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Tarifverträge Pflegefirmen fürchten Lohndiktat

Nach dem Abgang aus der ersten Reihe der Politik ist Ex-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) nicht in der Versenkung verschwunden.

Von Steffen Honig 11.04.2019, 01:01

Magdeburg l "Was bisher auf dem freien Markt nicht umsetzbar war, muss der Gesetzgeber in die Hand nehmen", hatte kürzlich Andreas Westerfellhaus, Pflegebeauftragter der Bundesregierung, erklärt. Gemeint war damit die von der Regierung angestrebten Tarifverträge für alle Beschäftigten im Pflegebereich – egal, bei welchem Träger tätig.

Ein brisantes Unterfangen. Der Privatsektor der Branche will das auf keinen Fall so hinnehmen, wie Rainer Brüderle klarmacht. Der Liberale trägt seit geraumer Zeit einen ellenlangen Titel: Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), der bundesweit mehr als 10.000 Unternehmen vertritt. Der Verband sei vor vier Jahren auf ihn zugekommen, so der 73-Jährige am Rande einer Verbandstreffens in Magdeburg schmunzelnd: „Sie suchten jemanden mit Kontakten zur Politik. Fachlich sind sie viel besser als ich.“

Gegen Tariflöhne habe man ja nichts, plaudert Brüderle in leutseligem Ton wie bei einem Glas Pfälzer Wein. Dann folgt umgehend Klartext: Die Verträge könnten nur gemäß der geltenden Tarifautonomie von Arbeitgebern und Gewerkschaften ausgehandelt werden. Der Staat habe sich da rauszuhalten. Das sei bei nur zwei bis drei Prozent Verdi-Mitgliedern in den Verbandsbetrieben natürlich schwierig, räumt Brüderle ein. Die Bundesregierung aber wolle mögliche Abmachungen für einen kleinen Teil der Branche anschließend zu allgemeinverbindlichen Tarifverträgen machen: „Das wäre eine Zwangsmaßnahme“, faucht Brüderle.

Sein Verband halte die „Arbeitnehmerentsenderichtlinie“ für geeigneter, angemessene Bezahlung im Pflegebereich zu gewährleisten. Die Mitgliedsunternehmen zahlten jetzt schon Mindestlöhne, die 25 Prozent über dem Durchschnitt der anderen Wirtschaftszweige lägen – Merkmal für einen „Nachfragemarkt“.

Die im Verband organisierten Betriebe sind zu 80 Prozent mittelständische Unternehmen. Eines von 400 in Sachsen-Anhalt, die dazugehören, leitet Sabine Kösling in Aschersleben. Ein Pflegedienst, ein kleines Altenheim und eine Tagespflege mit insgesamt 70 Mitarbeitern firmieren gemeinsam unter dem Markenzeichen „Vital“.

Kösling, bpa-Vorsitzende in Sachsen-Anhalt, bekräftigt bei der Bezahlung die Position des Verbandspräsidenten: „Wir wehren uns gegen allgemeinverbindliche Verträge, die uns die Bundesregierung aufdrücken will.“

Die Aschersleber Unternehmerin und ihre Kollegen beschäftigt zudem die Umsetzung des neuen Pflegeberufegesetzes. Das schreibt eine einheitliche Ausbildung künftiger Kranken- und Altenpfleger in den ersten beiden Jahren vor, einschließlich der gleichen Vergütung der Azubis. Vorgeschrieben sind auch weit mehr Praktika als bisher – in den verschiedenen Bereichen von der Pflege bis zum Krankenhaus.

Die Berufsreform bringe neben einer attraktiveren Ausbildung allerdings einen beträchtlichen Mehraufwand mit sich, konstatiert Kösling: „Wir müssen alles unter einen Hut bringen – für jeden Azubi und jede Einrichtung.“