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Städtepartnerschaft Türöffner der Stasi in Braunschweig

Magdeburg und Braunschweig sind seit 1987 Partnerstädte. Der Anfang war heikel. Magdeburger wollten in den Westen, die Stasi Informationen.

Von Steffen Honig 18.07.2018, 01:14

Magdeburg/Braunschweig l Im SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ war am 7. Dezember 1987, einem Montag, zu lesen: „Eine Delegation des Rates der Stadt Braunschweig unter Leitung von Oberbürgermeister Gerhard Glogowski (SPD) traf am Sonntag in Magdeburg ein. Sie wurde im Rathaus der Elbestadt von Magdeburgs Oberbürgermeister Werner Herzig empfangen. Während des Aufenthalts der Braunschweiger Kommunalpolitiker ist die Paraphierung einer Vereinbarung zur Städtepartnerschaft Magdeburg – Braunschweig durch beide Oberbürgermeister vorgesehen.“ Damit war die neue Städtepartnerschaft von höchster Stelle verkündet.

Mit der Unterschrift der Oberbürgermeister war nicht nur der Auftakt zu Tanzfestivals und Bücherlesungen gegeben: Die Staatssicherheit war beim kommunalen Austausch stets dabei. Der Jurist Enrico Rennebarth widmete diesem Thema seine Doktorarbeit, die in der Reihe „Braunschweiger Werkstücke“ der Stadt Braunschweig erschienen ist.*

Das MfS überwachte nicht nur, welche DDR-Bürger sich wie an der Partnerschaft beteiligen konnten, sondern nutzte den entstandenen öffentlichen Kanal, um in Braunschweig und drumherum Informanten anzuwerben.

Mit einigem Erfolg, wie Rennebarth feststellt: Laut MfS-Akten, den Rosenholz-Unterlagen** und den Sira-Teildatenbanken***  lieferten insgesamt 161 inoffizielle Mitarbeiter (IM) und Kontaktpersonen aus der Bundesrepublik und der DDR der Stasi Informationen über Personen und Objekte in Braunschweig. Hinzu kommen weitere 71 Zuträger, von denen nur die Decknamen bekannt sind. Zum Netzwerk gehörten demnach in der Stadt 18 Leute, weitere 11 berichteten aus der näheren Umgebung. Die IMs waren ausschließlich DDR-Bürger.

Unter den westdeutschen Informanten waren auch Ehepaare. Die Anwerbung lief meist innerhalb der Verwandtschaft. Staatssicherheits-Minister Erich Mielke persönlich verbot jedoch den Zugriff auf westdeutsche Delegationsmitglieder beim Austausch im Rahmen der Städtepartnerschaft. Zu groß war die Furcht, dass eine solche Aktion öffentlichkeitswirksam auffliegen und die Städtepartnerschaften in Misskredit bringen könnte.

Wofür interessierte sich die Staatssicherheit, die ihr verborgenes Geschäft aufwendig betrieb, in Braunschweig? Das war ein weites Feld. Es reichte von der Technischen Universität über die Deutsche Forschnungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt bis zu Braunschweiger Persönlichkeiten. Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung standen im Mittelpunkt, daneben wurden militärische und politische Ziele ausspioniert. Im kommunalen Bereich konzentrierte sich die Stasi auf alles, was sich um die Partnerschaft von Braunschweig und Magdeburg rankte.

Dabei kam das gesamte Repertoire von Geheimdienst-Techniken zum Einsatz. Um unerkannt im Westen operieren zu können, wurden Stasi-Mitarbeiter mit sogenannten Doppelgänger-Identitäten versehen. Sie erhielten Reisepässe und Ausweise, die mit einem vorhandenen Original in Personalien und allen anderen Angeben komplett übereinstimmten. Der Pferdefuß dabei war, dass diese Dokumente nicht verlängert werden konnten, weshalb sie regelmäßig zu ersetzen waren.

Wie das praktisch funktionierte, zeigt ein Bespiel: Für den IM „Gerhard Neubert“ wurden durch die HVA die notwendigen Personalien eines Braunschweigers bei dessen Einreise in die DDR ermittelt. Der Inoffizielle Mitarbeiter, 1974 geworben, nutzte seine Doppelgänger-Identität für geheime Aufträge in West-Berlin und der Bundesrepublik. Seine hauptsächliche Aufgabe war jedoch – wie bei anderen „Doppelgängern“ – die Instruktion anderer IM. Er klärte aber auch Braunschweiger Hotels auf.

Am Gastgewerbe hatte der Ost-Geheimdienst ein gesteigertes Interesse. Boten sich schließlich Hotels und Gaststätten als Treffpunkte und Quartiere an. „Neben Lageskizzen, Beschreibungen der Inhaber und Zahlungsmodalitäten waren sogar genaue Grundrisse der Zimmer samt Einzeichnung der Möbel in den als ,streng geheim‘ eingestuften Akten der HA 1 zu finden“, heißt es im vorliegenden Band.

Wichtig waren vor allem laxe Ausweiskontrollen an der Rezeption, in solchen Häusern nahm das MfS am liebsten Quartier. Treffs sollten entweder in möglichst ablegenen Lokalitäten über die Bühne gehen oder in Gaststätten mit Nähe zu „Zielobjekten“. Eigens dazu prüfte IM „Fritz Jordan“ die einschlägigen Orte rund um die Kreisgemeinschaft der Flüchtlinge oder Bundeswehrkasernen.

Die Partnerschaft Braunschweig – Magdeburg war zu 83 Prozent von der Staatssicherheit durchdrungen, rechnet Autor Rennebarth vor. Gleichwohl wusste das MfS über alle partnerschaftlichen Treffen Bescheid. IMs wurden speziell bei politischen Veranstaltungen eingesetzt.

Kommunalvertreter aus dem Westen wünschten sich mehr direkte und individuelle Kontakte zwischen Interessengruppen, Betrieben und Verbänden. Die Staatssicherheit fürchtete ideologische Aufweichung im Osten, schob dem Ansinnen jedoch rigoros einen Riegel vor. Sie hielt lieber DDR-Bürger von Republikfluchten ab. Außerdem mussten mögliche Spionageversuche des Bundesnachrichtendienstes abgewehrt werden.

Sie blüht und gedeiht seit mehr als 30 Jahren – die Partnerschaft zwischen Braunschweig und Magdeburg. Die Unbilden im Hintergrund aus der Anfangszeit wirken wie die Erzählung aus einer anderen Welt. Das war sie auch.

* Enrico Rennebarth: „Kommunale ,Innerdeutsche Außenpolitik‘ und das Ministerium für Staatssicherheit der DDR am Beispiel der Städtepartnerschaft Braunschweig – Magdeburg“, © Stadtarchiv Braunschweig; Appelhans Verlag Braunschweig 2017.

** Die Rosenholz-Dateien sind rund 350  000 mikroverfilmte Karteikarten der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des MfS. Benannt wurden die Dateien nach der CIA-Operation, die der Mikrofilme in die USA brachte. Sie wurden 2003 an Deutschland zurückgegeben.

*** Sira war ein HVA-Datenbanksystem.