Sachsen-Anhalt leistet sich die höchsten Theatersubventionen und die niedrigsten Kartenpreise. Theater: "Netter Preis" auf Staatskosten
Sachsen-Anhalts Theater werden so stark subventioniert wie in keinem anderen Bundesland. Nirgendwo sonst sind die Kartenpreise so niedrig wie hier. Doch nun drehen die ersten Geldgeber den Hahn ein Stück zu. Wo fällt der Vorhang - für immer?
Magdeburg. 13 Euro und 97 Cent zahlt der Kulturgenießer für eine Vorstellung in Sachsen-Anhalts Theatern. Garderobe und Programmheft inklusive. Im Durchschnitt. Die Oper in Halle oder Magdeburg ist teurer als etwa ein Schauspiel in Stendal. Doch was heißt schon teuer? Müsste der Besucher mit seinem Ticket sämtliche Kosten für Musiker, Schauspieler, Regisseure und Tänzer, für Maske, Bühnenbildner und Beleuchter, für Heizung, Strom und Wasser bezahlen - wären 131,85 Euro fällig.
Nun - was beim Touristenknüller Semperoper für die besten Plätze noch funktioniert, würde auch bei größter Hingabe der Theaterschaffenden am Opernhaus in Magdeburg oder Halle nicht gehen. So viel ist klar: Land und Kommunen müssen zubuttern, wenn sich an großen Häusern noch ein Vorhang öffnen soll. Die Frage ist nur: Wie viel?
Mit den 13,97 Euro je Besucher erlösen Sachsen-Anhalts Theater so wenig wie nirgendwo anders in der Bundesrepublik. Der Kostendeckungsgrad ist in den vergangenen Jahren zwar von knapp 9 auf 10,6 Prozent geklettert, doch Sachsen-Anhalts Häuser belegen damit den letzten Platz im Ländervergleich. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 18 Prozent. Die günstigsten Billets Deutschlands anzubieten, ist für den Besucher eine feine Sache, geht aber zu Lasten der öffentlichen Kassen. Die Steuerzahler schultern 90 Prozent der Betriebskosten.
Die Eintrittspreise werden in Sachsen-Anhalt, dem Land der begrenzten Verdienstmöglichkeiten, mit den geringeren Einkommen erklärt. Jedoch: Nicht nur die Kaufkraft ist hier geringer als im Westen, die Steuerkraft öffentlicher Kassen ist es auch. Das aber spiegelt sich bei den Zuschüssen nicht wider. Durchschnittlich fast 118 Euro zahlen Land und Kommunen für jeden Besuch drauf. Das ist unter den absoluten Beträgen der vierthöchste im Ländervergleich. Spendierfreudiger sind nur Sachsen, Hessen, Bremen und das Saarland - allerdings kassieren die auch mehr vom Besucher. In Bremen decken die Häuser ihre Kosten zu 14,5 Prozent; die Sachsen schaffen sogar fast 22 Prozent.
Nun ziehen erste öffentliche Geldgeber in Sachsen-Anhalt die Bremse. Halberstadt und Quedlinburg haben beschlossen, ihre Zuschüsse massiv zu senken. Das Nordharzer Städtebundtheater steht vor Millionenverlusten, das Musiktheater vor dem Aus.
Der Chor der Forderungen ist vielstimmig. Die Theater-Kommunen fordern steigende Fördersummen vom Land, um kletternde Tarife bezahlen zu können. Das Land wiederum stellt maximal eine Fixsumme wie in den letzten Jahren in Aussicht - und steigert damit den Handlungsdruck auf die Kommunen. Magdeburg will genau so viel Landesgelder wie Halle haben, Halle wiederum will mehr Geld für die Großstädte und entdeckt Sparpotenziale auf dem flachen Land.
"Wir ziehen die Preise an, aber den Kostendeckungsgrad werden wir nicht steigern"
Werden die Preise erhöht? Die Zuschüsse gesenkt? Theater geschlossen? Orchester zusammengelegt? Die "Theater-Frage" dürfte den jetzt gestarteten Kulturkonvent dominieren. Das vom Landtag ins Leben gerufene Gremium will im nächsten Jahr diskutieren, wie Sachsen-Anhalts Kulturlandschaft sich in den nächsten Jahren ändern muss. "Ob wir in allen Regionen noch Theater haben werden, weiß ich nicht", sagt SPD-Kulturpolitiker Gerhard Miesterfeldt. "Aber eines ist wohl klar: An einer Erhöhung des Eigenanteils, also der Kartenpreise, werden wir nicht drumherum kommen", so der Landtagsabgeordnete.
Sein CDU-Kollege Jürgen Weigelt meint: "Ich denke, für gute Qualität geben die Leute gern auch etwas mehr aus. Ich staune, was bei kommerziellen Konzerten für Kartenpreise genommen und auch bezahlt werden."
Bei den Personalkosten liegt Sachsen-Anhalt im Mittelfeld - etliche Häuser zahlten oder zahlen Haustarife mit vergleichsweise überschaubaren Gagen (1600 bis 2000 Euro brutto für Musiker). Nach unten gibt es hier kaum noch Spielräume, bestens ausgebildete Musiker, Tänzer und Schauspieler können nicht ewig mit Spar-Haustarifen abgespeist werden - sind sich Politiker und Intendanten eins. Also: Ticketpreise hoch? Halles Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados (SPD) gesteht: "Der Kostendeckungsgrad gefällt mir nicht. Wir werden über die Preise im Aufsichtsrat reden müssen. Aber das ist immer eine Gratwanderung."
In Magdeburg reicht die Spanne für die Karte von 7 Euro (ermäßigt) bis zu 34 Euro (Musical, bester Platz). Für Premieren und Sommer-Open-Air werden Aufschläge verlangt. Einmal im Monat gibt es Vorstellungen zum "netten Preis", da ist eine Karte für die besten Plätze im Musiktheater für 15 Euro zu haben. Ab 2012 soll in kleinen Jahres-Schritten etwas draufgesattelt werden. Allerdings dürften auch die Gehaltstarife steigen. "Wir ziehen die Preise an, aber den Kostendeckungsgrad werden wir damit nicht steigern", räumt Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) ein. Trümper meint, es gebe "Hemmungen", noch beherzter die Preise anzuheben. "Beim Schauspiel haben wir viel junges Publikum, in die Oper gehen viele Ältere." Wie weit man gehen kann, ohne Leute zu verschrecken - Magdeburg wie auch andere Theaterkommunen stochern da im Nebel. Das Problem: Eine belastbare Marktforschung liegt nicht vor. Auch der Bühnenverein in Köln, der alle Wirtschaftsdaten der deutschen Theater registriert, kennte keine umfassende Analysen; gleichwohl gäbe es aber in einigen Städten Berechnungen. So hat Dresden eine positive Kulturrendite errechnet, da Theater Touristen locken, die wiederum Geld in Hotels und Gaststätten ausgeben. Aber Dresden spielt in einer anderen Liga.
Magdeburg zählte im vorigen Jahr gut 155 000 Besucher. Doch wie groß ist eigentlich das Publikum, das die kulturelle Infrastruktur Theater auch intensiver nutzt? Trümper: "Genau wissen wir das nicht. Ich schätze mal 10000 bis 15 000." Mehr als 15 Millionen Euro gibt die Stadt jährlich für die Theaterförderung aus.
So eng dürfe man das nicht sehen, meint Kultusminister Stephan Dorgerloh (SPD). Der Volksstimme sagte er: "Kultur in ihrer ganzen Breite ist längst nicht mehr der weiche sondern der so genannte harte Standortfaktor. Investoren fragen danach. Theater spielen dabei eine wichtige Rolle."
Halles Stadtoberhaupt Szabados meint das auch: Wenn wir Fachkräfte halten und etwas gegen die Verflachung tun wollen, dann brauchen wir urbanes Flair. Kulturelle Angebote sind ein harter Standortfaktor."
Harter Standortfaktor - ob sich die Finanzpolitiker in Land und Kommunen davon noch erweichen lassen, ist nicht so sicher. Denn: Das Argument wird inzwischen von jedem mit Donnerhall vorgetragen, der ums Geld kämpft. Ob Schule, Theater, Straßen - alles harte Standortfaktoren, ohne die Investoren und Intellektuelle in Scharen aus dem Land fliehen. Vor einigen Tagen, als es um Ausgabenkürzung für Museen ging, waren sich die Kulturpolitiker von SPD und CDU sofort eins: Geht nicht, Museen sind harte Standortfaktoren.
Die Finanzer werden mindestens drei Fakten entgegenhalten: Die Aufbau-Milliarden für den Osten werden bis 2020 wegschmelzen. Sachsen-Anhalts Einwohnerzahl wird um weitere 220000 zurückgehen. Und: In den vergangenen 20 Jahren ist so gut wie kein Großunternehmen mit Konzernzentrale nach Sachsen-Anhalt gekommen. Der Standort leidet geradezu unter den vielen viel zu kleinen Firmen und verlängerten Werkbänken. Trotz vielfältiger Kulturlandschaft.
"Muss es denn auf dem Lande noch Theater geben?"
Aber vielleicht packt es das Land ja nur falsch an? Halles Stadtoberhaupt Szabados meint: "Es ist ja richtig, dass es auf dem Land etwa Chöre gibt und diese auch unterstützt werden. Aber muss es denn auf dem Lande auch noch Theater geben?" Zu viel Gießkanne, zu wenig Konzentration auf die Großstädte attestiert sie den Landespolitikern. Vor allem denen der CDU. Doch die denkt gar nicht daran umzuschwenken. "Die kleinen Häuser haben wichtige Aufgaben zu erfüllen, außerdem können sie durchs Land fahren und andere Bühnen bespielen - was die Großen nicht können", sagt CDU-Kulturpolitiker Weigelt. "Ich mache mir große Sorgen um die Theater in der Altmark und im Harz. Aber an den Standorten sollte möglichst nicht gerüttelt werden", fordert er. Zumal: Ihr Kostendeckungsgrad ist meist überdurchschnittlich. "Wenn über eine Dynamisierung der Landesmittel nachgedacht wird, dann höchstens für die kleinen Häuser."
Eines ist wohl sicher: Um die Theaterstandorte wird mit Hingabe gerungen, es werden viele Unterschriften gesammelt. Miesterfeldt: "Bei den Theatern ist das so ähnlich wie bei Straßenbahnen oder Bahnlinien: Die werden mit Leidenschaft von fast allen verteidigt, obwohl viele sie nur selten nutzen."