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SPD-Chef Lischka hält AfD für Partei der Angsthasen

Sachsen-Anhalts SPD-Chef Burkhard Lischka fordert, dass der Koalitionsvertrag konsequent umgesetzt wird und teilt gegen die AfD aus.

06.07.2016, 23:01

Herr Lischka, Sie sind seit drei Monaten SPD-Vorsitzender in Sachsen-Anhalt. Haben Sie die Entscheidung schon einmal bereut? Die ewige Pendelei zwischen Magdeburg und Berlin auf der A 2 macht bestimmt nicht immer Freude.

Burkhard Lischka: Im Gegenteil: In den vergangenen Wochen hat es mir mehr Spaß gemacht, als ich das gedacht hätte. Die Atmosphäre in der SPD hat sich verändert: Wir stimmen die Dinge, die zu regeln sind, konsequent miteinander ab. Wir unterstützen uns und werfen uns nicht – wie manchmal in der Vergangenheit – Stöcke zwischen die Beine.

Ist Ihr Stellenwert in Berlin mit dem neuen Amt gewachsen? Haben Sie mehr Einfluss?

Darüber mache ich mir keine Gedanken. Ich bin nicht in die Politik gegangen, um Karriere zu machen. Ich hatte auch im Notariat ein gutes Auskommen und deutlich mehr Freizeit. Die Positionen, die ich in der SPD übernommen habe, sind eher auf mich zugekommen, als dass ich diese angestrebt habe. Ich erzähle jetzt schon überall, dass ich noch 21 Monate als Landesvorsitzender habe. Dann habe ich meine Aufgabe erfüllt.

Das ist in Stein gemeißelt?

Ja. Ich habe mich 2009 bewusst entschieden, in die Bundespolitik zu gehen. Dabei bleibe ich. In zwei Jahren muss ein anderer die SPD in Sachsen-Anhalt anführen.

Das bedeutet, dass Sie zur Landtagswahl 2021 nicht als Spitzenkandidat zur Verfügung stehen?

Bis dahin kann viel passieren. Stand heute, mit 10,6 Prozent, würde ich meiner Partei nicht empfehlen, dass sich 2021 einer wie ein Gorilla hinstellt, auf die Brust trommelt und sagt: Ich will Ministerpräsident werden. Das wäre lächerlich. Die SPD sollte vor allem auf Themen setzen: gut bezahlte Jobs, gute Bildung, soziale Gerechtigkeit. Erst die zweite Frage ist, mit welchem Team die SPD antritt.

Sie geben den Anspruch auf die Staatskanzlei auf?

Unser Anspruch ist, dass eine Regierungsbildung ohne uns nicht möglich ist. Wichtig ist, dass wir inhaltliche Schwerpunkte setzen, bei denen die Menschen spüren: Das hat etwas mit unserem Leben zu tun.

Damit ist die Frage nach der Spitzenkandidatur noch nicht beantwortet.

Ich bin mir sicher, dass wir 2021 einen guten Spitzenkandidaten finden werden und der wird nicht Burkhard Lischka heißen.

Von der Zukunftsmusik in die Gegenwart: Sachsen-Anhalt wird von einer schwarz-rot-grünen Koalition angeführt. Wie bewerten Sie den Start?

Ich habe von Anfang an gesagt, dass das Bündnis keine Liebesheirat, sondern ein Zweckbündnis ist. Jede andere Lösung wäre schlecht für dieses Land gewesen. Gleichwohl sage ich: Regieren ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel in der Demokratie, um Dinge durchzusetzen im Sinne der Menschen. Als SPD haben wir klare Kernforderungen aufgestellt: mehr Polizisten, mehr Lehrer, mehr Geld für Kitas und Kommunen, mehr Mittel für Hochschulen und Langzeitarbeitslose. Ich kann heute mit Stolz sagen: All das bildet sich in den Schwerpunkten dieser Landesregierung ab. Aber für die SPD sage ich auch: Diese Schwerpunkte sind für uns rote Linien. Ich bin nicht gewillt, darüber wöchentlich Koalitionsverhandlungen zu führen. Vereinbart ist vereinbart. Da bin ich kompromisslos und beinhart.

Die Diskussion ist schon entbrannt: Finanzminister André Schröder (CDU) lässt durchblicken, dass nicht alles gleichzeitig finanzierbar ist. Drohen Sie mit einem Koalitionsbruch?

Das hat nichts mit Drohen zu tun. Die Landesregierung ist gut beraten, die Vereinbarungen umzusetzen. Sonst verstolpert sie den Start. Und der SPD würde die Grundlage entzogen, in den nächsten fünf Jahren mitzuarbeiten.

Die Koalition hat im Landtag nur zwei Stimmen Mehrheit. Bei einem handfesten Streit droht eine Zerreißprobe. Könnte Schwarz-Rot-Grün vor 2021 platzen?

Das macht mir derzeit weniger Sorge als noch vor einigen Wochen. Die Auftritte und die Zerstrittenheit der AfD haben die neue Landesregierung zusammengeschweißt. Jedem muss die Alternative klar sein: Wenn es diese Regierung nicht schafft, eine vernünftige Politik hinzubekommen, besteht die große Gefahr, dass dieses Land instabil wird. Die AfD ist kein Partner, der auch nur indirekten Einfluss auf die Regierungsgeschicke dieses Landes bekommen darf. Wenn sich alle drei Partner vornehmen, den Koalitionsvertrag umzusetzen, werden CDU, SPD und Grüne eine richtig gute Regierungsarbeit machen.

Sie sprechen sich dafür aus, dass ein Teil der AfD, die Patriotische Plattform, vom Verfassungsschutz beobachtet werden sollte. Warum?

Die Patriotische Plattform strebt einen Schulterschluss mit der Identitären Bewegung an. Das ist nach Einschätzung der Verfassungsschutzbehörden eine rechtsextremistische Organisation. Deshalb müssen sich unsere Verfassungsschutzämter schon die Frage gefallen lassen, warum sie über Jahre hinweg die Linke beobachtet haben, aber jetzt nicht die Teile der AfD, die die rechten Schmuddelecken ausweiten. Sollte das dauerhaft so weitergehen, müssen sich die Verfassungsschutzbehörden den Vorwurf gefallen lassen, dass sie mit zweierlei Maß messen.

Mit welcher Strategie sollten die Parteien der AfD im Landtag begegnen?

Das Bild der AfD wird derzeit durch zwei Faktoren bestimmt. Auf der einen Seite ist eine interne Zerstrittenheit, eine Meuterei gegenüber Herrn Poggenburg (Vorsitzender der AfD-Landtagsfraktion, Anm. d. Red.) offensichtlich. Ich lehne es entschieden ab, dass Poggenburg Landtagsvizepräsident wird. Die Problemfälle der AfD dürfen nicht auf Steuerzahlerkosten entsorgt werden.

Zum Zweiten setzt die AfD auf gezielte Provokationen im Parlamentsbetrieb. Die Partei hat selbst schon gesagt, dass sie nicht gewillt ist, eigene Konzepte vorzulegen. Die anderen Parteien müssen lernen, mit diesem Klamauk gelassener umzugehen, und die AfD entlarven als das, was sie ist: Eine Partei, der es nur gelingt, Ressentiments zu schüren und Gräben aufzureißen gegenüber allen, die nicht in ihr Weltbild passen – von Europäern bis zu Flüchtlingen, katholischer und evangelischer Kirche, Nationalspielern.

Die AfD ist eine Partei der Angsthasen, weil sie davon lebt, Ängste zu schüren. Die anderen Parteien wollen Probleme lösen. Das muss sichtbar werden.

Auf die Alternative für Deutschland werden Sie ab 2017 wahrscheinlich auch im Bundestag treffen. Was ist das Ziel der SPD?

Der Anspruch der SPD muss immer sein, eine Regierung anzuführen. Es ist sicherlich kein Selbstläufer, gegen eine Kanzlerin anzutreten, die hohe Popularitätswerte hat. Aber ich glaube auch, dass die SPD gute Chancen hat, deutlich besser abzuschneiden, als es die Umfragen derzeit vermuten lassen. In diesem Land und in Europa geht es aktuell um sehr grundsätzliche Fragen, die sich so vor einigen Jahren noch nicht gestellt haben.

Ich erlebe eine große Nachdenklichkeit. Viele beobachten mit Sorge, wie in ganz Europa Menschen gegeneinander aufgewiegelt werden, wie gespalten statt versöhnt wird. Durch den Brexit wird sichtbar, wie dieses Europa wankt. Wir müssen die Frage stellen: Was passiert eigentlich, wenn in Ländern wie Frankreich, den Niederlanden oder Dänemark ähnliche Referenden stattfinden, die ähnlich enden wie in Großbritannien? Dann ist dieses großartige Projekt EU tot. Auch wenn man den Konflikt mit Russland betrachtet, muss man sagen, dass wir von einem gemeinsamen europäischen Haus im Moment Lichtjahre entfernt sind. Wir müssen aufpassen, dass sich die Dinge in Europa nicht so verschärfen, dass wir bald wieder in einem neuen Kalten Krieg landen.

Wo will die SPD da ansetzen?

Diese Tendenzen widersprechen all den Werten, für die die SPD in ihrer 150-jährigen Geschichte stets gestritten hat: Wir haben nie Menschen gegeneinander aufgehetzt, sondern uns immer um Zusammenhalt und Versöhnung bemüht. Ich wage heute keine Prognosen, wie dieses Land und dieses Europa in fünf oder zehn Jahren aussehen werden. Aber klar ist: Es geht um grundsätzliche Antworten. Wir als SPD sind genau der Gegenpunkt zu dem, was wir überall in Europa durch populistische Politik erleben. Deshalb kann die SPD mobilisieren. Wir sind bis in die Haarspitzen motiviert. Es geht darum, für Werte zu kämpfen, für die ein jeder einmal in die SPD eingetreten ist: Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit. Es geht um Versöhnen statt Spalten.

Mit diesem Anspruch lautet das Wahlziel also 30 Prozent plus X?

Ich halte das nicht für undenkbar, aber das wird sehr schwierig in einem Parteiensystem, das im Augenblick zerfasert. Es werden voraussichtlich nicht mehr vier, sondern sechs Parteien dem Bundestag angehören. Aber gerade in diesen stürmischen Zeiten ist es die SPD nicht nur sich selbst, sondern auch den Menschen schuldig, für sehr grundsätzliche Dinge zu kämpfen, die vor Jahren noch selbstverständlich waren, aber das aktuell nicht mehr sind.

Ist Sigmar Gabriel der geeignete Kanzlerkandidat?

Ich halte ihn für einen exzellenten Politiker. Sigmar Gabriel ist authentisch und hat als Vorsitzender das erste Zugriffsrecht.

Ist Schwarz-Rot-Grün dann möglicherweise auch ein Modell für den Bund?Ich sehe auf Bundesebene keine Dreierkonstellation, diese wird auch nicht nötig sein. Denn die AfD wird im Herbst 2017 ein deutlich schlechteres Ergebnis einfahren als in Sachsen-Anhalt.

Schon vorher wird der Nachfolger von Bundespräsident Joachim Gauck gewählt. Gabriel hat zuletzt mit einem rot-grünen Kandidaten kokettiert.

Ich würde mich freuen, wenn alle Parteien die Sommerpause nutzen, um zu sondieren, ob es eine parteilose Persönlichkeit gibt, die von allen getragen wird. Wir leben in einer Zeit, in der es darum geht, Brücken zu bauen. Die Lage ist viel zu ernst, sie sollte nicht für parteitaktische Spielchen genutzt werden. Ein gemeinsamer Kandidat würde allen gut tun. Ich befürchte aber, dass viele den Schuss noch nicht gehört haben.

Wie meinen Sie das?

Ich habe tausendmal beim Brexit gehört, die zweitgrößte Volkswirtschaft Europas ist ausgetreten. Ich habe nicht einmal gehört, dass jemand gesagt hätte, die älteste Demokratie Europas will der EU nicht mehr angehören. Das treibt mich um. Es herrscht eine Kleingeistigkeit, die mich aufregt! Denn die Gewissheit, dass dieses Europa nicht fällt, selbst wenn es kräftig holtert und poltert, gibt es so nicht mehr. Es ist nicht mehr sicher, ob unsere Kinder die europäischen Selbstverständlichkeiten noch genießen werden.

Ich glaube nicht, dass bei einem Ende der EU gleich ein Krieg ausbricht. Aber Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Austausch, freier Warenverkehr, offene Grenzen, Freizügigkeit – das kann schleichend sehr viel schneller wegfallen, als wir glauben. Dafür müssen keine Schüsse fallen. Doch das scheint vielen Menschen – auch vielen europäischen Staats- und Regierungschefs – nicht bewusst zu sein. Sie wissen nicht mehr, welch großes Wunder und welche historische Leistung nach Jahrhunderten von Kriegen dieses Europa ist. (Die Fragen stellten Michael Bock und Christopher Kissmann)