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Social Media Die virtuelle Lüge mit der Liebe

Sie versprechen ihren Opfern die große Liebe: Liebesbetrüger im Netz haben auch eine Frau aus der Altmark um ihr Erspartes gebracht.

13.05.2019, 23:01

Magdeburg l Gudrun K.* hat ihren Ehemann bis zu seinem Tod vor acht Jahren gepflegt. Mehr als 25 Jahre waren beide verheiratet, lebten in der Nähe von Stendal. Die rosarote Brille hatten beide längst abgelegt. Wenn man so lange verheiratet ist, weiß man die scheinbar banale Zweisamkeit zu schätzen, vor allem dann, wenn sich das Ende andeutet.

Und als es dann da war, rückten Kinder und Enkelkinder in den Lebensmittelpunkt. K. war nach dem Tod ihres Mannes nicht allein, aber dennoch einsam.

Bis sie vor zwei Jahren zum ersten Mal bei Facebook von einem Mann angeschrieben wurde. Er hatte Interesse an ihr, versprach der heute 65-Jährigen virtuell in vielen Nachrichten, bald nach Deutschland zu kommen, mit ihr Zeit zu verbringen, sie zu lieben, zusammen weniger einsam zu sein. Und allein mit der Hoffnung darauf, kamen auch die Gefühle wieder, die die Liebe so im Gepäck hat. Euphorie, Vorfreude. Zu Weihnachten erzählte K. ihren erwachsenen Kindern davon. Monika R.* und ihr Bruder haben sich erst einmal nichts weiter dabei gedacht. „Unsere Mama hat uns erzählt, dass der Mann ihr wohl auch Geld geschickt hat“, erzählt R., „richtig stutzig geworden sind wir dann allerdings, als sie angerufen hat und meinte, die Polizei sei gerade bei ihr gewesen. Unter ihrem Namen sei Geldwäsche betrieben worden.“

R. und ihr Bruder hakten genauer nach. „Sie ist dann immer mehr mit der Sprache herausgerückt und hat erzählt, dass sie seit Monaten mit einem Ausländer chattet. Der hätte ihr Geld überwiesen, von dem sie einen Teil zurück überweisen musste. Da war uns klar, dass es sich um einen Betrüger handelt.“

Einen Liebesbetrüger, einen „Romance Scammer“, um genau zu sein. Als „Scammer“ werden international Betrüger bezeichnet, die sich über Vorauszahlungen Geld erschleichen. Diese „Scammer“ sind im Internet auf der Suche nach potenziellen Opfern. Sie werden, wie bei K., auch in Sachsen-Anhalt immer öfter fündig. „In Online-Partnerbörsen oder auch in sozialen Netzwerken sind die Scammer auf der Suche nach potenziellen Opfern.

Ist ein Kontakt zum Opfer erst einmal hergestellt, werden diese mit Liebesbekundungen und Aufmerksamkeit überhäuft - und zwar einzig und allein mit dem Ziel, ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen“, sagt Andreas von Koß vom Landeskriminalamt (LKA), „sowohl Scam-Männer als auch -Frauen schaffen es, sich im täglichen Leben ihrer Opfer unverzichtbar zu machen - und zwar ohne ein einziges Treffen“.

Von 2013 bis 2018 ist die Zahl der registrierten Fälle in Sachsen-Anhalt von 8 auf 39 pro Jahr sukzessive gestiegen. In 31 der insgesamt 121 registrierten Taten in den vergangenen sechs Jahren floss Geld, viel Geld: 636.939 Euro. Laut LKA belief sich der Schaden auf einzelne Summen zwischen 500 und 124.000 Euro. „Opfer werden gebeten, per Bargeldtransfer, zum Beispiel über Western Union oder MoneyGram, Geld zu senden“, sagt von Koß, „in anderen Fällen werden Opfer gebeten, afrikanische Schecks und Zahlungsaufträge auf das eigene Bankkonto einzureichen“. So wie zu Beginn bei K. Dabei handelt es sich jedoch um Rückschecks. Für die Rückzahlung an die Bank ist der Kontoinhaber verantwortlich. Im schlimmsten Fall drohe, so von Koß, dem Opfer dann sogar eine Strafanzeige wegen Betruges.

Doch selbst nachdem die Polizei an ihrer Tür geklopft, ihre E-Mails durchsucht hatte und sie gerade so noch einmal ohne Anzeige davongekommen war, kehrte K. dem Unbekannten, durch zahlreiche Nachrichten aber eben auch scheinbar Vertrauten, nicht den Rücken. „Wir hatten gehofft, dass sie es verstanden hat, aber dem war nicht so“, sagt ihre Tochter.

Wie groß die Summe ist, die ihre Mama in den vergangenen zwei Jahren an die Liebesbetrüger überwiesen hat, kann R. nicht genau sagen. Sie vermutet aber, dass es mehrere Tausend Euro waren. Denn die vermeintlich große Liebe im Netz hat ihrer Mutter mittlerweile auch Mietschulden beschert. „Eines Tages meinte meine Mama, sie wolle umziehen, näher zu meiner Halbschwester.“ Zusammen mit ihrem Ehemann und dessen Brüder organisierte R. den Umzug.

Als der Tag gekommen war, stand ein verboßter Vermieter vor den Helfern. „Er meinte, dass meine Mutter ihre Miete seit knapp neun Monaten nicht mehr bezahlt hat. Das war natürlich erst einmal ein Schock“, erinnert sich R. Darauf angesprochen, erklärte ihre Mutter, sie hätte fast jeden Monat Geld an die Unbekannten im Netz gesendet. „Irgendwann war es nicht mehr nur einer, sondern mehrere Männer, die auf gebrochenem Deutsch mit meiner Mutter kommuniziert haben“, erzählt R.

„Die virtuellen Partner geben zum Beispiel vor, bei einer Geschäftsreise nach Westafrika in Geldnot geraten zu sein oder sie benötigen Geld für eine wichtige Operation ihres Kindes oder eines Angehörigen“, erklärt von Koß, „auch gestohlene Koffer und Pässe, unbezahlter Lohn oder eine unbezahlte Hotelrechnung sollen das ahnungslose Opfer dazu bringen, Geld zu überweisen“.

Nicht mehr nur bei Facebook, sondern auch bei WhatsApp versprachen die Männer der Altmärkerin eine gemeinsame Zukunft. Ein Betrüger gab sich als Arzt aus, verlangte auch von K. Geld für eine wichtige Operation seiner Tochter. Als K. einmal zögerte, setzte der Mann die Rentnerin emotional unter Druck - mit Erfolg. „Ich habe sie immer wieder angefleht, damit aufzuhören und ihr versucht deutlich zu machen, dass die Männer nur ihr Geld wollen“, sagt R. vergebens. Also schrieb sie einen er Männer selbst bei Facebook an.

„Ich habe mich als reiche Frau ausgegeben, das hat auch funktioniert. Er schrieb dann schnell, dass er bald nach Deutschland kommen und mich besuchen wolle.“ Mit den Nachrichten konfrontierte R. ihre Mutter. Aber erneut ohne Erfolg.

„Nachdem sie dann eine neue Wohnung in der Nähe ihrer Schwester und meiner Halbschwester gefunden hatte, habe ich sie besucht und bewusst aus der Wohnung gelotst. Als ich ihre Unterlagen durchsucht habe, habe ich die Räumungsklage der alten Wohnung entdeckt“, erzählt R. Doch nicht nur das, „ich habe auch einen Überweisungsschein gefunden. Demnach hatte meine Mama erst im Februar erneut 1500 Euro an eine afrikanische Frau geschickt“.

Um weiteres Unheil zu vermeiden, kontaktierte die besorgte Tochter die neue Vermieterin ihrer Mutter. „Sie sagte mir direkt, dass sie kurz zuvor bereits meine Mama am Telefon hatte, weil die Miete noch nicht auf dem Konto sei“, erinnert sich R., die sich mittlerweile einen Einblick in die Finanzen ihrer Mutter verschafft und gesehen hatte, dass diese am 4. März 800 Euro abgehoben hatte. „Ich habe sie gefragt, was sie mit dem ganzen Geld gemacht hat, warum sie ihre Miete schon wieder nicht bezahlt, aber sie meinte nur ‚ich habe es halt gebraucht‘.

Wofür wollte sie mir nicht sagen, obwohl ich es mir natürlich denken konnte. Ihr Kommentar: ‚Das Geld ist eh weg‘.“ In diesem Moment sei R. klar geworden, dass sich trotz der bereits bestehenden Mietschulden, der vielen Warnzeichen nichts ändern würde.

„Also habe ich versucht, Hilfe zu holen, aber das war sehr schwer.“ Erst nach vielen Telefonaten hätte sie Unterstützung beim sozialpsychiatrischen Dienst in Salzwedel erhalten. Dort wurde ihr geraten, beim Amtsgericht Gardelegen einen Betreuerantrag zu stellen. Auf diese Weise hätte sie das Verfügungsrecht über die Konten ihrer Mutter, könnte verhindern, dass weiter Geld auf dubiose Konten ins Ausland fließt. Auch ihrer Mama hat sie von dem Vorhaben erzählt. Die war nicht begeistert, lehnte die Idee aber auch nicht kategorisch ab. „Mir wurde gesagt, dass es nicht so einfach wäre, da meine Mama ja noch absolut klar im Kopf und bei Verstand ist“, sagt R. und streicht sich dabei mit zitternder Hand die halblangen Haare aus dem Gesicht.

Immer wieder zieht die Mutter von zwei Kindern für kurze Zeit die Mundwinkel nach oben, ringt sich ein gequältes, leicht verlegenes Lächeln ab.

Erst vor wenigen Tagen erhielt die Tochter die Nachricht, dass ihr Antrag genehmigt wurde. „Jetzt verfüge ich über ihre Konten und sie kann nicht mehr einfach so Geld versenden“, sagt R. Das sei nichts, was sie glücklich machen würde, „aber es beruhigt mich“.

Die Sorgen ihrer Mama sind längst zu ihren eigenen geworden. „Ich habe mich immer öfter mit meinem Mann über dieses Thema gestritten“, sagt R. Der Ehemann hätte lange Zeit nicht nachvollziehen können, dass R. immer noch weiter versucht, ihrer Mutter zu helfen, glaubte schlichtweg nicht daran, dass sich etwas ändern würde.

„Aber was sollte ich machen? Mein Bruder unterstützt mich zwar, aber wohnt weiter weg und es ist nun mal meine Mama.“ Auch R. ist Mama von zwei Kindern. Die wollen schon seit einiger Zeit nicht mehr gern zu Oma.

„Klar, Kinder freuen sich an Feiertagen über Geschenke. Aber dadurch, dass meine Mama ihr ganzes Geld irgendwohin überweist, bekommen meine Kinder von ihrer Oma nichts mehr zu Weihnachten oder zum Geburtstag.“ Hoffnung, dass ihre Mutter ihr Geld irgendwann wiedersieht, hat R. nicht.

„Ich hoffe aktuell nur, dass sie ihre Mietschulden nach und nach begleichen kann und nicht mehr abhängig von diesen Männern ist.“ Auch von Koß macht deutlich: „Ermittlungserfolge gibt es nur in wenigen Fällen, weil die Täter über das Internet agieren und ihre wahren Identitäten verschleiern.“

*Die Namen wurden von der Redaktion geändert.