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Straftaten Mehr illegale Autorennen in Sachsen-Anhalt

Die Polizei hat in den vergangenen zwei Jahren einen sprunghaften Anstieg illegaler Autorennen in Sachsen-Anhalt registriert.

Von Matthias Fricke 01.02.2021, 00:01

Magdeburg l Auf dem Video, das Kriminalisten im Revier Börde aktuell auswerten, reißt ein junger Mann am Startpunkt die Arme herunter. Dann heulen die Maschinen der hochmotorisierten Luxuswagen auf. Die Autos rasen die Straße durch das Gewerbegebiet in Barleben entlang, bis die roten Rücklichter in der Dunkelheit verschwinden.

An diesem illegalen Rennen kurz vor Weihnachten 2020 sollen mehrere Dutzend Fahrzeuge beteiligt gewesen sein. Der Fall flog auf, als eine von Zeugen alarmierte Polizeistreife kurz vor Mitternacht versuchte, eines der Fahrzeuge zu stoppen. Ein Beamter wurde von einem Wagen erfasst, blieb aber unverletzt. Matthias Lütkemüller vom Polizeirevier in Haldensleben: „Wir und unsere Kollegen im Salzlandkreis ermitteln wegen des verbotenen Kraftfahrzeugrennens bereits gegen mehrere Beschuldigte.“ Wie viele es genau sind, wollte er nicht sagen. Es gebe aber weitere Video-Sequenzen, die im Internet entdeckt wurden.

Den Beteiligten drohen nun bis zu zwei Jahre Haft. Wenn es zu Schäden, Verletzten oder Toten gekommen wäre, dann wären sogar zehn Jahre möglich.

Doch nicht immer werden die Täter erwischt. In der Nacht zu Sonnabend sollen Autofahrer die Landebahn des Segelflugplatzes in Gardelegen als Rennpiste genutzt haben. Die Polizei meldete Schäden durch eine aufgewühlte Grasnarbe auf dem Rollfeld von schätzungsweise 2000 Euro. Immer wieder kommt es dort zu derartigen Vorfällen.

Auch Polizisten im Landkreis Harz müssen sich mit dem Thema befassen. Dort finden sich regelmäßig, vor allem im Frühjahr und Sommer, Motorradfahrer zu kleineren illegalen Rennen ein. Im Tunnel der Rappbodetalsperre treffen sich auch Poser und Tuner mit ihren hochgepimpten Fahrzeugen. Lautstärke und durchdrehende Reifen stehen dort im Mittelpunkt.

Kriminalrätin Nadine Sünnemann vom Revier Harz: „Allein bei vier Großkontrollen der Tuningszene im vergangenen Jahr haben wir 17 Strafverfahren eingeleitet, 145 Ordnungswidrigkeiten verfolgt und 23 Fahrzeugführern die Weiterfahrt untersagt.“ Konkret bei „verbotenen Kraftfahrzeugrennen“ erwischt hat die Polizei zum Beispiel drei Motorradfahrer, die am Karfreitag mit „höchst- möglicher Geschwindigkeit“ durch den Harz bei Goslar gebrettert waren.

Nach Angaben des Landeskriminalamtes (LKA) ist die Zahl solcher von der Polizei registrierten „verbotenen Kraftfahrzeugrennen“ von 19 im Jahr 2018 auf 226 im vergangenen Jahr gestiegen. Eine Auswertung der Fälle ergab laut LKA-Sprecher Michael Klocke auch, dass von den 224 ermittelten Verdächtigen nur 14 weiblich waren. Die meisten von ihnen waren im Alter zwischen 22 und 30 Jahren (74 Verdächtige), gefolgt von den 31- bis 40-Jährigen mit 68. Die kleinste Altersgruppe bildeten die über 50-Jährigen mit nur drei Beteiligten. 93 Prozent der Verdächtigen waren Deutsche.

Es kommt aber nur selten zum Prozess. Laut Oberstaatsanwalt Klaus Tewes von der Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg wurden von 181 Beschuldigten bei den Staatsanwaltschaften im Land bisher nur 30 im vergangenen Jahr angeklagt und sechs mit einem Strafbefehl verurteilt. Der Rest der Fälle wurde gegen Geldauflagen, aus anderen Gründen oder nicht hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Er erklärt: „Ende 2017 hat der Gesetzgeber verbotene Kraftfahrzeugrennen im Paragraf 315 d als solche unter Strafe gestellt. Nach altem Recht hatten wir noch eine konkrete Gefährdung nachweisen müssen, um zum Beispiel einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr als Straftat verfolgen zu können. Ansonsten war es nur eine Ordnungswidrigkeit.“

Doch die Beweisführung scheint angesichts der Zahlen auch weiter nicht einfach zu sein. ADAC-Verkehrsrechtsanwalt Ronni Krug: „Zentraler Punkt ist es, den Renncharakter nachzuweisen. Das muss meist anhand von Äußerlichkeiten bewertet werden und ist subjektiv. Eine erhebliche Geschwindigkeitsübertretung reicht allein nicht aus.“

Oberstaatsanwalt Frank Baumgarten von der Staatsanwaltschaft in Magdeburg: „Am Ende hängt die Bewertung vom Einzelfall ab.“ So könnten zum Beispiel auch Fluchten vor der Polizei als „illegales Kraftfahrzeugrennen“ eingeordnet werden, wenn diese den Renncharakter erfüllen. Den Anstieg der Zahlen führen die Experten auch auf die verhältnismäßig neue Rechtsnorm zurück, auf die sich Strafverfolger eingespielt haben.