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Straßenverkehr Alleen sind prachtvoll, aber gefährlich

In Sachsen-Anhalt stehen mehr als 850 Kilometer Alleen. Für Autofahrer sind die Baumstraßen ein Sicherheitsrisiko.

Von Susann Gebbert 19.10.2017, 01:01

Magdeburg l Umweltschützer haben am 20. Oktober 2008 den Tag der Allee ausgerufen, um wieder vermehrt die positiven Seiten der Baumstraßen in Erinnerung zu rufen. Verbinden Autofahrer doch oft widrige Bedingungen mit ihr.

Im vergangenen Jahr prallten fast 1000 Autos gegen einen Baum. 23 Menschen starben. „Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Unfall mit Toten oder Schwerverletzten endet, ist bei Baumunfällen, wie wir sie nennen, erheblich“, so ein Sprecher des Verkehrsclubs ADAC.

Schönheit und Gefahr liegen oftmals nah beieinander. In Sachsen-Anhalts Landschaft rahmen dicht an dicht stehende Bäume über 850 Kilometer Straße. Das Land ist für seine vielfältigen Alleen bekannt. Hier kann man lustwandeln zwischen Eichen, Linden, Kastanie, Ahorn, Birken, Kirsch-, Apfel- oder Mirabellen-Baumalleen. Besonders in der Börde und der Altmark gibt es viele Obstbaum-Straßen.

Für den Verkehrsclub ADAC ist die Allee „eine besondere Straße, die besondere Regeln erfordert“ und aus Sicht der Verkehrssicherheit nur Nachteile hat. Die Gefahr, Wild, Fußgänger oder Radfahrer zu übersehen, ist laut dem Club in Alleen wegen der schlechten Lichtverhältnisse besonders groß. Nach Regen bleiben die Straßen außerdem länger feucht, da die Tropfen sich noch Stunden danach ihren Weg durch das Laubdach bahnen und Autos ins Rutschen bringen können. Auch durch Blätter auf der Straße kann ein Fahrer schnell die Kontrolle über sein Fahrzeug verlieren, Stürme könnten Bäume zum Umstürzen bringen. Hell, dunkel, hell: Der ADAC verweist zudem auf die verschiedenen Lichtintensitäten von Alleen beim Rein- und Rausfahren, die ebenfalls ein Risiko bergen. Ebenfalls eine Gefahr sind Stürme. Bäume können umkippen oder Äste abbrechen.

Dabei wurden Alleen ursprünglich mal angelegt, um Verkehrswege zu schützen. Napoleon ließ in ganz Europa Alleen anpflanzen, um seine marschierenden Soldaten vor Sonnenstrahlen zu behüten. UV-Filter 1.0 sozusagen. Außerdem sollten sie Reisende davor bewahren, nass zu werden, oder lästige Windstöße abwehren. Aber da war man ja auch noch mit deutlich weniger Pferdestärken in Postkutschen unterwegs. Heute zählen andere Fragen: In wie vielen Sekunden von null auf hundert? Wie schnell von A nach B? In dieser Hinsicht ist die Allee nicht der beste Freund der Autofahrer.

Aber natürlich hatte sie in ihrem Ursprung noch weitere Funktionen, als komfortable Reisen zu ermöglichen. Planer wollten mit Alleen auch die Landschaften verschönern und an den Früchten der Obstbäume sollten sich die Menschen satt essen können. Und auch heute noch, wo perfekt gezüchtetes Obst im Supermarkt glänzt, haben die buckligen Äpfel vom Straßenrand ihren ganz eigenen Reiz. Es ist das Aroma der alten Sorten, weshalb Autofahrer die Warnblinkanlage einschalten, die Leiter aus dem Kofferraum hieven und die Wäschekörbe mit Äpfeln oder Birnen füllen.

Wer mit Melanie Medau-Heine vom BUND spricht, bekommt den Eindruck, dass Lustwandeln zwischen Laub- und Naschen von Obstbäumen ein gefährdeter Genuss ist. „In Sachsen-Anhalt schwinden langsam viele Kilometer Alleen“, sagt sie. Der Grund: Nach der Wende nahm der Staat seine Straßen unter die Lupe. In der Folge wurden sie verbreitert und Leitungen wurden gelegt, die Wurzeln der Bäume an den Straßenrändern dadurch aber verletzt. Da Bäume robust sind, machen sich die Schäden erst 15 bis 20 Jahre später bemerkbar. „15 Jahre nach dem Mauerfall haben daraufhin die Fällungen aus dem Grund der Verkehrssicherheit zugenommen“, sagt Katharina Brückmann, die beim BUND in Mecklenburg-Vorpommern arbeitet und sich dem Baum- und Alleenschutz verschrieben hat. So wurden die Lücken in den Baumreihen immer größer. In Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt gibt es zusammen 17.000 Kilometer Alleen. Es sind die Länder mit den meisten Baumstraßen in Deutschland.

Weitere Ursachen dafür, dass sich Alleen lichten, sind neue Rad- und Gehwege, Streufahrzeuge, die im Winter Salz auf den Straßen verteilen, das aber die Bäume angreift, fehlerhafte Beschneidungen und Landwirte, die um jeden Zentimeter ihres Ackers kämpfen und deswegen manchmal nicht bereit sind, neue Bäume zu pflanzen.

Überhaupt sind Neupflanzungen nicht so einfach. Zwei Regelwerke, die das Aussehen deutscher Straßenränder festlegen, erschweren den Erhalt von Alleen: Die Empfehlungen zum Schutz vor Unfällen mit Aufprall auf Bäume (EASB 2006) und die Richtlinie für passiven Schutz an Straßen (RPS 2009). Die besagen, dass Ersatzanbäume nur in einem Abstand von 4,50 oder, wenn es keine Leitplanken gibt, 7,60 Metern zum Fahrbahnrand gepflanzt werden dürfen. Die Crux: Dafür muss das Land entlang der Straßen erworben werden. Oftmals würden Ersatzpflanzungen ins Leere laufen.

Den Aspekt der Verkehrssicherheit relativiert Melanie Medau-Heine: „Es ist ja immer noch so, dass der Baum nicht vors Auto springt, sondern der Fahrer den Unfall verursacht, weil er vielleicht zu schnell gefahren ist.“ Die Umweltschützerin schlägt zum Unfallschutz ein Tempolimit von 70 Kilometer pro Stunde auf Baumstraßen vor.

Melanie Medau-Heine, Katharina Brückmann und ihre Kollegen vom BUND wollen Alleen wieder positiv konnotieren, daher der Tag der Alleen, daher die Tour d‘Allee (Fahrradausflüge zu schönen Alleen), daher der jährliche Fotowettbewerb „Allee des Jahres“, daher Alleenpatenschaften, Ausstellungen und andere Aktionen.

Aber welche Vorteile haben denn Alleen eigentlich? Zum einen sind sie hervorragende Sauerstofflieferanten, heißt es von der Umweltschutzorganisation. Am Tag produziert ein ausgewachsener Baum Sauerstoff für zehn Menschen. Außerdem filtern Alleebäume Staub und Abgase aus der Luft und wirken sich so positiv auf das Klima im Straßenraum aus. Na klar, die Bäume schützen auch vor Wind, Sonne und Regen. Wer schon öfter mal Kirschen geklaut hat, weiß auch, dass Alleebäume vielen Tieren wie Vögeln, Käfer, Spinnen, Wildbienen und auch der einen oder anderen Made ein Zuhause geben. Besonders an wenig befahrenen Straßen mit bis zu 100 Jahre alten Bäumen haben sich vielfältige Biotope entwickelt. Hinzu kommt, dass Alleen ein Kulturgut sind und ein Genuss für den, der sich Zeit für ihre Schönheit nimmt.

Auch die Initiatoren der Deutschen Alleenstraße setzen sich für eine positive Wahrnehmung der Baumstraßen ein, wollen einen Beitrag für ihren Schutz leisten. Die 2900 Kilometer lange Ferienstraße führt von der Ost- bis zum Bodensee, verläuft auch durch Staßfurt, Halberstadt und die Huysburg. Der Verein „Arbeitsgemeinschaft Deutsche Alleenstraße“ setzt sich aus dem ADAC, dem Deutschen Tourismusverband und der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald und weiteren Institutionen zusammen.