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Studie Jerichower Land hat die meisten Babys

Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hat die Studie „Vielfalt der Einheit“ vorgestellt. Mit überraschenden Ergebnissen.

Von Michael Bock 11.09.2020, 01:01

Magdeburg/Berlin l Seit der Einheit ist die Bevölkerungszahl in Deutschland um rund 3,4 Millionen Menschen gewachsen – auf rund 83,2 Millionen Ende 2019. Der Anstieg wird vor allem auf die starke Zuwanderung aus dem Ausland zurückgeführt.

Doch Ost und West sind im Wachstum nicht geeint. Während die alten Bundesländer zwischen 1990 und 2019 einen Einwohnerzuwachs von mehr als 5,4 Millionen Menschen verzeichnen konnten, verloren die fünf ostdeutschen Länder im gleichen Zeitraum etwa 2,2 Millionen ihrer einst 14,8 Millionen Einwohner.

In den Ost-Ländern und im Saarland lebten 2019 laut Studie weniger Menschen als 1991. Vom Rückgang am stärksten betroffen sei Sachsen-Anhalt, das fast jeden vierten Einwohner eingebüßt habe. Laut Berlin-Institut schwindet die Hoffnung, dass die demografische Trennlinie zwischen Ost und West künftig verblasst.

Einer aktuellen Prognose zufolge wird die Bevölkerungszahl in allen ostdeutschen Flächenländern bis zum Jahr 2035 im Vergleich zu 2017 weiter abnehmen – am stärksten mit fast 16 Prozent in Sachsen-Anhalt. Kaum besser sind die Aussichten für Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern, wo Verluste von knapp 14 Prozent beziehungsweise elf Prozent prognostiziert werden. Dagegen stehen in Berlin die Zeichen auf Wachstum: 2035 wird mit fast elf Prozent mehr Hauptstädtern gerechnet.

Der Studie zufolge sind Großstädte im Osten inzwischen auf den demografischen Wachstumspfad zurückgekehrt. Leipzig kann bis 2035 sogar bundesweit mit dem größten Bevölkerungszuwachs rechnen. Die mittlerweile größte sächsische Stadt gehört neben Potsdam, Dresden, Erfurt, Jena, Rostock, Halle und Magdeburg laut Studie zu den „wenigen demografischen Leuchttürmen“ in den fünf neuen Ländern. Ungebremst vollziehe sich der Rückgang in der ostdeutsche Peripherie. Zahlreiche Landkreise an den Rändern Brandenburgs, im Norden und Osten Sachsen-Anhalts oder in den entlegenen Landstrichen in Thüringen und Sachsen dürften laut Studie bis 2035 mehr als ein Fünftel ihrer Bevölkerung verlieren.

Auch in den westlichen Ländern kämpfen einige ländliche Regionen (Nordhessen, Südwestpfalz oder Oberfranken) mit sinkenden Einwohnerzahlen, während attraktive Großstädte samt Umland unter starkem Wachstumsdruck ächzen.

Der Osten wird indes wieder kinderreicher. Noch Mitte der 90er Jahre sanken in den neuen Ländern die Kinderzahlen je Frau flächendeckend auf historische Tiefstwerte. In den zurückliegenden Jahren zeigen sich nun in ganz Deutschland wieder steigenden Geburtenziffern. Ost-West-Unterschiede sind laut Studie nicht mehr erkennbar. Das Jerichower Land ist mit 1,94 Kindern je Frau sogar der geburtenstärkste Landkreis in Deutschland.

Unterschiedliche Vorstellungen zu Ehe und Kindern aus der Zeit vor der Wiedervereinigung haben weiter Bestand. Dass vor der Geburt des ersten Kindes geheiratet wird, ist gerade im Süden bis heute für viele eine Selbstverständlichkeit. Im Westen der Republik haben zwei Drittel der Mütter vor der Geburt des ersten Kindes den Gang zum Standesamt angetreten. Im Osten ist es nur etwas mehr als ein Drittel. Und auch später leben in einem Viertel der ostdeutschen Familien die Eltern in „wilder Ehe“. In den westdeutschen Ländern ist das nicht einmal in jeder zehnten Familie der Fall.

Ein Zusammenwachsen der Einstellungen ist der Studie zufolge hier „kaum erkennbar“. Ein Grund dafür könne darin liegen, dass die Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern im Osten sehr viel geringer seien als im Westen. Die steuerrechtlichen Vorteile, die Ehepaare genössen, böten für ostdeutsche Paare keinen Anreiz, zu heiraten.

Die Ostdeutschen haben im Schnitt noch 14 Prozent weniger Einkommen als Westdeutsche. Haushalte zwischen Rügen und Erzgebirge haben laut Studie bis heute die Hälfte dessen angespart, was ein Haushalt zwischen Sylt und Alpenrand zurücklegen konnte. Das eigentliche Gefälle beim Einkommen gebe es aber zwischen wirtschaftlich starken Regionen und solchen, die im harten Strukturwandel stecken. Noch zur Jahrtausendwende lagen die einkommensschwächsten Kreise nur im Osten. Inzwischen haben die Bewohner in den Ruhrgebietsstädten Gelsenkirchen und Duisburg das niedrigste Jahreseinkommen.