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Tango Argentinische Tanzleidenschaft in Magdeburg

Thomas und Ilona Brandt vom Verein "Tango Argentino Magdeburg" bringen argentinische Tanzleidenschaft an Sommerabenden an die Elbe.

Von Manuela Bock 23.09.2018, 01:01

Magdeburg l Ein lauer Spätsommerabend in Magdeburgs Innenstadt. Die Luft im Biergarten neben der Staatskanzlei durchzieht eine Musik, die an alte Filme erinnert. Ein bisschen Kuba, ein paar exotische Rhythmen. Der Verein „Tango Argentino Magdeburg“ bittet seine Mitglieder aufs Parkett. Das besteht aus ausgelegtem Laminat, die Musik kommt aus einer Box. Aber die Paare tanzen leidenschaftlich. Tango – das erkennt jeder Laie. Was nicht jeder sieht: Sie geben sich dem „Tango Argentino“, der Ursprungsform des Tangos, hin. Mit geschmeidigen Bewegungen, teils mit geschlossenen Augen, bewegen sich die Paare, als wäre der Biergarten ein großer Festsaal in Buenos Aires, von wo aus sich der Tango einst in die Welt verbreitet hat.

Eine Woche später. Wieder ein Dienstag, wieder ein milder Abend. Auf dem „Elbbalkon“, einer Fläche auf der Magdeburger Fluss-Promenade mit gläsernem Untergrund, wird Tango getanzt. Wieder diese schöne, nostalgische Musik. Und wieder diese Hingabe. Jogger laufen vorbei. Fahrradfahrer halten an. Einer ruft: „Oh, ist das schön!“ Während das Tageslicht langsam versickert, gleiten die Tanzenden über den Glasboden, zelebrieren Sinnlichkeit und Leidenschaft. „Das ist ein fantastisches Parkett für uns“, schwärmt eine von ihnen. „So fest und glatt und dann noch mit dieser Kulisse.“ Die Musik spielt wieder und die Paare treten auf den Tanzboden. Steffi Pretz im roten Kleid sagt: „Tango ist eine Leidenschaft, wenn man sie einmal in sich hat, wird man sie nie wieder los.“ Und schon tritt ein Tänzer an sie heran. Beide nicken. Der Beginn eines neuen Tanzes.

Die Jogger laufen, die Radler radeln, die Lichter an der Brücke gehen an. Der Dom ist der große Hintergrund. Es ist fast unmöglich, kein Lächeln im Gesicht zu haben. Weil hier etwas passiert, was anders ist und sich positiv anfühlt.

Aber was genau passiert an solchen Abenden? Und warum? Thomas Brandt mit langen, weißen Haaren und buntem Hemd hat einfache Antworten auf solche Fragen. „Wir tanzen Tango und möchten es zeigen“, sagt er. Der 67-Jährige und seine Frau gehören seit 2005 zu den Gründungsmitgliedern des Vereins „Tango Argentino Magdeburg“, in dem heute 40 Mitglieder zwischen 22 und 70 Jahren aktiv sind. Sie schreiben sich auf die Fahne, den „Tango Argentino“ zu fördern und zu etablieren. Sie wollen den Menschen zeigen, warum der südamerikanische Tango seit 2009 zum Weltkulturerbe gehört, warum der irische Dramatiker George Bernhard Shaw ihn als „vertikalen Ausdruck eines horizontalen Verlangens“ beschrieben hat.

Die Tangogeschichte von Thomas Brandt und seiner Frau Ilona ist lang, beginnt vor mehr als 15 Jahren. „Getanzt haben wir immer schon“, sagt der Magdeburger. „Bei einem Workshop haben wir den Tango Argentino kennengelernt und waren ihm sofort verfallen.“

Aus allen Standardtänzen, aus allen Weiterentwicklungen des Tangos, sticht er für sie heraus. Die Faszination liegt für beide darin, so der leidenschaftliche Tänzer, „dass es beim Argentino keinen falschen Schritt gibt, immer nur den nächsten“. Inspiriert durch die Musik werde jeder „Tango Argentino“ im Moment des Tanzes neu geschaffen. Seine ersten Schritte erlernt er bei Tangolehrenden unter anderem in Italien und Buenos Aires. Dass es die Körperachse gibt, mit der die Paare tanzen und die bei der Führung kontrolliert werden muss, wie ein Schritt entsteht und ausgeführt wird, vermitteln sie und andere Lehrende in Magdeburg und weiteren Orten Sachsen-Anhalts. Natürlich gebe es Grundlagen, so der Tangolehrer, der selbst häufig bei Weiterbildungen unterwegs ist. „Im Grunde gibt es nur Basis-Elemente wie Vorschritt, Rückschritt, Seitschritt, Stopp und Drehung. Daraus setzen sich alle weiteren Sequenzen zusammen. Was den Tango Argentino wirklich ausmacht, muss man sich selbst erarbeiten.“ Ilona Brandt formuliert es so: „Es ist wie Schach spielen, man muss immer zwei Schritte vorausdenken. Wer geführt wird, muss es zulassen, sich gleichfalls fallen lassen und darauf eingehen. Kein Tanz gleicht dem anderen. Es muss die Tanzenden durchströmen.“

Und es strömt. Das ist auf der Terrasse zu sehen und auf dem Elbbalkon. Anwälte, Studenten, Physiotherapeuten, Lehrer, Arbeiter, Rentner bewegen sich in den Kursen und den Tango-Treffs. Oder sie kommen zum Open-Air-Tanzen, wenn Sommer ist. Manche wechseln die Schuhe, plaudern, dann folgt ein kurzes Nicken. Das Einverständnis zum gemeinsamen Fallenlassen, das Tanzen mit argentinischem Flair.

Eine, die sich hier hingibt, ist Caroline Jüling, die Studentin, die „immer schon getanzt hat, Jazzdance und Hiphop, was man eben so macht“. Als sie mit einer Freundin einen Fernsehbeitrag sieht, suchen beide in der Region nach der „Herausforderung Tango“. „Wir wollten etwas Außergewöhnliches machen“, erinnert sie sich. Beide sind heute leidenschaftlich dabei. „Das hier ist für mich etwas Anspruchsvolles und Entspannung zugleich“, sagt Caroline Jüling.

So ähnlich beschreibt es auch Andrea Bonka. Im „richtigen Leben“ unterrichtet die 50-Jährige in der Waldorfschule. Den Tanzkurs, den sie mit ihrem damaligen Partner macht, mag sie nicht. Zu banal, zu eingeschliffen ist ihr dort alles. Auf dem Videoportal „Youtube“ sieht sie Filme vom Tangotanzen und erkennt für sich, „eine andere Form der Kommunikation.“ „Die Kunst ist, ganz bei sich zu sein“, sagt sie. Und auch Nähe gehört zur Kunst des Tangotanzes. „Wer sich nicht traut, mit fremden Menschen auf Tuchfühlung zu gehen, ist bei uns falsch“, sagt Thomas Brandt. „Auch, wenn man die Möglichkeit hat, offen zu tanzen – die intensive Berührung der Anderen ist immer gegeben.

Andrea Bonka lächelt, als sie das hört und meint: „Am Anfang war ich, entgegen meiner Natur, ein bisschen schüchtern, schließlich umarmt man fremde Männer, aber ich habe gelernt, es zuzulassen, mich fallenzulassen.“ Sie sagt es und geht wieder aufs Parkett. Der Abend will genutzt werden. Thomas Brandt schaut auf die Paare und sagt: „Um das zu tun, muss man seine Persönlichkeit weiterentwickeln.“

Selbstfindung durch Tango liegt Trend. Die Workshops und Kurse in Magdeburg und Umgebung sind gut besucht, Stunden, die Ilona und Thomas Brandt unter anderem in der Magdeburger Uni und der Hochschule geben, sind ausgebucht. Die Tickets für das „Magdeburger und Schönebecker Tango-Weekend“ Anfang September waren begehrt. Auch andernorts treffen sich Tango-Begeisterte in Sachsen-Anhalt, um die Tango-Traditionen zu pflegen, zum Beispiel in Stendal.

Alle, die „Tango Argentino“ tanzen, pflegen dabei auch ein Vokabular. Getanzt wird auf einer „Milonga“ – das ist die Bezeichnung für den Tango-Treff. Wer sich zu einer „Tanda“ – einer Abfolge von drei bis vier Musikstücken – zum Paar findet, tanzt bis zur nächsten „Cortina“ zusammen – der „Pause“ zwischen den „Tandas“, bei der sich anschließend wieder neue Paare finden. Wer führt, ist nicht vorgegeben, auch wenn es meist der Mann ist. Ilona Brandt gehört zu den „führenden“ Frauen. „Darum unterrichte ich auch gern Frauen, die die führende Rolle erlernen“, sagt die Magdeburgerin. Sie und ihr Mann erklären „Tangolernenden“ neben anderen Aspekten wie „Frauen- und Männertechnik“, „Achtsamkeit und Harmonie im Paar“ funktionieren. „Tango tanzende Paare haben damit auch immer eine Form, sich auszutauschen, nicht umsonst spricht man oft von einer Art Therapie.“