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Sigmund Jähn Held wider Willen wird 80

Der erste Deutsche im All stammte aus der DDR. Montag feiert Sigmund Jähn seinen 80. Geburtstag.

Von Uwe Seidenfaden 10.02.2017, 00:01

Magdeburg l Vor 39 Jahren flog er im Raumschiff Sojus 31 zur sowjetischen Raumstation Salut 6. Es war die Zeit des Kalten Krieges zwischen den damaligen Supermächten. Im Weltraum versuchten sie sich gegenseitig zu übertrumpfen. Teil dieser Propagandaschlacht Ende der 1970er und 1980er Jahre war es, die „Bruderstaaten“ bzw. die „Allierten“ zu Raumflügen einzuladen. Nach Jagdfliegern aus der Tschechoslowakei und Polen war 1978 ein Offizier der NVA an der Reihe. Die Partei- und Staatsführung war bemüht, den Namen des ersten DDR-Kosmonauten bis zu dessen erfolgreichen Raketenstart geheim zu halten. Es gelang nicht ganz. Schon am Morgen des 26. August berichtete der RIAS, dass der Raumflug eines Ostdeutschen unmittelbar bevorsteht. Gegen 16 Uhr, unmittelbar nach dem Start, brachten DDR-Medien die offizielle Meldung: „Der erste Deutsche im Weltraum ist ein Sohn unserer Republik“.

Bereits 1976 war der zweifache Familienvater und SED-Genosse Jähn unter größter Geheimhaltung in die Sowjetunion gezogen, wo er im Kosmonautenzentrum „Sternenstädtchen“ bei Moskau zwei Jahre lang gründlich auf seinen Weltraumflug vorbereitet wurde.

Der Ersatz-Kandidat, der aus Staßfurt stammende ehemalige NVA-Flieger Eberhard Köllner, musste am Boden bleiben. Weshalb die Entscheidung der staatliche Kommission zum Planung der Raumflüge so und nicht anders fiel, blieb unbekannt, denn beide Fluganwärter hatten gleiche Qualifikationen. Vielleicht, so scherzte man, lag es ja nur am Namen: Ein Köl(l)ner hätte schließlich nicht der erste DDR-Bürger im All sein können. Köllner hatte Pech, Jähn Glück – er flog ins All.

„Eine Woche lang ging die Sonne an einem Tag sechzehn Mal auf und sechzehn Mal unter“, schrieb er später über den Flug in seinem Buch „Erlebnis Weltraum“. „Eine Woche lang verloren die Gesetze der Schwerkraft scheinbar ihre Wirkung, war es völlig gleichgültig, ob ich mit dem Kopf nach oben oder nach unten hing.“

Auf die Folgen der Schwerelosigkeit wollte sich Jähn besonders gut vorbereiten. Unter die vorderen Beine seines Ehebettes legte er Bücher, damit er sich an den Blutandrang im Gehirn gewöhnen konnte, schrieb er in seinem Buch. Seine Frau zeigte zwar Verständnis für den Eifer. Zur „Schlafschanze“ durfte er aber nur sein Bett machen.

125 Mal umkreiste Jähn den Planeten. An Bord erledigte er zahlreiche Experimente und machte Aufnahmen von der Erde mit der Multispektral-Fotokamera MKF-6. Die Apparatur, die von Carl Zeiss Jena entwickelte wurde, wurde wegen der überbordenden Staats-Propaganda im ostdeutschen Volksmund spöttisch auch „Multispektakelkamera“ genannt. Tatsächlich zählte die MKF-6m damals technisch wirklich zur Weltspitze. Er hatte auch den Status eines „Angestellten der Deutschen Post im Weltraum“: Mit einem für das All geeigneten Gerät stempelte er Sonderpostwertzeichen ab. In Erinnerung blieb - zumindest vielen Bürgern der früheren DDR - auch die „kosmische Hochzeit“, die Jähn im All zwischen dem Sandmännchen und der russischen Puppe Mascha zelebrierte.

Auf den öffentlichen Rummel, der nach dem Flug auf Sigmund Jähn zukam, war der Sohn eines Sägewerkarbeiters und einer Näherin nicht vorbereitet. Bei seinen seltenen öffentlichen Auftritten vor allem in Ostdeutschland wurde er regelmäßig von Autogrammsammlern umlagert. Sein Flug machte den damaligen Oberstleutnant der DDR-Volksarmee über Nacht in der sozialistischen Welt berühmt. Der Arbeiter- und Bauernstaat war nun Raumfahrernation. Den Namen seines Geburtsortes Morgenröthe-Rautenkranz im sächsischen Vogtland kannte fortan jedes DDR-Schulkind. Der Kult um Jähn führte in der DDR zur Umbenennung zahlreicher Schulen und anderer öffentlicher Einrichtungen.

Die Rolle des Volkshelden in der DDR versuchte Jähn bei Jubelrundreisen und Empfängen pflichtbewusst zu erfüllen, selbst wenn die Propaganda ihn auf eine Stufe mit Gottfried Wilhelm Leibniz, Otto Lilienthal und Albert Einstein stellte. Er selbst hat sich so niemals gesehen. „Ich wusste oftmals nicht, was ich antworten sollte, wenn mir völlig unbekannte Menschen in Rostock oder Suhl, in Dresden oder Jena die Hand drückten und mir sagten, wie froh sie darüber waren, dass bei unserem Flug alles in Ordnung ging“, schrieb er in „Erlebnis Weltraum.“

Nach der Wende bedauerte Jähn, dass bemannte Weltraumforschung in Ost und West im Schatten politischer Interessen stand. „Zuerst wird der Raumflug von der Politik vereinbart, danach das wissenschaftliche Programm geschneidert. Eigentlich sollte es umgekehrt sein“, meinte er in einem späteren Interview.

Sein Flug ins All verschuldete eine weitere permanente Veränderung in seinem Leben. Als Jähns Landekapsel am 3. September 1978 wieder irdischen Boden berührte, überschlug sie sich dreimal. Der Kommandant hatte den Landefallschirm nicht sofort abtrennen können. Obwohl fest angeschnallt, zog Jähn sich bei den harten Aufschlägen eine bleibende Rückenverletzung zu. Chronische Schmerzen blieben zurück.

Der Rummel um seine Person hielt für Jähn nicht an. Nach der Wende und der Abwicklung der DDR-Volksarmee wurde der Kosmonaut arbeitslos. Sein Freund Ulf Merbold, der 1983 als erster Westdeutscher ins All flog, brachte ihn beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt unter. In den folgenden Jahren bildete der erste Deutsche im All im Moskauer Sternenstädtchen europäische Astronauten aus.

Merbold und Jähn sind seit Jahren befreundet. „Wir teilen gemeinsam die Erfahrung, dass man in 90 Minuten den Erdball umrundet und von dort oben keine Grenzen mehr sieht“, sagt der 75-jährige Merbold. „Und wir beide stammen aus dem Vogtland.“ Jähn aus dem sächsischen Teil, er aus dem thüringischen Greiz.

In seinem Heimatort wurde dem vielfach ausgezeichneten Jähn eine Raumfahrtausstellung gewidmet. In Chemnitz ist ein Jugendbildungszentrum nach ihm benannt, in dem Schüler Raumfahrt und Technik kennenlernen können. Durch den Kultfilm „Good Bye, Lenin“, in der der Kosmonaut der Held des Hauptdarstellers ist, wurde Jähn nach dem Mauerfall auch im Westen einem größeren Publikum bekannt.

Jähn lebt heute in Strausberg bei Berlin. Regelmäßig zieht er sich in seine Datsche in seinem Geburtsort zurück. „Ich werde ihn sicher zu seinem Geburtstag anrufen und ihm gratulieren“, sagt Merbold. „Vielleicht sehen wir uns bald mal wieder.“ Auf die Frage, ob er noch einmal ins All fliegen würde, hatte Jähn zu seinem 75. gesagt: „Sofort“. Dem Gedanken, dass Menschen irgendwann ins All auswandern, kann Jähn nicht viel abgewinnen. Da wandere er doch lieber durch die Wälder des Vogtlands, meint er.