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Schwarzbau Freie Hand über Millionen

Ein Fördermittel-Skandal gefährdet die touristische Zukunft des malerischen Harzortes Stolberg.

28.10.2015, 23:01

Magdeburg l Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die neu gestaltete Fassade des Hauses in der Niedergasse fügt sich traumhaft schön in das historische Stolberger Stadtbild ein. Es passt zu den verwinkelten Gassen mit den vielen Fachwerkhäusern – und könnte die touristische Zukunft des malerischen Harzortes dennoch ins Wanken bringen. Denn das Haus Nummer 17 ist der Dreh- und Angelpunkt einer schier unglaublichen Fördermittelaffäre.

Noch vor einigen Jahren war das Gebäude ein einsturzgefährdeter Schandfleck – bis die Stadt das Haus im Juni 2009 erworben und die Sanierung angeschoben hat. Wegbereiter: der damalige Bürgermeister Ulrich Franke (FDP). Der Eigenbetrieb Tourismus und Stadtwirtschaft sollte die Fördermittel von Bund und Land abwickeln. Auch ein Stolberger Ingenieurbüro wurde eingebunden.

Doch die Regeln zum Umgang mit öffentlichen Geldern haben die Verantwortlichen offenbar wenig interessiert. Die ersten Monate baute die Stadt schwarz. Erst knapp zwei Jahre nach Baustart beantragte das Ingenieurbüro die Baugenehmigung beim Landkreis. Doch nicht nur das: Franke und das Ingenieurbüro haben die Aufträge dafür zum Teil eigenhändig, am Stadtrat vorbei, vergeben – sehr oft ohne Ausschreibung. Diese „schwerwiegenden“ Verstöße sind dem Landesrechnungshof bei einer umfassenden Prüfung des Vorgangs aufgefallen.

Präsident Kay Barthel (CDU) sagt: „Besonders auffällig ist, dass in den geprüften Fällen immer wieder die gleichen Firmen angefragt und beauftragt wurden.“ Nach Informationen der Volksstimme sollen einige der Auftragnehmer bekannte Lokalpolitiker, die zu dieser Zeit im Stadtrat saßen, gewesen sein. Rund 1,5 Millionen Euro Fördermittel haben Bund und Land bereitgestellt, etwa 300 000 Euro Eigenanteil musste die Kommune beisteuern.

Der Landesrechnungshof spricht von massiven Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot, gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und das Transparenzgebot. Im Volksmund würde man das wohl Vetternwirtschaft nennen.

Mit der Gemeindegebietsreform wurde die Stadt Stolberg im Jahr 2010 Teil der Gemeinde Südharz. Deren Bürgermeister Ralf Rettig (CDU) sagt, zuständig für das Projekt sei aber weiterhin Ulrich Franke (ab dieser Zeit als Ortsbürgermeister) gewesen. Erst zum Januar 2013 hat die Gemeinde Südharz die kassenmäßige Beschaffung der Fördermittel übernommen.

Unglaublich: Bis dahin erfasste weder die Stadt Stolberg noch die Gemeinde Südharz die Gelder in ihrem Haushalt. Die Aufträge wurden faktisch „am Haushalt vorbei“ vergeben und bezahlt, wie der Landesrechnungshof bestätigt. Dieser Umgang mit den Steuergeldern sei „besonders kritikwürdig“.

Südharz-Bürgermeister Rettig sagt: „Wir müssen jetzt den Schrott von anderen aufarbeiten.“ Noch immer ist seine Verwaltung damit beschäftigt, die Vorgänge um die Niedergasse 17 zu klären. Weil die Unterlagen unvollständig sind, kann auch er sich manche Details nur zusammenreimen.

Nach Informationen der Volksstimme sollen die beteiligten Firmen, das Ingenieurbüro und Franke häufig dieselbe Praxis angewandt haben: Einzelne Baumaßnahmen wurden zunächst für rund 50 000 Euro beschränkt ausgeschrieben, später stellten die Unternehmen dann jedoch Nachtragsanträge in Höhe von bis zu 200 000 Euro. „Erst wurden die Aufträge kleingehackt und die Firmen dann mit den Nachträgen gefüttert“, sagt einer, der mit der Aufarbeitung befasst ist.

Aufgefallen ist das erst, nachdem die Gemeinde das Rechnungsprüfungsamt des Landkreises Mansfeld-Südharz eingeschaltet hat. Wie der Landesrechnungshof bewertet nun auch der Landkreis die Verstöße gegen Vergabevorschriften als „gravierend“.

Der Rechnungshof hält es für wahrscheinlich, dass es zu einer Rückforderung der gesamten Fördermittel kommt. „Das Geld haben wir nicht“, sagt Südharz-Bürgermeister Rettig. Seine Gemeinde drückt ein hoher Schuldenberg. Erst im Jahr 2023 wird sie wieder einen ausgeglichenen Haushalt aufstellen können. „Wir müssten uns ans Land wenden und um Liquditätshilfe bitten, wenn das Geld zurückgefordert wird“, sagt Rettig.

Die Folgen für die Gemeinde wären erheblich: Wer Liquiditätshilfe beantragt, muss seine freiweilligen Leistungen runterfahren. Für die touristische Infrastruktur in Stolberg wäre das „eine Katastrophe“, wie Rettig sagt. „Da hängen Arbeitsplätze dran. Wir müssten in Stolberg alles zumachen, Preise und Steuern erhöhen.“ Rund 800 000 Euro investiert die Gemeinde aktuell pro Jahr, Zehntausende Touristen kommen im gleichen Zeitraum. Die „Kuh“ Stolberg, die die klamme Gemeinde im Moment noch melken kann, würde mit der Rückzahlung der Fördergelder wohl geschlachtet werden müssen.

Ob es dazu kommen wird, ist noch nicht entschieden. Das Landesverwaltungsamt teilte auf Anfrage mit, die Hinweise des Landesrechnungshofes „eingehend prüfen“ zu wollen. Falls sich die Vorwürfe bestätigen würden, werde man entsprechende Konsequenzen ziehen und über Rückforderungen entscheiden, so die Landesbehörde.

Der Landesrechnungshof sieht im „Fall Stolberg“ jedoch die Bestätigung für ein grundsätzliches Problem. Vergaberecht ist sehr komplex. Landkreise und größere Städte bündeln Vergabeverfahren deshalb bei einer Zentralen Vergabestelle – diese koordiniere Angebote und Bewerbungen und arbeite durch eine gewisse Routine überwiegend „rechtlich sauber“. Kleinen Kommunen fehlt dagegen häufig die Verwaltungskraft, um eine derartige Zentrale Vergabestelle einzurichten.

Die Folge: Sie müssen sich Partner suchen, zum Beispiel Ingenieurbüros. Das ist zulässig, doch die Verantwortung bleibt ausschließlich bei den Kommunen hängen. Das lief bei der Niedergasse in Stolberg ebenso schief wie im Fall der Wolmirstedter Jahnhalle. Auch dort wählte die Stadt mit dem sanierenden Sportverein ein solches Konstrukt. Das Ergebnis ist bekannt: In Wolmirstedt hat der Landesrechnungshof bei seiner Prüfung ebenso „gravierende Vergabefehler“ festgestellt. Die Gemeinde Südharz und die Stadt Wolmirstedt müssen nun beide mit Rückforderungen der Fördermittel rechnen.

Ein weiteres Problem: Für die Prüfung der Verwendungsnachweise ist das Personal in der Landesverwaltung zu knapp und nicht ausreichend geschult, kritisiert der Rechnungshof. Die Versäumnisse bei der Prüfung der Zwischennachweise seien mit ursächlich dafür, „dass die Vergabeverstöße in Stolberg über einen längeren Zeitraum hinweg auftreten konnten“.

Gegen Ulrich Franke ermittelt die Staatsanwaltschaft Halle zum Vorwurf der Untreue. Das bestätigte die Behörde auf Anfrage der Volksstimme. Die Gemeinde Südharz behält sich zudem vor, zivilrechtlich gegen den Stolberger Ex-Bürgermeister und das Ingenieurbüro vorzugehen. Franke wollte sich zu den Vorwürfen bisher nicht äußern.