. Dann die Unsicherheit und das Stoppzeichen.“ Dass das Finanzamt aufgrund der prekären Situation die Steuern auf null gesetzt habe, sei immerhin eine kleine Hilfe gewesen.

Werner Meyer, Vorsitzender des Schaustellerlandesverbandes in Halle, fürchtet, dass es sich zwischen November 2020 und März 2021 zeigen wird, welcher Schaustellerbetrieb die Saison einigermaßen unbeschadet überstanden haben. Bisher hätten sich die Geschäfte „mehr recht als schlecht durch verschiedene Maßnahmen über Wasser halten können“, sagt der 70-Jährige, der selbst einen Autoscooter betreibt. „Manche sind arbeiten gegangen, andere haben einen Überbrückungskredit aufgenommen oder haben versucht, bei kleinen Veranstaltungen unterzukommen.“ Die Hoffnung, dass es im August/September besser werden würde, sei geplatzt. „Große Feste wie der Eisleber Wiesenmarkt wurden abgesagt.“

Jetzt hoffe man auf die Weihnachtsmärkte. „Die Signale sind ja durchweg positiv, aber wie die Hygienekonzepte umgesetzt werden sollen, da gebe es noch Fragezeichen.

Werner Jacob aus Tangerhütte und Chef des Altmärkischen Schaustellervereins bezeichnet die Situation als „katastrophal“. Den Solobetrieben wie Ballwerfen oder Imbisse gehe es noch vergleichsweise gut. „Doch schon die mittelständischen Fahrgeschäfte mit zehn, 15 Mitarbeitern haben große Probleme und mussten Kurzarbeit anmelden. Ganz schlimm sieht es bei den Großen aus, die europaweit unterwegs sind mit 15 Transportern, Kränen ... Die Kosten sind ohne Hilfe nicht zu stemmen“, ist sich der 64-Jährige sicher, der 2012 nach einem Unfall das Unternehmen an seinen Sohn weitergegeben hat.

Auf dem Magdeburger Messeplatz blicken Popgrößen, wie die Rolling Stones und Rod Steward vom „Musikladen“. Inhaber Ralf Hedt ist sauer über das teilweise bürokratische Vorgehen, wenn es um Hilfen geht. „Um über die Runden zu kommen, haben einige Kollegen Hartz IV beantragt. Da wurde ihre Liquidität geprüft und festgestellt, dass da eine Zugmaschine war und ein Kran. Die müsse man erst zu Geld machen, hieß es, ehe der Staat einspringt. Das ist doch genauso, als würde man einen Bäcker verpflichten, seinen Backofen zu verkaufen, um Unterstützung zu bekommen.“

Olaf Haase hofft, dass die Besucher die Schausteller nicht im Stich lassen und in den Rotehornpark kommen. „Vieles wird anders sein. So vergeben wir am Eingang für zwei Euro Vierertickets, um einen Überblick zu haben, dass nicht mehr als 1000 Besucher auf der Fun-Meile sind.“ Die vier Bons in Höhe von je 50 Cent könne der Besucher, dann an jedem Stand in Zahlung geben.