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Spielzeugmanufaktur Tierische Herausforderungen

Seit mehr als 100 Jahren werden in Bad Kösen Spielzeuge hergestellt. Die Folgen der Pandemie versucht die Spielzeugmanufaktur abzufedern.

23.11.2020, 23:01

Bad Kösen l Der „Mutige Ritter“ – ein denkmalgeschütztes Kur- und Tagungshotel inmitten von Bad Kösen, einem Ortsteil von Naumburg. In dem jahrhundertealten Komplex sitzt die Produktionsstätte der Kösener Spielzeugmanufaktur.

Helmut Schache hat die Geschäftsführung 2001 an seine Tochter Constance abgegeben, heute kümmert er sich unter anderem um die Pressearbeit. „Viele dieser Räume atmen Geschichte“, sagt der 75-Jährige im Eingangsbereich des Hotels. Ein kolossaler Kronleuchter schwebt über ihm an der Decke, an den Wänden Bilder mit früheren Besuchern des Hotels. Nietzsche, Bismarck. Momentan ist es vor allem – still. Corona, Beherbergungsverbot. Gäste kommen im Moment kaum, die Produktion von Kuscheltieren läuft aber weiter.

Schache steuert das frühere Bettenhaus des Hotels an. Er drückt den Türgriff herunter und tritt in die Gläserne Manufaktur. Auf rund 300 Quadratmetern Produktionsfläche rattern die Nähmaschinen. Unter meterhohen stuckverzierten Decken beugen sich ein Dutzend Frauen konzentriert über ihre Arbeitstische. Stoffe werden gewendet, den Tieren werden Augen eingesetzt, sie werden befüllt und am Schluss auf Qualität geprüft. „Hier bekommen unsere Kuscheltiere ihr unverwechselbares Aussehen“, sagt Schache und taxiert ein flauschiges Shiba-Inu-Kuscheltier (einer japanische Hunderasse nachempfunden), das gerade versandfertig gemacht wird. „Das Kuscheltier läuft auf dem asiatischen Markt sehr gut“, sagt Schuche.

Pratisch in die ganze Welt gehen die Produkte des Unternehmens. In der Corona-Krise ist das Geschäft allerdings eingebrochen.Dafür legte der Online-Handel teils um 40 Prozent zu. Ein Minus von 50 Prozent steht allerdings bei den Exporten zu Buche.

Auch das Deutschlandgeschäft dümpelte insbesondere in den Monaten des ersten Lockdowns im März, April und Mai vor sich hin. „Die Innenstädte waren ausgestorben, die Menschen hatten andere Dinge im Kopf, als Plüschtiere zu kaufen“, sagt Helmut Schache.“

Dass viele kleine Händler zeitweise dicht machen mussten, schmerzte das Unternehmen besonders. „Wir haben ein erklärungsbedürftiges Produkt“, sagt Schache. Das Unternehmen arbeite mit hochwertigen Materialien, die Plüschtiere kosten teils mehrere hundert Euro. Warum das gerechtfertigt ist, wo das Alleinstellungsmerkmal liegt – das können die Händler erläutern, Helmut Schache kann es auch: „Wir legen großen Wert auf natürliche Materialien und auf das naturgetreue Aussehen unserer Tiere“, sagt er. „Ich denke, wir sind die Letzten in Deutschland, die Stofftiere dieser Qualität herstellen können“, so Schache. An Massenproduktion sei die Firma nicht interessiert.

60.000 bis 70.000 Kuscheltiere im Jahr produziert das Unternehmen. Es gibt Konkurrenten, die machen es nicht unter der zehnfachen Menge. Der Jahresumsatz lag zuletzt bei 2,5 Millionen Euro.

Die Kösener Spielzeugmanufaktur erhielt in der Corona-Krise wie viele andere staatliche Hilfen, Beschäftigte hat man temporär in Kurzarbeit geschickt. Voraussichtliche Verluste im laufenden Jahr kompensiert die Familie teilweise über andere Unternehmenszweige.

Dass die Auswirkungen der Pandemie die Existenz des Unternehmens gefährden könnten – Schache macht sich darüber keine Sorgen. „Wir haben schon einige Krisen überstanden“, sagt er. „Diese schaffen wir auch.“ 39 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen derzeit. Ein Großteil davon in der Fertigung. „Damit der Betrieb richtig rund läuft, bräuchten wir aber eigentlich 50 Leute“, so Schache. Problem ist ausnahmsweise mal nicht Corona, der Fachkräftemangel hat auch die Spielzeugbranche erreicht. „Wir finden einfach keinen mehr“, sagt Schache. Vor allem an Näherinnen mangelt es. Schache will nun schauen, ob er nicht Auszubildende etwa aus Vietnam anwerben kann.

In Bad Kösen werden seit über 100 Jahren Spielzeuge produziert. Alles begann mit den legendären Puppen der Käthe Kruse, die sich heute noch im Werksmuseum besichtigen lassen. Später fertigte der VEB Kösener Spielzeuge in der Kurstadt. Als der Markt nach der Wende einbrach, stand der traditionsreiche Standort vor dem Aus. Dann kam über die Treuhand die Firma Steiff ins Spiel. Zwei Jahre dauerte die Zusammenarbeit, doch kaufen wollten sie die Spielzeugmanufaktur nicht. Neue Interessenten gab es keine.

Helmut Schache, damals Bürgermeister von Bad Kösen, wurde zum Retter in der Not, kaufte 1992 die GmbH und baute das Geschäft nach und nach aus. Rund lief es nicht immer. „Richtig schlecht lief es um die Jahrtausendwende“, erinnert sich der Unternehmern. „Da kam die Geiz-ist-geil-Mentalität auf. Selbst für ein außergewöhnliches Produkt wollte da keiner mehr Geld ausgeben.“ Über Wasser gehalten hat die Firma in dieser Zeit ein Kastenbrot. Oder vielmehr ein Plüschtier in Form eines Kastenbrotes. „Bernd das Brot war ein Verkaufsschlager und läuft bis heute noch gut“, sagt Schache.

Aus dem Geschäft mit Lizenzen – etwa die „Mainzelmännchen“ – hat sich das Traditionsunternehmen mittlerweile weitestgehend zurückgezogen. Einen Überblick über die Produktpalette kann man sich im Werksverkauf in Bad Kösen verschaffen. Hohe Regale, in den Fächern warten Hunderte Stofftiere auf ihre neuen Besitzer.

Hinter der Kasse Geschäftsführerin Constance Schuche. Im letzten Monat lief es noch gut. In diesen Tagen verlaufen sich nicht viele Besucher in das Geschäft. „Wir sind auch von Touristen abhängig. Momentan ist da etwas Stillstand“, sagt die Unternehmerin.

Überhaupt würde im Dezember unter normalen Umständen gerade die Post abgehen. „Das Weihnachtsgeschäft ist wichtig“, sagt die Geschäftsführin. Jetzt müsse man sehen, wie es sich noch entwickelt. Helmut Schache ist derweil auf der Suche nach seinen Plüsch-Favoriten fündig geworden. Einen Orang-Utan aus weichem Mohair-Plüsch, eine kleine Maus, alle Arten von Bären. Ein Eisbär hat es dem 75-Jährigen besonders angetan.

Mit über 500 Euro nicht ganz preiswert. Aber: „Einer unserer Renner“, sagt Schache. Im Frühjahr bringt das Unternehmen in der Regel 15 bis 20 neue Kuscheltiere auf den Markt. Als der Eisbär im vergangenen Jahr hinzukam, schickte Schache eine Exemplar kurzerhand zu Händen von Klimaaktivistin Greta Thunberg nach Stockholm. Eine Rückmeldung gab es nicht. „Macht nichts“, sagt Schache. „Probieren kann man es ja mal.“

Was Greta freuen dürfte: Das Unternehmer aus Bad Kösen fährt seit einigen Jahren einen Nachhaltigkeitskurs. Die Stoffe sollen langlebig, die eingesetzten Acrylfasern recycelbar sein. Energie wird über eine Solaranlage produziert, die Heizungspumpen hat Schache auf Hocheffizienzpumpen umgerüstet. Jetzt will er die gesamte Heizung auf Biomasse umstellen.

Verpackungen vermeidet das Unternehmen mit Ausnahme der Produkte für Babys. Einen Reparaturservice für beschädigte Kuscheltiere gibt es auch. „Wenn mal etwas kaputt geht, bessern wir das aus“, sagt Schache. Lieber heute als heute morgen würde er zudem das Polyester in den Fasern der Stofftiere ablösen. Naturfasern aus Holz oder Milch schweben ihm als Alternativen vor. „So weit sind wir aber noch nicht“, sagt Schache. Ziel sei es in jedem Fall, bis 2025 komplett CO₂-frei zu produzieren. „Das werden wir schaffen“, ist der 75-Jährige überzeugt.