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Tag der Arbeit Es geht nur auf die mühsame Tour

Warum der Sozialstaat immer Arbeit macht: Ein Gastbeitrag vom Chef der Arbeitsagenturen in Sachsen-Anhalt zum Tag der Arbeit.

Von Kay Senius* 01.05.2019, 00:00

Magdeburg l Die aktuelle Diskussion, ob die Möglichkeit eines frühzeitigen Rentenbeginns mit 63 den Fachkräftemangel verschärft, hat ein weiteres Mal vor Augen geführt, dass man sich bei komplexen Themen wie Arbeitsmarkt und Sozialstaat vor einfachen und einseitigen Antworten hüten sollte.

Oft gibt es nicht die eine, alles umfassende und durchgreifende Lösung oder gar einen Schuldigen. Auch ich hatte mich zur Rentendiskussion geäußert und zwar mit einem Sowohl-als-auch-Argument: Menschen, die von einem langen Arbeitsleben ermüdet sind, sollten in Rente gehen dürfen. Und ja: der Fachkräftemangel ist ein drängendes Problem. Lösungsräume finden sich in der Zuwanderung und in der Familienpolitik, indem beispielsweise Frauen, insbesondere Alleinerziehenden, mehr und höherwertige Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnet werden. Sowohl-als-auch-Argumente werden nicht so gerne gehört, sie sind anstrengender als markige Ja-Nein-Aussagen und nerven zuweilen auch.

Dennoch – komplexe Themen brauchen vielseitige Betrachtungen und Lösungen und führen meist zu neuen Fragen und Problemen.

Nehmen wir den Klimawandel und die notwendige Energiewende. Bei der Braunkohle und Autoproduktion anzusetzen, sind ganz bestimmt zwei von vielen richtigen Hebeln. Aber – nicht ohne die zahlreichen Menschen mitzudenken, die heute in den Bereichen gute und wichtige Arbeit leisten.

Oder nehmen wir den rasant wachsenden Onlinehandel. Dürfen unsere Bequemlichkeit und der Wunsch nach Schnelligkeit ohne Ansehen von Arbeitsbedingungen und Vergütung der Paketzusteller ausgelebt werden? Oder welche Veränderungen sind notwendig, um den Wert von Pflegearbeit zu erhöhen und diese Berufe für den Nachwuchs attraktiv zu machen?

An dem Tag, an dem wir die Arbeit feiern, gilt es, auch den Sozialstaat zu feiern mit all seinen Baustellen. Und ja, in unserer sich massiv verändernden Arbeitswelt gibt es reichlich Verbesserungsbedarf. Es ist mühsam, nach Wegen zu suchen, und es braucht Langmut und einen kühlen Kopf, sie zu gehen. Die Einführung des sozialen Arbeitsmarktes für Langzeitarbeitslose ist so ein Beispiel. Es war ein zähes Ringen in einer kontrovers geführten Diskussion, bis die Beratung durch Fachleute auf politischer Ebene Wirkung zeigte und das Gesetz zum 1. Januar 2019 endlich in Kraft getreten ist. Die gute Wirkung, die es entfaltet, wird allmählich sichtbar. Mit ihm werden in den kommenden Monaten hoffentlich viele Menschen erleben, was es heißt, gebraucht zu werden und wieder einer sinnstiftenden Arbeit nachzugehen. Menschen, die trotz der konjunkturell stabilen Lage auf dem Arbeitsmarkt jetzt dauerhaft arbeitslos sind, tragen häufig schwer an den Ursachen hierfür. Geringe Qualifikation, Sprachdefizite, Suchtprobleme oder psychische Erkrankungen. Häufig brauchen sie aber nicht nur die die Arbeitsstelle, sondern auch weiterhin Unterstützung und Begleitung.

Unser Sozialstaat kann und muss den Anspruch haben, der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit von Menschen Rechnung zu tragen. Neiddebatten, Fingerzeige und Schuldzuweisungen helfen hier nicht weiter. Im Gegenteil, sie sind Gift für den Zusammenhalt der Gesellschaft.

*Kay Senius ist Chef der Arbeitsagenturen in Sachsen-Anhalt.