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Telemedizin Ärzte sehen Videosprechstunde kritisch

Im Mai hat der Ärztetag das Fernbehandlungsverbot gekippt. Eine ausschließliche Behandlung per Videosprechstunde ist künftig möglich.

Von Janette Beck 02.11.2018, 00:01

Magdeburg l Die neue Möglichkeit einer Fernbehandlung löst bei Sachsen-Anhalts Ärzten keine Euphoriewelle aus. Im Gegenteil, die Skepsis ist groß, ob durch Telemedizin und Videosprechstunden die Probleme von langen Wartezeiten, überfüllten Wartezimmern und medizinischer Unterversorgung in ländlichen Regionen gelöst werden.

Dr. Jens-Olaf Naumann, Allgemeinmediziner mit einer Niederlassung in Magdeburg, ist skeptisch. Der Lehrarzt an der Uni Magdeburg stehe einer Digitalisierung auch im Gesundheitswesen zwar offen gegenüber, dennoch gelte für ihn und seine Studenten der Grundsatz: „Für eine umfassende Anamnese ist der persönliche Kontakt zum Patienten unabdingbar.“ Die Möglichkeit der Fernbehandlung ohne direkten Kontakt sei der falsche Weg: „Eine mir völlig unbekannte Person per Videokonferenz zu behandeln, das geht nicht. Bei mir steht die körperliche Untersuchung im Vordergrund, dazu muss der Patient persönlich anwesend sein und ich alle meine Sinne bei der Untersuchung nutzen können.“

Zudem schätzt Naumann auch die Haftungsrisiken für den Arzt als hoch ein – „ganz zu schweigen von den rechtlichen Aspekten in Bezug auf Datenschutz, EDV-Sicherheit und Schweigepflicht. Die herkömmlichen Kanäle wie Whatsapp oder Skype, die sind doch überhaupt nicht sicher.“

Auch Ärztepräsidentin Simone Heinemann-Meerz hat Bedenken: „Ich glaube, die Erleichterung ist marginal“, sagte Heinemann-Meerz der Deutschen Presse-Agentur. Dadurch würde keine nennenswerte Zahl an Terminen in den Praxen wegfallen, und mehr Ärzte gebe es auch nicht. Am Sonnabend will die sachsen-anhaltische Kammerversammlung darüber entscheiden, ob sie die ausschließliche Fernbehandlung per Telefon-, Video- und Onlinesprechstunden unter bestimmten Umständen erlaubt. Bisher durfte eine Fernbehandlung nur unter der Bedingung erfolgen, dass Arzt und Patient sich kennen und mindestens einmal persönlichen Kontakt hatten.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) befürwortet die Lockerung der Bestimmungen: „Patienten werden unnötige Wege und Wartezeiten erspart. Und Ärzte können die digitale Welt aktiv gestalten, anstatt dass es andere tun.“ Die Ärztepräsidentin erwartet indes eine kontroverse Diskussion unter ihren Kollegen. Es werde Mediziner geben, die meinten, Arzt und Patient müssen sich immer persönlich begegnen. Für sie gehöre es zur Sorgfalt, den Kranken zu sehen, anzufassen und zu untersuchen. Das sei sicher auch in den meisten Fällen so. Im Einzelfall könne eine reine Fernbehandlung aber sinnvoll sein.

Auch jetzt ist eine telefonische Beratung schon möglich – wenn der Arzt den Patienten kenne. Wenn jemand mit Husten, Schnupfen und Heiserkeit anrufe, könne der Arzt ihm raten, zu Hause zu bleiben und sich bei einer Verschlechterung in der Praxis vorzustellen. „Wenn ich den Patienten gar nicht kenne, ist es schwierig“, sagte Heinemann-Meerz. Hürden sieht die Kardiologin auch bei der Organisation in der Praxis. Während der Sprechstunde mal kurz eine Frage zu einem Medikament zu beantworten, sei möglich. Zeit für eine umfassende Fernbehandlung bleibe aber nicht.

Auch in anderen Bundesländern läuft die Umsetzung des gelockerten Verbotes nicht reibungslos. Brandenburg lehnt eine reine Fernbehandlung nach wie vor ab. Die Kammer in Mecklenburg-Vorpommern hat ihre Entscheidung vertagt. Andere Ärztekammern etwa in Thüringen, Berlin, Bremen und Rheinland-Pfalz haben indes bereits zugestimmt. Meinung