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Shopping Der (Alb)Traum vom Ikea-Besuch

Unser Gastautor aus London berichtet über sein neues Leben in Sachsen-Anhalt und über Kuriositäten in Deutschland.

Von Paul Kilbey 28.10.2018, 09:38

Magdeburg l Manche Dinge überschreiten kulturelle Grenzen. Eine davon ist die geradezu magische Anziehungskraft eines schwedischen Einrichtungshauses. Egal, wie lange man auf Internetseiten und in Läden der Konkurrenz stöbert - irgendwie kommt man dann doch zurück in dieses magische gelb-blaue Land. An einen Ort, an dem man eigentlich nur ein Bett kaufen wollte. Das hat man auch getan. Doch zusätzlich geht man mit einem Jahresvorrat an Fleischbällchen, 17 Aufbewahrungsboxen aus Plastik und einer extrem wackeligen Standleuchte wieder nach Hause.

Dass das so ist, kann ich aus Erfahrung sagen. Egal, ob man in London oder in Magdeburg lebt. Ganz gleich, ob man eine wie in Großbritannien üblich eine komplett möblierte Wohnung mit ein paar extra Bücherregalen bestückt oder sich das Mobiliar für ein komplettes Apartment anschafft – mit Betten, Sofas und allem drum und dran. Mit einem großen Unterschied: Ich habe das Gefühl, dass die Deutschen eine besonders intensive Beziehung zu diesem Möbelhaus pflegen. Sie haften so sehr an ihm fest, wie einer dieser Saugnäpfe, die man an der Badezimmerwand befestigt. Sie unterstützen den Laden wie eines dieser extra kräftigen Lattenroste mit den verschiebbaren Plastikelementen, die für extra Stabilität sorgen.

Wir Briten sind da ein bisschen gleichgültiger. Und unemotionaler: Uns geht es primär um das Preis-Leistungs-Verhältnis. Und vielleicht noch darum, dass es unserer Männlichkeit schmeichelt, wenn wir unsere Möbel selbst aufbauen. Wir haben schließlich den Krieg gewonnen – natürlich schaffen wir es dann auch, unseren eigenen Esstisch zusammenzubauen. Möbel nach Bildanleitung zusammenbauen.

Das ist überhaupt eine praktisch verpackte Möglichkeit für uns Briten, unseren Einfallsreichtum zur Schau zu stellen. Aber das war’s dann auch schon mit der Beziehung der Briten zu der ikonischen schwedischen Marke. Es geht hier um pure Berechnung – nicht um Leidenschaft, um Gemütlichkeit.

Die Deutschen hingegen … meine Güte. Meine Freundin und ich saßen nur kurz auf einem der Sofas in einem der vielen Schauräume. Dann stand plötzlich eine junge deutsche Frau vor uns. Sie sagte in vorgetäuscht ernstem Ton: „Entschuldigen Sie, Sie sitzen in meinem Wohnzimmer.” Was haben wir alle gelacht. Weil das der Traum ist, stimmt’s?

Der Traum eines jeden Deutschen. In einem schwedischen Schauzimmer zu leben, in dem jeder noch so kleine Platz an der Wand von einer kleinen Regalbox zum Aufhängen besetzt ist. Eine Couch zu besitzen, die man eines Tages von einem Zweisitzer in einen Drei- oder Viersitzer verwandeln kann. Und zu 100 Prozent sicher zu sein, dass das Bücherregal zur Vitrine passt, weil beide den selben willkürlichen schwedischen Namen teilen.

Deutsche haben mir in London mal erzählt, dass es in ihrem Land durchaus üblich ist, als junges Pärchen in dieses Einrichtungshaus auf eine Art Date zu gehen. Was mir damals lächerlich vorkam, erscheint mir heute pragmatisch. Ein früher Test für die Beziehung. Magst du diesen Beistelltisch? Nein? Hmmm. Wie sieht es mit diesem praktischen Regal aus, das für einen extra engen Flur konzipiert ist? Auch nicht? Nun ja, es war nett, dich kennengelernt zu haben. Ich meine, warum Zeit vergeuden? Du bist ein Billy, ich bin ein Hemnes. Wir sind einfach nicht füreinander bestimmt.

Ihr seht schon: Wie sehr die Deutschen diesen Laden lieben, geht mir manchmal ein bisschen zu weit. Ist der Gedanke nicht traurig, dass das eigene Wohnzimmer bereits von einer Gruppe schwedischer Designer bis ins letzte Detail vorgeplant wurde und in einem Gebäude, das die Größe einer riesigen Lagerhalle hat, irgendwo am Stadtrand zur Schau steht? Wie viele Wohnzimmer gibt es in Deutschland, die identisch aussehen?