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Stadtgeschichte Luther, der Knoblauchkönig und Lenin

Seit der ersten urkundlichen Erwähnung Eislebens, lebten zahlreiche wichtige Nachkommen in der Stadt: Schlagzeilen aus der Geschichte.

Von Manfred Zander 11.06.2017, 01:01

Eisleben l Wenn sich die Geschichtsschreiber nicht verzählten, dann jährt sich im November zum 1023. Mal der Tag, an dem Eisleben erstmals urkundlich erwähnt wurde. Das Dokument bestätigt, dass die Stadt schon seit einiger Zeit das Marktprivileg besitze. Anders gesagt, ist Eisleben älter als jene vom späteren Kaiser Otto III. besiegelte Urkunde.

Aber ganz gleich, ob 1023 Jahre oder mehr, die Zeit reichte den Eislebener Ehepaaren, um die Welt mit einigen später recht berühmten Nachkommen zu beglücken. Nicht jedem allerdings wurde so viel Nachruhm zuteil wie es bei Martin Luther der Fall war. Es weiß wohl jeder, dass er aus Eisleben stammte und mittels Thesenanschlag an der Wittenberger Schlosskirchentür die Reformation ausgelöst hat.

Aber wer weiß denn noch, dass der 1774 in Eisleben geborene Buchdrucker und Erfinder Friedrich König ein Patent für eine Zylinderschnellpresse anmeldete. Das ermöglichte Massenauflagen in der Zeitungsherstellung. Es sei erwähnt, dass die Eislebener auch diesen berühmten Sohn in Erinnerung behielten. 1891 wurde ihm ein Denkmal gesetzt.

Heute wohnen in der Stadt am Zusammenfluss von sieben Bächen zur Bösen Sieben etwa 25.000 Einwohner. Trotz der geringen Einwohnerzahl hat die Stadt mehrfach für Schlagzeilen gesorgt, auch wenn dahinter nicht immer gute Botschaften standen.

1081 hätte Eisleben beinahe zum Wendeort der Geschichte des Heiligen Römischen Reiches werden können. Damals bestätigten die in der Stadt beratenden sächsischen Fürsten Hermann Graf von Salm als Gegenkönig des in Italien weilenden Heinrich IV. Dieser schickte Truppen aus Friesland gegen den Grafen, der sich in der Eislebener Wasserburg verbarrikadierte.

Ernst von Mansfeld kam ihm zu Hilfe und schlug die Friesen in die Flucht. Der rund um Solms Fluchtburg wachsende Knoblauch brachte den Volksmund auf die Idee, den Grafen zum Knoblauchkönig zu krönen. Das blieben allerdings seine einzigen Königswürden. 1084 musste er den Anspruch mangels Unterstützung der deutschen Fürsten aufgeben. Als Beleg für das Histörchen führen die Eislebener ihre Besucher noch heute gern zum Rathaus. An einer der Wände hängt eine Plastik, die den Knoblauchkönig darstellen soll. Oder auch nicht ...

In dieser Hinsicht haben die Stadtväter mit dem berühmtesten der berühmten Eislebener ganz ähnlichen Kummer. Dort, wo alles anfing, scheint noch alles klar. Aber auch das Geburtshaus, wo Martin am 10. November 1483 zur Welt kam, ist nicht mehr das, was Luthers Eltern Hans und Margarethe einst kannten.

Schuld daran ist ein Brand im Jahre 1689. Vier Jahre später wurde es wieder aufgebaut. Seitdem diente es als Museum. Damit ist es eines der ältesten deutschen Museen. 2005 wurde es saniert und erweitert. Der Erweiterungsbau erhielt 2007 den sachsen-anhaltischen Architekturpreis. Die Juroren würdigten damit den „selbstbewussten und sensiblen Umgang moderner Architektur mit städtisch gewachsenen historischen Strukturen“.

Ähnlich ist es im Sterbehaus am Andreaskirchplatz. Seit dem 19. Jahrhundert gilt es als Gedenkort an Luthers Tod. Aber der Reformator war nicht dort gestorben. Das Gebäude liegt lediglich gegenüber der Andreaskirche, in der Luther noch kurz vor seinem Tod gepredigt hatte. Bei seinem letzten Aufenthalt in seiner Geburtsstadt wohnte Luther jedoch bei der befreundeten Familie Drachstedt. Deren damaliges Haus war vermutlich das Stadtschloss,das heute als Hotel genutzt wird. Sollte die Annahme von Historikern stimmen, dann starb Luther an jenem 18. Februar 1546 genau dort.

Keine Deutungsprobleme gibt es mit einem anderen Lutherort in Eisleben, mit der Petrikirche. Dort wurde der kleine Martin am 11. November 1483 getauft. Die Petrikirche ist 2011 und 2012 saniert und zu einem Zentrum für Taufe gestaltet worden.

Lutherstadt ist Eisleben streng genommen seit der Geburt des Reformators. Aber anders als Wittenberg, das im Jahre 1938 vom NS-Staat den Beinamen Lutherstadt erhielt, musste der Geburts- und Sterbeort des Reformator bis 1946 warten, also bis zum Ende des Tausendjährigen Reiches.

Das mag auf ein Ereignis zurückzuführen sein, das sich kurz nach der Berufung Adolf Hitlers zum Reichskanzler in der damals von Bergbau und Industrie geprägten Stadt zugetragen hatte. Am 12. Februar 1933 hatten Rudolf Jordan, NSDAP-Gauleiter von Merseburg-Halle, und der mansfeldische NSDAP-Kreisleiter Ludolf von Alvensleben einen Propagandamarsch durch das als rot geltende Eisleben angeordnet und persönlich angeführt.

Der Tag ging als Eislebener Blutsonntag in die Geschichte ein. Die Marschteilnehmer überfielen das kommunistische Zeitungshaus und eine angrenzende Turnhalle in der Innenstadt. Dort waren viele Kommunisten, aber auch Kinder versammelt. Bei einer Schießerei starben drei Kommunisten – Otto Hahn, Walter Schneider, Hans Seidel – und der SS-Mann Paul Berck.

Die regionale NS-Prominenz wollte das Geschehen zur Abrechnung mit politischen Gegnern nutzten. Der hallesche Oberstaatsanwalt Luther legte zwischen 13. Februar und 8. April vier abweisende Berichte vor. Dadurch geriet er bei den NS-Gewaltigen selbst in die Kritik. Schließlich äußerte die Generalstaatsanwaltschaft gegenüber dem Justizministerium Zweifel, dass eine Aufruhr- und Landfriedensbruch-Anklage gegen die Kommunisten Erfolg haben könnte. Nicht einmal Waffen seien bei den Verhafteten gefunden worden. Der Schauprozess musste ausbleiben. Am 29. Juni verurteilte das hallesche Schwurgericht den Kommunisten Eberhard Rechner wegen der Schüsse auf Berck. Dieser wurde nun zum Helden. Das frühere KPD-Gebäude erhielt seinen Namen. Für 12 Jahre.

Danach folgte die zweite Abrechnung. 26 frühere SS-, SA- und Polizeiangehörige wurden vom Landgericht Halle zu Strafen zwischen einem Jahr und lebenslänglich verurteilt. Auch der sachsen-anhaltische SED-Chef Bernard Koenen sagte als Zeuge aus. Die hallesche SED-Zeitung „Freiheit“ wertete seinen Auftritt als „große ideologische Abrechnung mit dem Faschismus“.

Die neue Zeit hatte nun neue Helden. Der Eislebener Robert Büchner - auch Mitbegründer der „Freiheit“ - war einer von ihnen. Mit einer Gruppe Arbeiter hatte er 1943 das Einschmelzen eines bronzenen Lenin-Standbildes verhindert. Das war von der Wehrmacht in der Stadt Puschkin demontiert und nach Deutschland geschafft worden. Das 3,20 Meter große und 2,9 Tonnen schwere Abbild Lenins überstand den Krieg unbeschadet.

Mit Überzeugungskraft schaffte es Büchner nach der Befreiung Eislebens durch amerikanische Truppen bis auf den Bürgermeisterstuhl. Als die Amerikaner ab- und die sowjetischen Truppen einziehen, ließ Büchner sie durch den geretteten Lenin empfangen. Die Geschichte machte die Runde. Bald kannte sie jedes Schulkind. Als die SED-Führung den Fall untersuchen lässt, werden allerdings auch Ungereimtheiten laut.

Büchner, von 1947 bis 1950 Chefredakteur der Magdeburger SED-Zeitung Volksstimme, fällt bald in Ungnade. Die Gründe sind unklar und von Quelle zu Quelle unterschiedlich. Er flog aus der SED, wurde später aber auf eigenen Wunsch wieder aufgenommen und Mitarbeiter eines SED-Institutes. 1985 starb er. Das Lenin-Denkmal blieb noch bis 1991 in Eisleben stehen. Dann wurde es ins Deutsche Historische Museum gebracht.