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Berufsrecht Wenn Ärzte im Drogenrausch sind

Jurist Tobias Brehme von Sachsen-Anhalts Ärztekammer sprach über den Umgang mit Ärzten, die ein Suchtproblem haben.

Von Matthias Fricke 13.02.2019, 00:01

Magdeburg l Es ist ein Tabu-Thema – Ärzte und Drogen. Doch der Prozess gegen einen ehemaligen Harzer Chefarzt, der seit vielen Jahren kokainabhängig gewesen sein soll, bringt einen besonders krassen Fall ans Tageslicht. Tobias Brehme von der Ärztekammer Sachsen-Anhalt im Gespräch über den Umgang mit Medizinern, die ein Suchtproblem haben.

Ihnen ist der Ausgang des Prozesses gegen den ehemaligen Harzer Chefarzt bekannt. Wird ihm nun auch die Approbation entzogen und wenn ja wann?
Tobias Brehme: Das kann ich nicht sagen. Die zuständige Approbationsbehörde ist das Landesverwaltungsamt. Wir überwachen zwar das Berufsrecht, erteilen oder entziehen kann die Zulassung eines Arztes aber nur das besagte Amt.

Die Behörde hat die Prüfung eines Zulassungs-Entzuges ja schon öffentlich angekündigt und wartet nur auf das schriftliche Urteil. Aber wie geht es danach weiter?
Wenn einem Arzt die Approbation, also die Zulassung entzogen wird, dann endet ohnehin unsere Zuständigkeit. Er arbeitet dann ja nicht mehr als Mediziner. Sollte die Zulassung nicht entzogen werden und wir erhalten eine Information über den Fall vom Gericht, prüfen wir einen sogenannten berufsrechtlichen Überhang. Dann müssen wir sehen, wie es weitergeht. Hier vermute ich aber, dass die Approbation entzogen werden wird.

Könnte sich der Mediziner nach dem Verlust der Zulassung in anderen Ländern problemlos bewerben? Im Prozess hieß es, dass er eventuell nach Istanbul oder Kuwait gehen wolle ...
Wenn wir wissen, dass die Approbation entzogen worden ist, gibt es ein einheitliches Meldeverfahren. Das gilt zumindest für die Behörden der europäischen Länder. Für Tätigkeiten außerhalb der EU prüfen die Länder ebenfalls die Voraussetzung zur Ausübung des Gesundheitsberufes. Hierzu zählt die Vorlage einer Approbation oder Berufserlaubnis und in der Regel wird eine sogenannte Unbedenklichkeitsbescheinigung („Certificate of Good Standing“) verlangt. Dies müsste ein Arzt aus Sachsen-Anhalt beim Landesverwaltungsamt beantragen, um in anderen Nicht-EU-Ländern zu arbeiten. Die Bescheinigung ist ein Nachweis über die Berechtigung zur uneingeschränkten Ausübung des ärztlichen Berufes. Da sie auch bestätigt, dass keine berufs- und disziplinarrechtlichen Maßnahmen getroffen oder eingeleitet worden sind, arbeiten wir bei entsprechenden Anfragen der Approbationsbehörde zu.

Eine unbeantwortete Frage im Prozess gegen den Arzt war auch, warum seine Sucht solange unentdeckt blieb, obwohl er schon eine Therapie hinter sich hatte und eine der Kliniken, in der er arbeitete, informiert war?
Liegt ein Suchtverhalten vor und wird es als solches auch erkannt, gehen wir der Sache natürlich nach. Dafür gibt es schließlich die Sicherheitsmechanismen. In dem konkreten Fall von Dr. N. lag tatsächlich eine Information über Auffälligkeiten aus einem anderen Bundesland vor. Die Informationen werden zwischen Ärztekammern und Approbationsbehörden ausgetauscht. Sobald allerdings eine Therapie und eine entsprechende Prüfung der Geeignetheit abgeschlossen sind, fehlen uns die Grundlagen für eine erneute Überprüfung.

Was heißt das konkret?
Das heißt, uns war ein Vorgang aus der Vergangenheit bekannt. Dieser wurde auch trotz Wechsel der Zuständigkeiten von den jeweiligen Behörden geprüft. Zum Zeitpunkt des Wechsels in unsere Zuständigkeit waren die Prüfungen jedoch bereits abgeschlossen. Wenn es, wie in diesem Fall, ein Untersuchungsergebnis gibt, das kein Suchtverhalten festgestellt hat, dann kann nicht ohne erneuten Anlass nochmals geprüft werden. Dies gilt auch für das Landesverwaltungsamt und damit für die Frage eines Approbationsentzugs.

Dr. Andreas N. trat als Arzt auch als Gutachter in Gerichten bei Zivilprozessen auf, einige Verfahren laufen noch immer. Muss er jetzt mit Handschellen vorgeführt werden?
Wenn er vor dem Verfahren Gutachten erstellt hat, wird sich nun die Frage nach Zweifel an seiner fachlichen Einschätzung stellen. Das Gericht wird über die Brauchbarkeit des Gutachtens entscheiden. Aber in Handschellen wird er sicher nicht vorgeführt. Eher wird im Zweifel der Gutachter entpflichtet und ausgetauscht. Schon bei Bekanntwerden der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen sind wir als Ärztekammer an die Gerichte herangetreten, in denen uns seine Tätigkeit als Sachverständiger bekannt war. Dabei haben wir informiert, dass uns Erkenntnisse vorliegen, die Zweifel an der Eignung des Arztes als Sachverständiger begründen.

Was passiert in anderen Fällen, bei dem ein Verdacht auf Drogen und Alkoholmissbrauch besteht? Welche Sanktionsmöglichkeiten gibt es?
Wenn uns ein Verdacht vorliegt, ist schnelles Handeln und Helfen im Vordergrund unseres Suchtprogramms. So gibt es zunächst ein erstes Gespräch in den Geschäftsstellen Halle, Dessau oder Magdeburg. Sobald der Verdacht sich erhärtet, folgt eine Untersuchung beim Suchtmediziner, mit der Pflicht zur Vorlage der Ergebnisse innerhalb von 14 Tagen. Bestätigt sich der Verdacht, werden auch berufsrechtliche Konsequenzen dem Arzt erörtert. Zudem wird die Approbationsbehörde und bei Bedarf die Kassenärztliche Vereinigung (KVSA) informiert. Es startet ein etwa ein Jahr andauerndes Programm. In den Verfahren wird dem Betroffenen zudem eine Vertrauensperson zur Seite gestellt, die fachärztlich beraten kann. Um Gefahren von Patienten abzuwenden, wird zudem ein vorübergehendes Aussetzen der ärztlichen Tätigkeit geprüft. Über eine Behandlung und den Abschluss der Behandlung werden wir ständig in Kenntnis gesetzt. Nach der Therapie schließt sich regelmäßig eine mindestens einjährige Nachsorgebehandlung an, ebenfalls mit Nachweispflicht. Ein Facharzt entscheidet abschließend darüber, ob und wann weitere Maßnahmen erfolgen sollen oder diese als abgeschlossen anzusehen sind. Bei Verstößen, wie der Nichteinhaltung von Nachweispflichten, wird die Approbationsbehörde und gegebenenfalls die KVSA informiert.

Wie viele solcher Verdachtsfälle gibt es?
Im vergangenen Jahr waren es elf.

Wie oft musste die Approbation wegen solcher Vorfälle schon entzogen werden oder ruhen?
Eine genaue Zahl kann ich dazu nicht nennen. Es ist aber extrem selten.

Gibt es denn eine Statistik darüber, wie viele Verdachtsfälle auf Drogen- oder Alkoholmissbrauch es gibt?
Nein, die gibt es nicht. Es gibt zwar immer mal Erhebungen, die aber sehr unterschiedlich ausfallen. Das ist wie in anderen Berufsgruppen auch. Eine steigende oder fallende Tendenz konnten wir bisher nicht erkennen.

Welche Suchtprobleme treten am häufigsten auf. Mehr Alkohol oder Drogen?
Wenn ich mir unsere Fälle ansehe, steht bei den Süchten Alkohol im Vordergrund.

Sind die betroffenen Mediziner eher aus Kliniken oder niedergelassene Ärzte?
Ich würde sagen, dass es da keinen Ausschlag in die eine oder andere Richtung gibt.

Kommen die Hinweise eher von Patienten oder Kollegen?
Die meisten Hinweise kommen eher von Kollegen, also allen medizinischen Mitarbeitern. Seltener auch von Patienten. Viele Hinweise erhalten wir eben auch von Gerichten, zum Beispiel nach einer Trunkenheitsfahrt. Wenn ein Arzt bei einer Kontrolle oder einem Unfall mit Alkohol am Steuer im Rahmen eines Strafverfahrens auffällt, erfahren wir das automatisch. Diese Meldungen sehen wir uns näher an. Ab 1,5 Promille Blutalkoholwert zum Beispiel gehen wir grundsätzlich von einem akuten Suchtproblem aus. Da diskutieren wir auch nicht.

Sie bekommen die Hinweise automatisch?
Ja, da gibt es eine Mitteilung in Strafsachen. Diese sind klar und verbindlich für die Justizverwaltung geregelt.

Gibt es nach dem Abschluss der Sucht-Programme viele Rückfälle?
Nach unserer Erfahrung ist das Suchtprogramm sehr sinnvoll und wir haben da auch wenig Rückfälle.

Ist die Teilnahme am Sucht-Programm eigentlich freiwillig?
Ja, allerdings können die Mediziner bei einer Ablehnung auch nicht so einfach die Verdachtsmomente ausräumen, wenn sie sich nicht untersuchen lassen. Das müssen wir dann dem Landesverwaltungsamt entsprechend mitteilen. Von dort aus können dann auch Gutachten angeordnet werden. Da ist der Druck da, auch mit uns zusammenzuarbeiten und die vorgegebenen Fristen einzuhalten.

Zum Beispiel, um mit Haarproben auf Drogenkonsum zu testen?
Ja. Man kann so grob sagen, dass in einem Zentimeter Haar ein Monat nachgewiesen werden kann. Wenn wir die Fristen nicht hätten, könnte man alles so weit herauszögern und mit kurzen Haaren erscheinen.

Wie viele Fälle landen eigentlich vor dem Berufsgericht?
Im Zusammenhang mit Drogen und Alkohol kaum. Das wäre in solchen Verfahren auch viel zu langwierig. Es muss schnell in solchen Fällen gehandelt werden, entweder mit Hilfsangeboten oder dem Erkennen eines größeren Problems, so dass die Approbation entzogen werden muss. So etwas erledigt das Landesverwaltungsamt selbst.

Welche Angebote gibt es, wenn Mediziner selbst Hilfe suchen?
Ärzte können sich an die Vertrauenspersonen oder die jeweiligen Geschäftsstellen in Magdeburg, Dessau und Halle und deren Vorsitzenden als ärztliche Kollegen wenden. Wir vermitteln auch an entsprechende Selbsthilfegruppen oder andere Einrichtungen.