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Sanierung Die Jungs vom Schloss

Im altmärkischen Krevese haben zwei Designer ein bismarkisches Gebäude ungewöhnlich restauriert.

Von Sibylle Sperling 11.08.2018, 23:01

Krevese l Rainer Kranz hatte gebremst, damals in den 90ern, das Haus habe nach ihm gerufen, als er sich wieder auf einer seiner „Gutshaussafaritouren“ befand, erzählt er. Der Gütersloher hat eine Verbindung zur Altmark, nicht nur, weil ihn als Kunsthistoriker die Geschichte, die hier so lebendig an Ort und Stelle abzulesen sei, fasziniert hat. Sein Vater, ein Oebisfelder, hatte ein Ferienhäuschen am schönen Arendsee und kurz nach der Wende begann Sohn Rainer seine Altmark-erkundungstour.

„Auf einer meiner Safaris habe ich Krevese gefunden - von der Hauptstraße aus habe ich rechts das hohe Dach und die alten Bäume wahrgenommen und gedacht, das muss was Schönes sein.“ Und wäre da nicht zufällig die „liebe Frau“ aus dem Dorf aufgetaucht, die an diesem Nachmittag dem jungen Studenten die Geschichte des Ortes zu Füßen gelegt hat, wären der Gütersloher und das Herrenhaus vielleicht nicht zusammengekommen. Ihre ironischen Worte ,Dit können se koofen’ hat der Gutsbesitzer noch heute im Ohr.

2003 hatte er den zweigeschossigen barocken Bau mit 1400 Quadratmetern Wohnfläche und 28 Zimmern gekauft. Zusammen mit Freund Ralf. Zehn Jahre hatte das ehemalige Hausbenediktinnerinnen-Kloster des Grafen von Osterburg, welches später von der adligen Familie von Bismarck in ein feudalistisches Rittergut umgeformt worden ist, leer gestanden. Reich waren die beiden nicht, aber sie hatten Träume und eine Portion Idealismus. Nach ihrem Studium und einer Zeit in einer Berliner Agentur war die Sehnsucht nach dem Land so sehr gewachsen, dass die Kommunikationsdesigner nach dem Kauf prompt auf eine riesige Baustelle gezogen sind.

Egal, dass sie ohne Wasser und Strom inmitten eingeschlagener Fensterscheiben, feuchten Wänden und Schwalbennestern hausen mussten. Liebevoll charakterisiert Ralf Engelkamp ihr Haus, an dem lange der Zahn der Zeit genagt hatte, so: nicht verfallen sondern italienisch runtergerockt, alt, charmant, benutzt und authentisch. In diese Authentizität haben sie fortan jeden Cent gesteckt und fast nur selbst Hand angelegt. „Es war klar, dass wir nicht sämtliche Bauunternehmer vorfahren und alles restaurieren lassen würden.“

Ihre Leidenschaft ist immer noch ungebremst, sie beginnen, von den Anfängen zu erzählen … wie sie auf dem Dach hockend die Schindeln beiseite und die Rinnen gesäubert und die Dorfbewohner den Aktionismus mit „Hey Jungs, fallt bloß nicht runter, wir brauchen euch noch“ kommentiert haben. Wie sie mit Hammer und Stecheisen den Kitt aus allen Fenstern rausgehauen haben. „Unsere Gelenke waren das nicht gewohnt, wir haben nie so hart körperlich gearbeitet, einige haben einen Tennnisarm, ich hatte gleich mal den Entglasungsarm“, erzählt Kranz.

Dass sie das alles selber gemacht haben, hat ihnen im Dorf Respekt eingebracht, sagen sie. Und so stand einfach mal Kuchen auf dem Tisch, den die Nachbarin gebacken und unbemerkt vorbeigebracht hatte, die Türen standen ja immer offen. Selbst die Ortsbürgermeisterin kam eines Tages zu den „Künstlern“ aus der Großstadt, um fließendes Wasser anzubieten: ,Holt euch wenigstens Wasser vom Friedhof, das ist kommunal - ihr müsst euch doch mal nen Kaffee oder ne Suppe kochen!“

Für Gespräche hatten die beiden immer Zeit, noch heute zehren sie von den Geschichten der Dorfbewohner und ehemaliger Schüler. Der Klassiker sei der Raum, in dem zu DDR-Zeiten Russisch unterrichtet wurde und von dem keiner mehr sicher weiß, wo er sich im Gebäude befand. „Einer sagt, der war da, der andere kontert Nein dort, bis sich der Nächste zu Wort meldet.“ Die Jungs lachen, mit verklärten Augen stünden Ehemalige in ihrem Domizil und hingen Erinnerungen nach. Die Geschichten würden sich wiederholen, so auch die mit dem Klo. Während des Unterrichts mussten sich die Schüler durch die anderen Klassen schleichen, weil alle Räume hintereinander getaktet waren.

Idyllisch muss es in dieser Dorfschule mit 150 Kindern, die bis zur 10. Klasse ins Hauptdorf Krevese gefahren sind, zugegangen sein. „In jedem zweiten Raum sind Herzen eingeritzt.“ Krevese war nicht nur Schule, sondern auch Jugendclub, Bibliothek und Bürgermeistersitz. Früher ist das Gut von den Familien von Bismarck und von Jagow über Jahrhunderte geformt und verändert worden.

Den letzten großen Umbau hatte Christoph-Georg von Bismarck vorgenommen. Von außen ist das Herrenhaus preußisch schlicht, der Eingangsbereich dagegen mit riesigen Arkaden repräsentativ - ein Gesellschaftstreppenhaus. Christoph-Georg von Bismarck hat Krevese genutzt, um politische Vertreter standesgemäß zu versorgen und unterzubringen zu können. Von hier aus hat der „Direktor im Dienst des preußischen Königs von Berlin“ die gesamte Altmark verwaltet. Heute unterscheidet sich das Haus von den Bismarckschen Herrenhäusern in der Altmark deutlich – es ist keineswegs museal und originalgetreu wiederhergestellt worden, sondern privat gestaltet – ein epochaler Mix mit etwas WG-Feeling, finden die Gäste.

Während Briest originalgetreu und Döbbelin weihnachtlich-romantisch funkelt, verfolgen die „Künstler“ einen anderen Ansatz. „Wir wollten nicht totsanieren, sondern einen Ort schaffen, an dem man die Geschichte ablesen kann. Der Keller ist noch aus Klostertagen, das Haupthaus barock, die Seitenflügel sind um 1819, der Wintergarten 1860 entstanden, die Fassade und die Fenster um 1980 saniert worden. Die Fassade ist dadurch schlichter und der preußische Herrenhaus-charakter zurückgenommen worden. „Diese Geschichtscollage ist uns wichtig.“

Schützenswert fanden die freiberuflichen Kommunikations- Und Produktdesigner auch DDR-Relikte wie die Essensausgabe in der Küche mit Durchreiche. „Hier ist die Flügeltür verloren gegangen, und wir würden sie auch nicht wieder einbauen. Ist doch toll, wie das so ist. Die Küche haben wir hier gelassen – zu Gutstagen war sie im Keller, da sind wir nicht wieder hingezogen.“ Alles, was das Haus erlebt hat, ist erhalten. „Wir sehen uns als Verantwortliche, die während einer Epoche hier leben und zuständig sein dürfen. Die Substanz soll nicht leiden, aber Geschichtsbrüche sollen erkennbar sein. Ein Haus mit etwas Patina. Es ist noch so viel erhalten, dass man die Geschichte ablesen kann, aber so wenig, das wir als Designer auch mutige, moderne Lösungen angehen konnten.“

Als nächste Lösung soll mithilfe einer Crowdfundingaktion die Ruine des Verwalterhauses in ein „Open-Air-Dorfwohnzimmer“ verwandelt werden. Etwa sechsmal im Jahr führen die stolzen Gutsbesitzer Gruppen durch die untere Etage des Wohnhauses, zeigen den Kübelpflanzengarten und die Klosterkirche. Der Park ist jederzeit öffentlich zugänglich, aber momentan ein Sorgenkind. „Er ist zwar traumhaft schön, aber wir haben den uralten Baumbestand unterschätzt. Entweder fallen die Bäume im Sturm oder es ist Eschen- oder Ulmensterben.“ Vom Frühjahr bis Sommer musste er geschlossen werden, weil ein Sturm gewütet und zahlreiche Bäume umgeworfen hatte. „Früher haben wir uns jedem Baum mit Respekt nähern wollen und versucht, sie mit der Handsäge zu bearbeiten, aber schnell realisiert, dass die Motorsäge her muss.“

Damit der Park zum Tag des offenen Gartens am Sonntag, 19. August, von 12 bis 18 Uhr wieder zugänglich ist, haben die Männer auf Hochtouren gearbeitet. Englischer Rasen und akkurat beschnittene Hecken warten nicht auf die Besucher, dafür gibt es Parkführungen (13, 15 und 17 Uhr) und eine Fotoausstellung über den zerstörten Park.

Mehr Infos unter www.atelier-offen.de.