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Landwirtschaft Tiere, Traktor, Theorie

Phillip Schrader aus Magdeburg zog es in die Landwirtschaft. Er studiert jetzt in Haldensleben Agrartechnik.

Von Annette Schneider-Solis 29.10.2017, 09:26

Magdeburg l Wenn Phillip Schrader an einem Getreidefeld vorbeifährt, nimmt er es anders wahr als noch vor ein paar Jahren. Er wirft einen kritischen Blick auf die Ähren, sieht sofort, dass die längst im Speicher liegen sollten. Aber dieser Sommer meint es wieder mal nicht gut mit den Getreideanbauern: pünktlich zur Erntezeit gab es immer wieder Regen, örtlich auch Hagel oder Starkregen, so dass große Teile des Getreides ins Lager gegangen sind, also umliegen. Wo das Getreide noch aufrecht steht, ist es überreif oder schon verdorben. Doch die Mähdrescher können wegen der Nässe oft nicht aufs Feld.

Phillip Schrader ist 21 und kommt aus Magdeburg. Dass er sich mit dem Getreide auskennt, hat einen Grund: er hat in der Landwirtschaft gelernt und studiert jetzt in Haldensleben. In zwei Jahren will er seinen Bachelor als Agrartechniker haben. Inzwischen ist es sein Traumberuf, aber ursprünglich war es eine Notlösung. „Ich wollte Baugeräteführer werden“, erzählt Phillip. „Aber ich wollte auch mit Menschen zu tun haben. Ich habe mit meinem Vater Bauernhöfe besucht. Das hat mir gefallen, und so bin ich in der Landwirtschaft gelandet.“

Genau genommen erst einmal in Bergzow im Jerichower Land, wo auf den Magdeburger mehr zukam als nur Traktor fahren. Einmal durfte er Mähdrescher fahren. In Begleitung. Wenn er davon erzählt, springt die Begeisterung sofort über: „Das ist Riesentechnik, einfach gewaltig! Auch wenn die Fahrzeuge heute mit GPS ausgerüstet sind und vieles allein machen, muss man sich gewaltig konzentrieren.“

Phillip ist in Bergzow zum Allrounder ausgebildet worden: drillen, grubbern, walzen. Aber auch melken oder Kälber tränken gehörten dazu. Auch leichte Reparaturen an den Maschinen hat er ausgeführt. „Bei den Kälbern war ich auch gern. Zum Schluss war ich für sie verantwortlich.“ Inzwischen hat Phillip die Gummistiefel ausgezogen. Vorübergehend. In Haldensleben studiert er Landwirtschaft, will später mal eine leitende Tätigkeit übernehmen. Am liebsten einen eigenen Betrieb, als angestellter Geschäftsführer. Ein eigener Betrieb soll es erst mal nicht sein. Das Risiko …

„Ich habe erlebt, mit welchen Problemen mein Chef zu kämpfen hatte“, plaudert Phillip mit großem Respekt. Noch während seiner Lehrzeit brach der Milchmarkt zusammen. Weniger als 20 Cent wurden nur noch gezahlt für den Liter Milch, der 40 einbringen müsste, damit die Kosten gedeckt sind und ein Gewinn herausspringt. Betriebe gaben auf, auch in Sachsen-Anhalt. Inzwischen hat sich der Preis erholt, der Markt wurde bereinigt, wie es in der Wirtschaftssprache heißt. Für Betriebe bedeutet das das Aus oder die Umstrukturierung und für viele Kühe einen noch frühzeitigeren Tod. In seinem alten Betrieb wurde die Milchproduktion querfinanziert, die Kühe bekamen weniger Kraftfutter, ein Mitarbeiter wurde entlassen. „Pro Tag hat der Betrieb 1000 Euro draufgezahlt! Nur gut, dass der Chef so viel Erfahrung hatte. So ein Risiko einzugehen, das traue ich mir einfach nicht zu“, gesteht Phillip.

Landwirtschaft hat bei vielen ein schlechtes Image. Man hört von Schweinepest und Rinderwahn, verseuchten Eiern, Vogelgrippe und gequälten Tieren, von Monokulturen, Lebensmitteln in der Biogasanlage, aussterbenden Insekten oder Vögeln. Und natürlich von Glyphosat. Es sind vor allem Städter, die die Arbeit, die sie ernährt, wenig wertschätzen. Bei all diesen Negativschlagzeilen ist es für Landwirtschaftsbetriebe nicht leicht, junge Leute wie Phillip zu begeistern.

Ein Nachwuchsproblem auf Führungsebene aber sieht Marcus Rothbart nicht. Er ist Hauptgeschäftsführer des Landesbauernverbands und hat einen recht guten Überblick über die Betriebe im Land. „Die meisten Betriebe“, weiß er zu berichten, „geben die Unternehmensführung langfristig ab. Das will gut vorbereitet sein, um einen guten Übergang hinzubekommen.“ Immerhin, so fügt er hinzu, gehe jetzt nach und nach jene Generation in den Ruhestand, die die Betriebe über die schwere Wendezeit geführt und über 25 Jahre lang aufgebaut habe. Damit verschwinde auch sehr viel Wissen. Genossenschaften und Gesellschaften sind hierzulande nicht die dominierende Betriebsform. Das Gros der Betriebe ist privat. In den meisten Fällen handelt es sich um Familienbetriebe, die in der Regel innerhalb der Familie weitergeführt werden. Beispiele, wo es mit der Übergabe so richtig gegen den Baum gegangen ist, fallen Marcus Rothbart auf Anhieb nicht ein. „Die zweite Reihe steht langfristig bereit, läuft eine Zeitlang mit und übernimmt dann erfolgreich.“

Dass Leute wie Phillip Schrader Verantwortung übernehmen wollen, findet Marcus Rothbart gut. „Angesichts des Trommelfeuers, das immer wieder auf die Landwirtschaft abgefeuert wird, kann es schon sein, dass es mal hakt und Nachwuchs fehlt. Vor allem in kleineren Familienbetrieben fragen Kinder ihre Eltern, warum sie sich das antun.“ Dabei, findet Phillip, ist Landwirt ein toller Beruf. Man habe mit Menschen zu tun, mit Tieren und Technik, sei viel an der frischen Luft. An das frühe Aufstehen und die harte körperliche Arbeit hat er sich längst gewöhnt. Nachts die Kühe melken, morgens in winterlicher Kälte die Kälber versorgen, die Biogasanlage bestücken, wenn die meisten seiner Altersgenossen nach durchfeierter Nacht noch an der Matratze horchen – das macht Phillip längst nichts mehr aus. „Ich bin sowieso nicht der Typ, der gern Partys feiert“, grinst er. Und fügt hinzu: „Aber zehn Stunden am Stück Traktor fahren geht ganz schön auf die Knochen“.

In der Erntezeit sind die Tage oft noch länger, denn da wird jede trockene Minute genutzt. „Da kam es schon vor, dass wir erst um Mitternacht fertig waren. Am nächsten Morgen mussten wir dann wieder früh auf der Matte stehen.“ Freunde blieben da auf der Strecke. Einfach, weil es zu wenig Berührungspunkte, zu wenig gemeinsame Zeit gebe. Dafür seien andere hinzugekommen. Trotzdem hat ihm die Arbeit Spaß gemacht. Gerade in der Ernte, wenn der Bauer einfährt, wofür er gearbeitet hat, sei das immer ein besonderes Erlebnis. Deshalb wolle er in der Landwirtschaft bleiben.

Seine Lehre hat Phillip im vergangenen Jahr mit der Note Gut abgeschlossen. Das erste Jahr Studium hat er hinter sich. Er hat viel Betriebswirtschaftslehre gepaukt, Planung, Finanzen, Theorie der Pflanzen- und Tierproduktion. Zahlen liegen ihm. Jetzt, im zweiten Studienjahr, steht noch mal Theorie auf dem Stundenplan. Im dritten Jahr dann ein Praktikum. Und danach? Mal sehen. Phillip zuckt mit den Schultern. Solche wie er werden gebraucht. Das ist gut zu wissen.