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Todesfall Behandlungsfehler vertuscht?

Beate H.* stirbt 2016 nach einer Bandscheiben-OP im Klinikum Magdeburg. Bis heute weiß ihr Sohn nicht, warum. Und die Zeit läuft davon.

09.01.2020, 23:01

Magdeburg l Beate H. ist 54 Jahre alt, als sie 2016 zum zweiten Mal Oma wird. Die letzte Rate für das Haus in Magdeburg ist endlich abbezahlt. Die Jahre des Verzichts sind vorbei. Das schöne Leben darf jetzt kommen. „Sie wollte mit meinem Vater endlich anfangen zu reisen, das Leben genießen“, sagt ihr Sohn Steven H.* Doch vorher sollen die jahrelang anhaltenden Rückenschmerzen endlich verschwinden. H. wendet sich ans Klinikum Magdeburg. Hier sind die Experten der Meinung, eine Operation könnte dem Leiden ein Ende setzen.

Am Ende sollen die sterilen Krankenhauswände das Letzte sein, was die Oma, Mutter und Ehefrau in ihrem Leben wahrnehmen wird. Nach Volksstimme-Informationen soll bei der Bandscheiben-Operation die Beckenschlagader durchtrennt worden sein. H. stirbt bei der anschließenden Not-Operation.

Wie es dazu kommen konnte? Niemand wollte der Familie diese Frage bisher konkret beantworten. Gegenüber der Volksstimme bestätigte Staatsanwalt Hauke Roggenbuck, dass gegen den Arzt, der die Bandscheiben-Operation durchgeführt hat, wegen fahrlässiger Tötung ermittelt wird. Zum Ermittlungsstand wollte er sich nicht äußern.

Die Uhr tickt. 2021 setzt die Verjährungsfrist ein, dann ist keine Anklageerhebung mehr möglich. Dabei deutet vieles darauf hin, dass Beate H. einen Behandlungsfehler mit dem Leben bezahlen musste.

12. September 2016. Ein Anruf. Der Ehemann erfährt am Abend telefonisch, dass seine Frau den Eingriff nicht überlebt hat. Am nächsten Morgen eilt Steven H. ins Krankenhaus. Er will wissen, was passiert ist und Abschied von seiner Mutter nehmen. „Als ich dort ankam, durfte ich meine Mama nicht sehen, weil die Polizei ermittle, wurde mir gesagt“, erinnert sich H. Der Sohn fragt einen Arzt auf dem Krankenhausflur. Ergebnislos. Niemand kann oder will Auskunft geben.

Stattdessen werden ihm mehrere Mitarbeiter des Klinikums vorgesetzt. Keiner von ihnen war bei der Operation dabei, niemand kann konkret sagen, weshalb Beate H. sterben musste. Daraufhin befragt H. einen weiteren Arzt des Klinikums, will endlich konkrete Antworten. Vergebens. „Er meinte zu mir, dass ich ja gar nicht wüsste, was für das Klinikum auf dem Spiel steht.“

Die Volksstimme hat das Klinikum mit dieser Aussage sowie einem umfangreichen Fragenkatalog zu dem Fall konfrontiert. „Wir befinden uns derzeit im laufenden Rechtsstreit, indem die Sachverhaltsermittlung und Beweisaufnahme noch nicht abgeschlossen sind“, erklärte eine Sprecherin auf Anfrage. „Dem kann die Klinikum Magdeburg gGmbH nicht vorgreifen.“ Man äußere sich generell nicht zu laufenden Verfahren und könne deshalb keine Fragen beantworten.

Doch konkrete Fragen wollen Ärzte im Klinikum schon vor mehr als drei Jahren nicht beantworten. Die Skepsis beim Sohn, vor allem aber der Verdacht, dass hier etwas nicht stimmt, wird größer. „Hätten die Ärzte im Klinikum mir konkret erklärt, was passiert ist, hätten wir vielleicht gar nicht begonnen, selbst nachzuforschen“, sagt Steven H.

2017 beschlagnahmen dann die Polizei und Staatsanwaltschaft Magdeburg die Patientenakte.

Die Ermittlungen dauern mittlerweile mehr als drei Jahre an. Vieles deutet darauf hin, dass Beate H. sterben musste, weil fachärztliche Standards nicht eingehalten worden sind. So haben Recherchen der Volksstimme ergeben, dass bisher drei Sachverständige, allesamt renommierte Mediziner auf ihrem Gebiet, Patientenakten und OP-Berichte untersuchten. Alle drei sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Krankenakten unvollständig und lückenhaft sind.

Neben dem Gutachten zum anästhesiologischen Verlauf und zur Notoperation bei Beate H. wird vor allem das Gutachten zur Bandscheiben-Operation entscheidend sein. Doch das liegt bis heute nicht vor.

Der erste Gutachter, der die Akten 2017 erhält, soll feststellen, ob ein Behandlungsfehler vorliegt. Doch er sendet die Unterlagen einen Monat später zur Staatsanwaltschaft zurück. Neben dem Vermerk, dass wichtige Angaben, wie zum Beispiel der ärztliche Aufnahmebefund, fehlen, teilt er außerdem mit, dass er keine Gutachten zur Not-Operation stellen könne, weil das nicht sein Fachgebiet ist. Wieder vergehen Monate.

Der zweite Sachverständige sendet Anfang 2018 sein Gutachten zur Notoperation an die Staatsanwaltschaft. Das Ergebnis: Den Ärzten, die versucht haben, die Blutungen bei Beate H. zu stoppen, nachdem wohl die Beckenschlagader bei der Bandscheiben-Operation durchtrennt worden war, ist kein Vorwurf zu machen. Entlastung. Es war schlichtweg zu spät, der Mutter und Ehefrau das Leben zu retten.

In der Zwischenzeit verstirbt auch der Vater. „Bis zu seinem Tod wollte er wissen, was mit seiner Frau passiert ist“, sagt Steven H. Die vielen offenen Fragen nimmt der Witwer mit ins Grab. Doch der Sohn macht weiter. Und auch die Ermittlungen laufen weiter und sollen kurze Zeit später noch einmal eine Wendung nehmen.

Nach Volksstimme-Informationen hat der dritte Sachverständige das Gutachten zum anästhesiologischen Verlauf, zur Narkose also, Anfang 2019 bei der Staatsanwaltschaft eingereicht. Das Ergebnis: Bei der Narkose wurden nicht nur die fachärztlichen Standards nicht eingehalten, sondern auch die Sorgfaltspflicht verletzt. Mehr noch: Das Gutachten legt den Verdacht nahe, dass außerdem der OP-Bericht zur Bandscheiben-OP wohl nachträglich verändert worden ist. So soll eine zweite Version des Bandscheiben-OP-Berichts einige wenige, aber inhaltlich maßgebliche Unterschiede zum Verlauf der Operation enthalten als die erste Version. Wegen Urkundenfälschung werde jedoch derzeit nicht ermittelt, erklärte Roggenbuck.

Der dritte Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, dass die Fehler bei der Narkose nicht entscheidend dafür waren, dass Beate H. sterben musste. Die Gefäßverletzungen bei der Bandscheiben-Operation waren schlichtweg zu schwerwiegend. Doch auch hier sind Zweifel angebracht. Nach Volksstimme-Informationen hat sich der dritte Sachverständige auf die Angaben im zweiten OP-Bericht bezogen. Dem Bericht also, der sich in nur wenigen, aber inhaltlich wichtigen Aussagen vom ersten Bericht unterscheidet.

Die alles entscheidende Frage: Was ergibt das Gutachten zur Bandscheiben-Operation? Zu der OP, die nach Volksstimme-Informationen ein Assistenzarzt durchgeführt haben soll. Der Name des Arztes, gegen den ermittelt wird, ist der Volksstimme bekannt. Auch die Frage, ob der Arzt noch immer im Klinikum Magdeburg praktiziert, wollte die Klinikum-Sprecherin nicht beantworten.

Roggenbuck erklärte auf Anfrage, dass das Gutachten zur Bandscheiben-OP für Ende Februar 2020 erwartet wird. Wieder werden Wochen vergehen. „Irgendwann verliert man den Glauben“, sagte Steven H. „Wie kann es sein, dass niemand die wesentlichen Fragen beantworten will? Ein Mensch ist gestorben.“

*Die Namen sind der Volksstimme bekannt und wurden von der Redaktion verfremdet.