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SPD-Chef Lischka knöpft sich eigene Partei vor

SPD-Landeschef Burkhard Lischka knöpft sich die eigene Partei vor und spricht über die Zukunft der Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt.

Von Micheal Bock 23.07.2019, 23:01

Herr Lischka, Sie geben im Herbst Ihr Bundestagsmandat ab und werden künftig als Notar in Haldensleben arbeiten. Verlassen Sie das sinkende Schiff SPD?
Burkhard Lischka: Nein. Für mich war schon immer klar, dass ich nicht bis zur Rente hauptberuflich Politik machen möchte. Ich wollte in meinen alten Beruf zurückkehren. Aber das ändert nichts daran, dass ich Sozialdemokrat bin und meine Partei auch weiter unterstützen werde.

Wie lange wird die Große Koalition in Berlin noch halten?
Da wage ich weder eine Vorhersage, noch würde ich irgendeine Wette abschließen. Das hängt nicht nur von der SPD ab, sondern von vielen Faktoren auch in der CDU. Vor allem, was die Nachfolge von Bundeskanzlerin Angela Merkel angeht.

Gehen Sie davon aus, dass Angela Merkel bis 2021 im Amt bleibt?
Das weiß nur Frau Merkel selbst. Sie hat in der Vergangenheit immer wieder alle überrascht. Möglicherweise wird sie das auch diesmal tun.

Was würde ein Rücktritt Merkels vor dem Jahr 2021 bedeuten?
Frau Merkel weiß, dass die SPD einen möglichen CDU-Nachfolger nicht mitwählen würde.

Dann käme es zu Neuwahlen?
Möglicherweise. Es könnte aber auch sein, dass sich dann CDU/CSU, Grüne und FDP am Riemen reißen und gemeinsam koalieren. Wir mussten uns vor zwei Jahren der Verantwortung fürs Land stellen, weil diese drei nichts hinbekommen haben.

Wie schätzen Sie die Stimmung zwischen CDU und SPD in Berlin ein?
Auf sachlicher Ebene wird gut gearbeitet. Die SPD hat viel durchsetzen können, zum Beispiel ein stabiles Rentenniveau bis 2025 oder das Gute-Kita-Gesetz. Aber die Außendarstellung ist katastrophal, vor allem im ersten Jahr.

Erst kam der Bürgerkrieg zwischen Frau Merkel und Bundesinnenminister Horst Seehofer von der CSU. Dann das Debakel um den früheren Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen. Das hat nach außen jede Bilanz absolut verhagelt.

Was hat die SPD falsch gemacht?
Die SPD hat das gemacht, was sie häufig in ihrer Geschichte am besten kann: nämlich Führungspersonal innerhalb weniger Monate zu verschleißen. Wenn es in Zukunft nicht zu einer gewissen Solidarität kommt, und auch die neue Führungsspitze vom ersten Tag an unter Beschuss genommen wird, werden wir noch viele Parteispitzen bei der SPD kommen und gehen sehen.

Was läuft schief in der tagtäglichen Arbeit?
Ein Problem der SPD ist, dass sie sich viel zu häufig auf eine gute Regierungsarbeit verlässt. Sie glaubt, dies genüge, um ordentliche Wahlergebnisse einzufahren. Die SPD muss sich wieder ein klares, unverwechselbares Profil erarbeiten. Im Augenblick wissen viele Menschen gar nicht mehr, wofür die SPD auch bei den großen Themen wie etwa der Friedens-, Migrations- oder auch der Wirtschaftspolitik eigentlich steht. Die Debatte ist in der SPD allzu oft von taktischen Erwägungen geprägt. Viel zu oft wird der Kurs in grundsätzlichen Fragen gewechselt. Viel zu häufig werden Konflikte in der SPD durch Formelkompromisse zugekleistert.

Sollte es auch nach 2021 eine Große Koalition in Berlin geben?
Nein. Seit 2005 regiert – nur unterbrochen von 2009 bis 2013 – in Deutschland eine Große Koalition. Diese hat vieles positiv bewirkt. Aber sie hat auch dazu geführt, dass die politischen Ränder gestärkt wurden, und dass wir jetzt eine komplett andere Parteienlandschaft haben.

Den Begriff Große Koalition möchte ich jetzt gar nicht mehr in den Mund nehmen. Inzwischen ist das eine sehr kleine Koalition, die nach aktuellen Umfragen nicht einmal mehr eine eigene Mehrheit hat. Eine Große Koalition darf keine Dauereinrichtung werden. Ich bin mir sicher, dass das ein Auslaufmodell sein wird.

Im Osten stehen in diesem Jahr drei Landtagswahlen an. 2021 wird in Sachsen-Anhalt gewählt. Was erwarten Sie?
Das werden die wichtigsten Landtagswahlen in der Geschichte der ostdeutschen Bundesländer, weil es um eine grundsätzliche Kursbestimmung geht.

Die Frage ist, ob Regierungen installiert werden, die zumindest abhängig sind von Populisten und Radikalen. Oder ob Regierungen gebildet werden, die Maß und Mitte halten. Ohne eine starke SPD befürchte ich, dass in der CDU ein viel intensiveres Nachdenken einsetzt über die Bildung von Minderheitsregierungen, die sich letztlich in ihrem Handeln von der AfD abhängig machen. Ein Fingerzeig ist in Sachsen-Anhalt die Denkschrift von immerhin zwei stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden im Landtag, die deutlich über eine Zusammenarbeit mit der AfD nach der Landtagswahl nachdenken.

Das ist für die Betroffenen parteiintern ohne Konsequenzen geblieben.
Würde so etwas bei mir in der SPD passieren, würde ich die gesamte Partei zusammentrommeln, und dann könnten sich die zwei in die Mitte setzen und der normalen Mitgliedschaft erklären, warum sie ein Bündnis mit der AfD für möglich halten.

Da muss eine Klärung in der CDU herbeigeführt werden. Ich kenne viele vernünftige CDU-Leute, die schlagen die Hände überm Kopf zusammen bei solchen Denkschriften. Der CDU-Landesvorsitzende Holger Stahlknecht und auch Ministerpräsident Reiner Haseloff müssen deutlich machen, dass das nicht der Kurs der CDU ist.

Der Landesverband und auch Haseloff haben sich aber doch öffentlich erneut klar gegen eine Koalition mit der AfD positioniert.
Das ist mir zu wenig. Man muss als CDU schon mal sehr deutlich machen, dass solche Leute nicht in verantwortungsvolle Ämter gehören.

Warum passiert das nicht?
Die CDU-Spitze möchte bestimmte Leute nicht verprellen. Sie spürt, dass diese Diskussion in einem nicht ganz unerheblichen Teil der Landes-CDU auch ernsthaft geführt wird. Diese Debatte wird verstärkt nach den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg kommen.

Wie erleben Sie die AfD in Sachsen-Anhalt?
Gerade die AfD in Sachsen-Anhalt hat sich in den vergangenen drei Jahren in erheblichem Umfang radikalisiert. Gemäßigte Kräfte sind aus dieser Partei hinausgedrängt worden. Das Handeln der AfD war geprägt von Streit, Intrigen und persönlicher Missgunst. Man kann von der Kenia-Koalition halten, was man will. Aber sie hat verhindert, dass das Land in ein politisches Abenteuer gestürzt wird, und dass die AfD Einfluss auf die Regierungsarbeit nehmen kann. Ich wünsche mir, dass Sachsen-Anhalt auch nach 2021 eine Regierung von Maß und Mitte haben wird.

Also eine Fortsetzung der Kenia-Koalition?
Vor drei Jahren wurden wir für diese Konstellation belächelt. Doch jetzt ist eine solche Koalition gerade in den ostdeutschen Ländern vielleicht die einzige Möglichkeit, eine Regierung der Vernunft und der Verantwortung auf die Beine zu stellen. Wenn ich die Wahl habe zwischen einer Minderheitsregierung von AfD-Gnaden oder der Kenia-Koalition, werde ich mich immer wieder für die Letztere entscheiden.

Das klingt wenig ambitioniert.
Unser Ziel für 2021 ist es nicht, die derzeitige Regierung abzulösen. Auf sachlicher Ebene hat sie durchaus einiges vorzuweisen. Und deshalb werde ich die Kenia-Koalition weiter loben. Allerdings bin ich wütend darüber, dass es die Protagonisten nicht schaffen, Erfolge gemeinsam herauszustellen.

Stattdessen streiten sie sich viel zu häufig über Seilbahnen, Feldhamster und Mauerblümchen an irgendwelchen Feldstreifen. Bei so einem Theater haben viele Menschen das Gefühl: Die streiten sich nur über Blödsinn und Nichtigkeiten, die mit unserem Leben überhaupt nichts zu tun haben. Für die restlichen zwei Jahre kann ich nur an die Beteiligten aller Fraktionen appellieren: Es muss mindestens ein Grundmaß an Loyalität untereinander geben. Ohne das kann es nicht funktionieren.

In der SPD wird aber auch noch über Rot-Rot-Grün diskutiert.
Da sage ich ganz deutlich: Von einer solchen Mehrheit sind wir doch meilenweit entfernt. Solche Farbspielchen gehören der Vergangenheit an.

Die SPD setzt nun sowohl im Bund als auch im Land auf Doppelspitzen. Warum?
Der große Vorteil ist, dass es dann nicht mehr das klassische Alpha-Tier gibt. Politik ist immer ein Teamspiel. Eine Doppelspitze ist auch gut, um sich wechselseitig mal wieder auf den Boden zurückzuholen oder um sich gemeinsam aufzurichten.

Die SPD will diesmal keinen alleinigen Spitzenkandidaten für die Landtagswahl küren, sondern mit einem dreiköpfigen Team antreten - bestehend aus der Landtags-Fraktionsvorsitzenden Katja Pähle sowie Sozialministerin Petra Grimm-Benne und Wirtschaftsminister Armin Willingmann. Fehlt der SPD die eine, die starke Persönlichkeit?
Nein. Ich halte es aber für unsinnig, wenn die SPD nach 10,6 Prozent bei der Landtagswahl 2016 fünf Jahre später das Ministerpräsidenten-Amt anstrebt. Da ist eine Teamlösung sehr viel überzeugender als irgendwelche Kraftmeierei, bei der sich die Menschen abwenden würden.