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Studieren über 50 Ein Elektriker wird Professor

Mit Ende 50 denken viele schon an die Rente. Der gelernte Elektriker Roland Herbert aus Staßfurt will mit 57 noch Professor werden.

04.05.2017, 23:01

Staßfurt l Roland Herbert ist auf der Durchreise – wieder einmal. Glatt gebügelt hängen seine Hemden im Wagen auf der Auffahrt. In seiner Heimatstadt Staßfurt ist er seit Jahren nur am Wochenende zu Besuch. Auch an diesem Sonntag wird es wieder losgehen. Der 56-jährige gelernte Elektriker arbeitet heute als Dozent im mehr als 500 Kilometer enfernten Saarbrücken. In einem Alter, in dem andere sich auf die Rente vorbereiten, belegt er Online-Seminare und schreibt an seiner Promotion. Demnächst möchte er sogar noch Professor werden. „Für die Rente habe ich gar keine Zeit“, sagt er.

Dabei wirkt Herbert auf den ersten Blick wie jemand, der seinen Platz im Leben längst gefunden hat. Er ist ein freundlicher, kräftiger Mann, der die Tür zu seinem Haus in einem weißen Freizeit-T-Shirt öffnet. Herbert ist verheiratet, seine drei Kinder sind längst erwachsen, er verdient gutes Geld. Dennoch gibt er sich offenbar nicht zufrieden mit dem, was er im Leben erreicht hat. Was aber treibt ihn an? Die Antwort lässt sich in Herberts Jugend finden. Es ist die Geschichte eines Mannes, der einen steinigen Weg gehen musste und den sein Wille dennoch weit geführt hat.

Seine berufliche Odyssee beginnt im Staßfurt der 1970er Jahre. „Unser Vater war im Kupferbergbau, wir waren drei Jungs, da war klar, dass wir erstmal etwas Vernünftiges zu lernen hatten“, erzählt Herbert. Als Elektrikerlehrling musste er mit 16 auf den Gleisen ran. An Abitur und Studium war damals nicht zu denken, sagt er. Die Arbeit war ein Knochenjob. Mit Spitzhacke und Spaten musste Herbert Kabelschächte graben und Lampenschirme an den Bahnsteigen putzen. Die Ausbildung zog er durch, denn aufgeben war nicht seine Sache, sagt er.

Und doch träumte der junge Staßfurter heimlich von etwas ganz anderem: „Ich wollte Leichtathletiktrainer im Leistungssport werden und später vielleicht eine Hochschulkarriere einschlagen“, sagt er.

Schon bald entschied er sich deshalb, nach der Arbeit auch noch die Abendschule zu besuchen. Drei Jahre lang fuhr er morgens um fünf mit dem Zug zur Arbeit und schuftete von 6 bis 16 Uhr. Meist verschwitzt paukte er anschließend bis halb zehn in der Abendschule fürs Abitur. „Das war eine unheimlich anstrengende Zeit“, erinnert sich der Staßfurter.

Der Lohn waren die Hochschulreife und die Aussicht auf einen Studienplatz. Herbert bewarb sich an der renommierten Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig. Dort fiel er bei der ersten Bewerbung im Schwimmen zwar durch. Doch er blieb dran und trainierte monatelang hart. Ein Jahr später wurde er als Fernstudent genommen. In Schönebeck erhielt er beim Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB) parallel den ersehnten Traumjob als Leichtathletik-Trainer. Das machte sich auch finanziell bemerkbar. „Statt der 500 Mark bei der Bahn bekam ich jetzt 1200“, erzählt Herbert.

Es war diese Zeit, die ihn lehrte, dass sich auch extreme Anstrengung lohnen kann. Das hat ihn geprägt: „Ich gebe Ziele nie auf“, sagt Herbert heute. Die entscheidende Wende sollte sein Leben aber erst mit dem Zusammenbruch der DDR nehmen.

Mit der Abwicklung des Leistungssports wurden Trainer wie Roland Herbert überflüssig. Wie viele andere verlor der Staßfurter seinen Job. Als inzwischen diplomierter Sportlehrer ohne Zweitfach standen die Chancen auf eine neue Stelle denkbar schlecht.

„Damals bin ich in ein tiefes Loch gefallen“, sagt Herbert. Der junge Vater von drei Kindern musste sich mit dem Verkauf von Versicherungen und als Lagerarbeiter durchschlagen. Schließlich erhielt er auch dort die Kündigung. „Ich hatte schon den Sozialhilfe-Antrag auf dem Tisch zu liegen und war ziemlich verzweifelt“, erzählt er. An diesem Punkt angekommen, beschloss der Staßfurter: Es muss etwas passieren. Er wagte den Neuanfang. Mit 40 begann er eine Ausbildung zum Physiotherapeuten.

Stellen fand Roland Herbert anschließend genug. Sie alle führten ihn weit von der Heimatstadt Staßfurt fort. Als Therapeut arbeitete er teils in leitender Position in Kliniken in Bayern sowie auf den Nordseeinseln Borkum und Amrum. In all dieser Zeit kam Herbert nie wirklich an. Immer wieder wechselte er nach dem Abschluss eines Projekts den Arbeitgeber. „Als Physiotherapeut musst du ständig dranbleiben, sonst bist du raus“, begründet er das fast entschuldigend. Und außerdem stand ja noch der Traum von der Hochschulkarriere aus. Irgendwann begann Roland Herbert also, nach Dienstschluss erneut zu studieren.

An der Hochschule Magdeburg-Stendal schrieb er sich für ein Bachelor-Studium der Gesundheitswissenschaften ein. Es folgten ein Diplomstudium für Physiotherapeuten und zuletzt ein Masterstudium im Gesundheitsmanagement. Zahllose Abende sollte Herbert für Seminare und Hausarbeiten opfern. Auch diesmal sollte sich die Mühe aber auszahlen. Vor sechs Monaten kam Herbert seinem Traum von einer Hochschulkarriere nun endlich deutlich näher: Nach mehreren Bewerbungen erhielt er eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer noch jungen privaten Hochschule in Saarbrücken. Dort ist er inzwischen für einen ganzen Studiengang zuständig, er gibt Seminare und betreut 110 Studenten.

Am Ziel sieht sich Roland Herbert damit aber noch lange nicht. „Wer Bachelor ausbildet, sollte doch einen breiten theoretischen Hintergrund mitbringen“, findet er. Deshalb arbeitet er derzeit an seiner Promotion zum Thema: „Veränderung des Gangs bei rheumatischen Patienten“.

Wenn alles glattgeht, will er sie zum Jahresende abschließen. „Dann wäre sogar der Weg für eine Professur frei“, sagt Herbert und seine Augen beginnen zu leuchten. Sein Chef habe ihm eine solche Stelle bereits in Aussicht gestellt. Wäre er dann am Ziel? „Ja“, sagt der 56-Jährige. „Bestimmt. Das wäre wohl die Endhaltestelle.“

Blieben bei einer Berufung im Idealfall zehn Jahre, die Herbert noch als Professor arbeiten könnte. Ganz aufhören wird Herbert aber auch danach nicht. „Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen“, sagt er und lacht.

Keine Frage, Roland Herbert hat viel erreicht. Doch welchen Platz hat in solch einem Leben noch das Private? Herbert antwortet mit einer Anekdote: „Meine Frau und ich wir kennen uns seit 25 Jahren“, erzählt er. Vor fünf Jahren hätten beide beschlossen zu heiraten. Die Hochzeit fand romantisch am Strand von Amrum an der Nordsee statt. „Doch direkt nach der Trauung habe ich mich umgezogen und bin zur Arbeit gegangen“, sagt Herbert mit einem schuldbewussten Lächeln. Seine Frau trage ihm das verständlicherweise bis heute nach. Und doch haben die beiden offenbar eine gute Basis gefunden. „Ich komme alle 14 Tage, eine Fernbeziehung gelingt nicht jedem“, sagt Herbert. „Wir aber kommen gut damit klar.“

Überhaupt spielt die Familie eine überragende Rolle für den Staßfurter. Angefangen bei seiner Mutter über die Brüder und seine Frau bis zu den Kindern: „Ohne sie hätte ich all diese Dinge nie geschafft.“ Am Ende muss Roland Herbert dann aber auch schon wieder los. Er will noch zur Hochschule nach Magdeburg in die Campus-Bibliothek.

Sein T-Shirt wird er dafür gegen eines der gebügelten Hemden aus dem Auto tauschen. Schließlich geht es ums Studium.