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Tagebau Was kommt, wenn die Kohle geht?

Die Zeit der Kohlebagger in Sachsen-Anhalt läuft ab. Die Ungewissheit aber bleibt - auch für die Bewohner der kleinen Stadt Zeitz.

12.04.2019, 09:35

Zeitz (dpa) l Die Narben sind auch Jahrzehnte später noch zu sehen. Leerstehende Häuser, verlassene Fabrikgebäude und Brachflächen gehören heute zum Stadtbild von Zeitz. Die kleine sachsen-anhaltische Industriestadt im Mitteldeutschen Braunkohlerevier hat mit dem Fall der Mauer schon einmal eine Wende erlebt. Mit dem geplanten Kohleausstieg stehen die Menschen nun erneut vor tiefgreifenden Veränderungen.

"Keiner weiß so richtig, wie und was das alles werden soll", erzählt etwa ein Mann in der Innenstadt von Zeitz. Der Mittfünfziger schlendert durch die Einkaufsstraße. Auch hier gibt es Leerstand, aber auch Kunst in Schaufenstern und neue Läden. Es sind kleine Anzeichen dafür, dass der Wandel nach einer gewissen Zeit auch Positives mit sich bringen kann.

Genau diese Zeit aber ist es, die für viele in der Region zur schwer erträglichen Geduldsprobe wird. "Es wird viel geredet. Aber dieser Schwebezustand ist das Schlimmste dabei", erklärt eine 46 Jahre alte Ingenieurin, die ihren Namen nicht öffentlich lesen möchte. 1990 habe sie sich für die Region entschieden und sei nicht weggegangen wie viele andere. "Vielleicht passiert wirklich was Gutes für uns, gibt es neue Chancen", sagt sie während sie am Bahnhof von Zeitz auf ihren Zug nach Leipzig wartet.

Ein kürzlich beschlossenes Sofortprogramm von Bund und Ländern soll den Schwebezustand fürs Erste etwas lindern. In gut 100 Projekte in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen sollen dabei 260 Millionen Euro investiert werden. Allein Sachsen-Anhalt hat 18 Projekte angemeldet.

Das Land will unter anderem zwei Testgebiete für den neuen Mobilfunkstandard 5G oder ein Netz von Elektroladesäulen in Halle aufbauen. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) überschlug sich bei der Bekanntgabe des Programms fast vor Freude: "Es ist alles zusätzliches Geld, seien wir dankbar, dass uns dieses kleine Wunder im 30. Jahr des Mauerfalls widerfahren ist."

In weniger als 20 Jahren soll in Deutschland mit dem Abbau und der Verstromung heimischer Braunkohle Schluss sein. Noch hängen aber in der Lausitz, im Mitteldeutschen und auch im Rheinischen Revier Tausende Jobs an der Kohle. "Alle Industriearbeitsplätze, die heute da sind, beruhen auch auf der Braunkohle als Energieträger", sagt der Zeitzer Oberbürgermeister Christian Thieme (CDU).

Ein zentraler Akteur dieser alten Industrie ist der Braunkohleförderer Mibrag. Im Dreieck der Länder Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen gelegen, hat das Unternehmen in Zeitz seinen Sitz und ist dort größter Arbeitgeber. Direkt vor der Haustür liegen die Tagebaue Profen und Vereinigtes Schleenhain. Rund 2600 Arbeitsplätze seien direkt, 7000 indirekt mit der Mibrag verbunden, erklärt der Sprecher der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft (Mibrag/Zeitz), Maik Simon.

Was aber geschieht mit Tausenden Menschen, wenn deren Arbeitsplätze verschwinden? Diese Frage stellte sich in Zeitz vor 30 Jahren schon einmal. Nach dem Mauerfall habe die Stadt mit dem gravierenden Strukturwandel in der ostdeutschen Wirtschaft rund 20.000 Arbeitsplätze verloren – und fast die gleiche Zahl an Einwohnern, sagt Oberbürgermeister Thieme.

"Die Narben sieht man im Stadtbild an fast jeder Ecke. Das wollen wir so nicht noch einmal haben", betont er. "Wir sind beim Thema Arbeitsplätze auf die Unterstützung von Bund und Land angewiesen, weil eine aktive Ansiedlungspolitik die Möglichkeiten der Stadt überschreitet." Die Sorge um die Zukunft sei besonders bei jungen Kollegen groß, berichtet auch Mibrag-Betriebschef Volker Jahr.

Anders als in Zeitz war in einigen Orten mit dem Ende der DDR auch die Braunkohle Geschichte. Im benachbarten Geiseltal bei Merseburg etwa, oder in Bitterfeld und der Mansfelder Kupferbergbauregion. Dort entstanden nach 1990 aus Braunkohletagebauen Seen- und Freizeitlandschaften. Tausende Menschen wurden arbeitslos, gingen weg oder in Rente.

Seine Zuversicht will sich Oberbürgermeister Thieme dennoch nicht nehmen lassen. "Wir haben hier viel vor", sagt er und hofft auf junge Leute und Menschen aus der Kreativwirtschaft. Zeitz sei auch als Modell- und Zukunftsregion mit modernster Infrastruktur im Gespräch – zumal es in der Nähe Forschungsinstitute und Universitäten gebe.

Außerdem profitiere Zeitz davon, dass in Zentren wie Leipzig der Wohnraum teurer werde. "Im Vergleich zu anderen Städten haben wir ein Luxusproblem. Wir haben Platz. Noch!", sagt er und blickt auf das frühere Fabrikgebäude des Kinderwagenherstellers Zekiwa. "Hier entstehen Lofts." Seit 2016 ist Thieme Oberbürgermeister der Stadt an der Weißen Elster, in der heute rund 28.400 Menschen leben. Noch.