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Sexualstrafrecht Vergewaltigung bleibt schwer nachzuweisen

Sachsen-Anhalts Generalstaatsanwalt Jürgen Konrad äußert sich zum Regierungsentwurf für ein neues Sexualstrafrecht.

Von Matthias Fricke 01.04.2016, 01:01

Die Zahl der Verurteilungen wegen Vergewaltigungen und sexueller Nötigungen sinken bundesweit. Wie sieht es in Sachsen-Anhalt aus?

Jürgen Konrad: Die Verurteilungen sind in Sachsen-Anhalt nahezu gleichbleibend. Sie liegen bei etwa 40 bis 50 im Jahr.

Und in welchem Verhältnis stehen sie zu den angezeigten Straftaten?

Etwa jede siebente angezeigte Tat endet auch mit einer Verurteilung. Von 324 Beschuldigten sind im Jahr 2014 am Ende 50 verurteilt worden. Die Zahlen für das vergangene Jahr liegen noch nicht vor, sie dürften aber rückläufig sein.

Wo liegt denn das Problem, dass nur so wenige Sexualstraftäter am Ende auch verurteilt werden?

Wir sprechen am Anfang immer erst von einem Tatverdächtigen. Wenn wir jemanden anklagen, reicht für uns noch eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung. Das Gericht muss am Ende der Hauptverhandlung aber der Überzeugung sein, dass der Angeklagte auch der Täter ist. Und da wird es bei solchen Taten schwierig, wenn man nur die Aussagen von Opfern und Beschuldigten hat. Denn wir müssen immer auch den Vorsatz nachweisen, es gibt schließlich keine fahrlässige Vergewaltigung. Das heißt, die Überwindung des entgegenstehenden Willens des Opfers muss auch vom Tatvorwurf erfasst sein und von uns nachgewiesen werden. In vielen Fällen kann es deshalb dazu kommen, dass der Richter sagt, es könnte aber auch anders gewesen sein. Das führt unweigerlich zum Freispruch.

Wenn am Ende eine Verurteilung so schwer ist, wird den Opfern viel abverlangt?

So ist es, deshalb sind wir auch sehr froh, wenn die Betroffenen so schnell wie möglich sich bei der Polizei melden. Mit Spuren von Gewalt, eventuell frischen Verletzungen, oder anderen objektiven Beweisen ist eine Verurteilung wahrscheinlicher.

Was passiert, wenn eine Frau erst nach vielen Tagen sich überwindet zur Polizei zu gehen?

Das Problem ist, dass Vergewaltigungen im meist Zweipersonenverhältnis stattfinden. Wenn dann eine Variante ohne Gewalt hinzukommt und die Frau sagt, ich bin bedroht worden, dann müssen wir dem Täter nachweisen, dass er erstens gedroht hat und zweitens er das Nein des Opfers eindeutig erkannt und ignoriert hat. Das ist oft sehr schwierig.

Dann wird es ja bei Tatbeständen, wie zum Beispiel dem Grapschen, noch schwieriger. Nach dem Willen der Opposition soll das auch unter gesonderte Strafe gestellt werden.

Es ist ja schon jetzt strafbewehrt. Das ist eine tätliche Beleidigung. Die Geschlechtsehre ist ein schutzwürdiges Objekt. Wenn diese verletzt wird, dann kann der Richter eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren verhängen. Übrigens ist die Beweisführung in diesen Fällen eher einfacher, weil es häufig Zeugen gibt oder wie in Köln eben auch Videodokumente.

Brauchen wir eine neue Grapsch-Regelung überhaupt?

Das ist eine reine rechtspolitische Frage, die der Gesetzgeber zu beantworten hat. Man kann natürlich einen neuen Tatbestand schaffen, um damit ein Zeichen zu setzen. Es müssten dafür dann aber mehrere Paragrafen angefasst werden.

Wie sinnvoll wäre das?

Für uns würde sich dadurch nichts ändern. Das Grapschen ist von der geplanten Gesetzesänderung aber vorerst aber gar nicht betroffen. Wie gesagt, eine tätliche Beleidigung ist es allemal. Es sei denn es geschieht mit erheblichem Ausmaß, dann liegt schon heute eine sexuelle Nötigung mit noch höherer Strafandrohung vor. Das Gesetz macht eben einen Unterschied zwischen einem nicht gewollten Kuss auf die Wange und einem fordernden Zungenkuss.

Kein Teil des Strafrechts ist in den letzten 20 Jahren so oft geändert worden, wie der für sexuelle Übergriffe. Ist die geplante Reform überhaupt nötig?

Zu vielen Reformen ist es in der Vergangenheit gekommen, weil die teilweise noch aus dem Jahr 1871 stammenden Strafvorschriften den veränderten Wertvorstellungen in der Gesellschaft angepasst werden mussten. Im aktuellen Fall blieb dem Gesetzgeber aber gar nichts anderes übrig, als das Sexualstrafrecht erneut anzufassen.

Wie meinen Sie das?

Im Artikel 36 der sogenannten Istanbul-Konvention der EU vom Mai 2011 haben sich die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, jeden nicht einverständlichen Geschlechtsverkehr unter Strafe zu stellen. Also nicht nur der, wie bisher, durch Gewaltanwendung oder Drohung erzwungene. Deutschland hat die Konvention zwar noch nicht ratifiziert, das dürfte aber erfolgen.

Welche praktischen Schwierigkeiten sehen Sie?

Auch ein Staatsanwalt kann subjektives Empfinden eben nicht objektivieren. Das Problem ist doch folgendes. Die meisten Beschuldigten behaupten, dass der sexuelle Kontakt einvernehmlich war. Wenn ein Opfer irgendwo auf der Straße vergewaltigt wird, zieht diese Ausrede nicht. Ganz anders sieht es aber aus, wenn es um eine Tat im persönlichen Nahbereich am Ende einer Beziehung geht. Wie will man nachweisen, dass nach langjährigem Beischlaf ausgerechnet der letzte Sex nicht gewollt war. Ohne objektive Beweise wird da eine Verurteilung schwer.

Strafbar machen soll sich künftig auch derjenige, der die Furcht eines anderen vor einem „empfindlichen Übel“ für sexuelle Handlungen ausnutzt. Wie soll diese Furcht mit Beweisen untermauert werden?

Wir sehen da erhebliche Probleme. Man verlangt von uns, dass wir nachweisen, dass der Täter in seinem Vorsatz das aufgenommen hat, was das Opfer befürchtet haben könnte. Wenn es in einem solchen Fall keine objektiven Hinweise gibt, dann ist eine Verurteilung nahezu aussichtslos. Wir haben schon jetzt Schwierigkeiten nachzuweisen, dass der Täter dem Opfer Gewalt angedroht hat. Es dürfte um ein Vielfaches schwieriger werden, die reine Annahme eines drohenden empfindlichen Übels nachzuweisen. Andererseits verspreche ich mir durch die vom Täter nunmehr zu bedenkende Möglichkeit einer erleichterten Anzeige auch eine präventive Wirkung zugunsten der Opfer. Viele Männer nehmen sich immer noch einen Machtanspruch gegenüber Frauen heraus, der so nicht hinnehmbar ist.

Kritiker befürchten, dass das neue Recht für Falschbeschuldigungen noch anfälliger wird.

Ich sehe als Praktiker eher das Problem, dass man den tatsächlichen Opfern mit der EU-Konvention eher Steine statt Brot gibt. Die Anzeigen werden natürlich zunehmen. Die Schere zwischen der Anzahl der Anzeigen und der Verurteilung könnte wegen der Beweisschwierigkeiten aber weiter auseinanderdriften. Das kann bei den Opfern eher das Gegenteil bewirken und die Anzeigebereitschaft senken.

Wie könnte man sonst sexueller Gewalt begegnen?

Strafrecht ist das letzte Mittel. Es setzt die Grenzen und reguliert deren Verletzung. So lange das Bild Macho trifft schwache Frau in den Köpfen vorherrscht, wird es immer sexuelle Gewalt geben. Da muss man ansetzen. Ein Nein muss auch ein Nein bedeuten.

Laut Justizminister Heiko Maas werden 85 Prozent aller Sexualstraftaten von Deutschen begangen. Wie sieht das in Sachsen-Anhalt aus?

Bei uns richteten sich im vergangenen Jahr 91 Prozent gegen deutsche Tatverdächtige und die kamen aus der Mitte der Gesellschaft. Tatsächlich verurteilt wurden 90 Prozent Deutsche und zehn Prozent Ausländer.